Romelu Lukaku von Inter Mailand schlägt die Hände über dem Kopf zusammen

Rückspiel gegen Benfica Liga und Königsklasse - die zwei Gesichter von Inter Mailand

Stand: 19.04.2023 11:17 Uhr

Inter Mailand geht in der Champions League mit guten Chancen in das Viertelfinal-Rückspiel gegen Benfica Lissabon. Allerdings lastet auf den Italienern eine schwere Formkrise in der Serie A.

Inter Mailand gibt es in dieser Saison gleich doppelt. Einmal in der Version Serie A. Die ist unansehnlich, hat seit fünf Wochen nicht gewonnen und sich am Wochenende zu Hause mit einem 0:1 gegen Aufsteiger Monza blamiert. Dann aber gibt es Inter in der Champions League. Dort liefern die Mailänder große Momente, haben in der Vorrunde Barcelona hinter sich gelassen, Porto aus dem Wettbewerb geworfen und auch beim 2:0-Hinspielerfolg im Viertelfinale gegen Benfica Lissabon überzeugt. Inter Mailand, die Schöne der Nacht.

Blass in der Liga

Im Ligaalltag sieht das anders aus. Nur wenig erinnert an die Mannschaft, die in der vergangenen Saison bis zum letzten Tag um den Titel mitspielte und im Jahr zuvor Meister war. Inter, das selten für schönen, aber immer für effektiven Fußball stand, wirkt derzeit in der Serie A wie eine Parodie auf sich selbst. Und liefert schwer zu begreifende Statistiken. In den vergangenen fünf Ligabegegnungen hat das Team von Simone Inzaghi 113 Mal aufs Tor geschossen - und dabei nur zwei Treffer erzielt. Einen davon per Elfmeter. Die aktuelle Bilanz Inters, mit einem Punkt aus den vergangenen fünf Spielen, ist die eines Absteigers. Der 19-fache Meister, zu Beginn des Jahres noch ärgster Verfolger von Tabellenführer Neapel, ist mittlerweile auf Platz 5 abgestürzt und zittert um die erneute Qualifikation für die Champions League.

Schwer zu begreifen, aber irgendwie auch Inter-typisch. Die "Nerazzurri" sind berühmt-berüchtigt dafür, wie kein anderes Team in Italien schon sicher Geglaubtes zu verlieren und schon verloren Geglaubtes noch zu gewinnen. Die Anhänger nennen ihre Mannschaft mit stolzer Selbstironie "Pazza Inter", verrücktes Inter. Die aus Zehntausenden Kehlen donnernde Aufforderung im Refrain der alten Stadionhymne "Amala, pazza Inter, amala!" (Liebe es, das verrückte Inter, liebe es!) sorgte über Jahre vor Spielbeginn für Vibrationen des San-Siro-Betons.

Tiefpunkt gegen Monza, Inzaghi wackelt

An diesem Wochenende aber waren die leidenfähigen Inter-Fans mit ihrer Geduld am Ende. Die desaströsen Vorstellungen in der Serie A mit Niederlagen unter anderem gegen Abstiegskandidat La Spezia hatten sie wochenlang mit ihrem legendären Langmut ertragen. Nun aber, nach der Niederlage gegen Neuling Monza, den kleinen Klub vor den Toren Mailands, war Schluss. Mit Pfiffen und Beschimpfungen wurde das Team in die Kabine gejagt. Kaum jemanden interessierte in dem Moment, dass Inter diese Woche die Chance auf den Einzug ins Champions-League-Halbfinale hat.

Die Vereinführung um Vorstandschef Giuseppe Marotta saß anschließend lange mit Trainer Inzaghi zusammen. Das Ergebnis laut "Corriere dello Sport", wenig überraschend: Nur wenn Inter am Mittwoch gegen Benfica weiterkommt, ist Inzaghi auch nächste Woche noch Trainer in Mailand.

Der umgängliche 47-Jährige galt als eine der großen italienischen Trainerhoffnungen nach seiner Zeit bei Lazio Rom. Bei Inter waren sie eineinhalb Jahre mit Inzaghi durchaus zufrieden. Zwar wurde die Titelverteidigung knapp verpasst, aber der ehemalige Serie-A-Stürmer und dreifache Nationalspieler wurde seinem Ruf als "Re delle Coppe", als König der Pokale, gerecht.

Mit Inter gewann Inzaghi, von "Moda Donna" wegen seines Kleidungsstils als "coolster Trainer Italiens" geehrt, immerhin den italienischen Pokalwettbewerb und zweimal den Supercup. Simone siegt damit klar im familieninternen Duell mit seinem bekannteren älteren Bruder Filippo "Pippo" Inzaghi, der als Spieler Weltmeister und Champions-League-Sieger mit dem AC Mailand wurde, jetzt aber als Coach zwischen Serie A und Serie B pendelt.

Inter Mailands Trainer Simone Inzaghi

Inter Mailands Trainer Simone Inzaghi

Simone Inzaghis aktuelles Problem: Er hat keine Erklärung und noch weniger eine Lösung gefundenen für die, wie es die "Gazzetta dello Sport" nennt, "bipolare Störung" seines Teams. Als Inzaghi in der Pressekonferenz vor dem Spiel gegen Monza versicherte, seine Spieler gingen in die Serie A Spiele genauso motiviert, wie in die Champions-League-Begegnungen, reichten die Reaktionen von Schmunzeln bis Kopfschütteln.

Tatsache ist, Inter tritt im Ligaalltag häufig fahrig auf und liefert nur zu den Festtagen in der Champions League, wenn auch, wie zuletzt gegen Porto und Benfica, mit etwas Spielglück. Gegen Monza aber wirkten einige Inter-Spieler verkrampft, als hätte sich der Serie-A-Fluch mittlerweile in ihre Köpfe gesetzt. Der Verein aber ist finanziell auf eine erneute Qualifikation für die Champions League angewiesen.

Lukaku sinnbildlich für Inters Inkonstanz

Ein Symbol für die schwankenden Leistungen der Mailänder zwischen Europa und heimischer Liga ist Romelu Lukaku. Der Belgier war 2021 nach Inters Meisterschaft für 113 Millionen Euro zum FC Chelsea gewechselt, eine Rekordsumme für die Italiener. In London aber wurde der sensible Stürmer nicht glücklich, Trainer Thomas Tuchel setzte nur selten auf ihn. Im Sommer kehrte Lukaku reumütig auf Leihbasis nach Mailand zurück und erhält seitdem bei Inter wieder die Liebe von Fans und Umfeld, die er sich erhofft hatte. Ungeachtet bescheidener Leistungen feierten ihn die Inter-Anhanger bis zum Wochenende mit aufmunternden Sprechchören und Transparenten.

Auf dem Rasen ist Lukaku weit entfernt von seiner Form der Meistersaison, als er mit 24 Treffern Inters Toptorjäger war. Seit seiner Rückkehr hat der schnelle, bullige Stürmer in der Serie A, auch wegen Verletzungsproblemen, nur drei Tore erzielt, zwei davon per Elfmeter. Den letzten Treffer aus dem Spiel heraus machte Lukaku zum Auftakt der Saison im August, vor acht Monaten. In den vergangenen fünf Ligaspielen hatte Lukaku reichlich Anteil an den 111 nicht erfolgreichen Torschüssen Inters. Wie der 29-Jährige vor einer Woche gegen Salernitana aus zwei Meter Entfernung einen Kopfball freistehend nicht ins Tor, sondern an die Latte setzte, war physikalisch so unfassbar, dass die Szene x-mal im italienischen Fernsehen gezeigt wurde.

Aber auch für Lukaku gilt: In der Champions League ist vieles anders. Der Mann mit der Nummer 90 hat in den wegweisenden Partien gegen Barcelona und Porto jeweils das entscheidende Tor gemacht, vor einer Woche bei Benfica verwandelte Lukaku in der Schlussphase nervenstark einen Elfmeter zum 2:0.

Calhanoglu und Mchitarjan bringen Hoffung

Nur wenige Spieler bieten bei Inter derzeit konstante Leistungen, unabhängig von Serie A oder Champions League. Zwei davon sind alte Bekannte aus der Bundesliga. Allen voran Hakan Calhanoglu, in dieser Saison Inters stärkster Akteur. Der ehemalige Spieler des Karlsruher SC, Hamburger SV und Bayer Leverkusens ist in seinem zweiten Jahr in schwarz-blau zu einer bestimmenden Persönlichkeit geworden.

Der Qualitätssprung Calhanoglus ist auch einem Positionswechsel geschuldet. Inzaghi hat den in Mannheim geborenen türkischen Nationalspieler vom linken offensiven ins defensive Mittelfeld beordert. Dort beeindruckt Calhanoglu außer mit seiner bekannt starken Technik mit Ausstrahlung und eindrucksvollem Spielverständnis, das in seiner früheren offensiven Position seltener sichtbar war.

Henrich Mchitarjan von Inter Mailand

Einer der wenigen konsanten Spieler bei Inter: Henrich Mchitarjan

Einer der Stabilisatoren auf dem schwankenden Inter-Schiff ist auch Henrich Mchitarjan. 34 Jahre ist der ehemalige Dortmunder bereits, beeindruckt aber immer noch mit Technik, Schnelligkeit, Laufbereitschaft und der Fähigkeit, auch auf engstem Raum in der Regel die richtige Entscheidung zu treffen. Inter hatte trotz Mchitarjans fortgeschrittenen Fußballeralters alles daran gesetzt, den Armenier im vergangenen Sommer von der AS Rom nach Mailand zu locken.

Immer noch nicht richtig angekommen bei Inter ist dagegen Robin Gosens. Nach langer Verletzungspause wollte der 14-fache deutsche Nationalspieler in dieser Saison durchstarten. Den Platz auf der linken Außenbahn aber sicherte sich der gebürtige Mailänder und ehemalige Inter-Jugendspieler Federico Dimarco. Gosens, hier ganz im Inter-Trend, lieferte seine stärksten Vorstellungen in der Champions League. Auch in der Liga zeigte der 14-fache deutsche Nationalspieler immer mal wieder gute Ansätze, hatte dann aber Pech, dass Inter genau in der Zeit in die Krise rutschte, als Gosens sich seiner alten Form näherte. 

Jetzt, im Champions-League-Viertelfinale, gilt Inter zu Hause gegen Benfica Lissabon nach dem 2:0 im Hinspiel als Favorit. Monza hin, La Spezia her. Serie A ist Serie A und Champions League ist Champions League. Im Halbfinale würde es zu einem italienischen Duell mit der Lokalkonkurrenz AC Mailand kommen. Wer das gewinnt, steht bereits im Endspiel. Und dann, mit der Punktbilanz eines Absteigers in der heimische Liga, den Fußballthron Europas erklimmen? Es wäre "da pazza Inter" - ein Ding nach Art des "verrückten Inter".