Tor von Edin Dzeko

Derby della Madonnina Wie das Mailänder Duell wurde, was es ist

Stand: 03.02.2023 07:19 Uhr

AC gegen Inter Mailand, am Sonntag (05.02.23) steht das Derby della Madonnina an. Seit Jahrzehnten ist es das sportlich hochkarätigste stadtinterne Duell im italienischen Fußball. Die Mailänder Klubs haben insgesamt 38 Meistertitel und zehn Champions-League-Trophäen gewonnen. Es gab eine Zeit, die entscheidend war, dass das Derby della Madonnina so bedeutend wurde.

Wer alles über das Derby in Mailand erfahren will, braucht ein Lexikon oder eine gute Internet-Suchmaschine. Oder Nicola Cecere. Der ehemalige Reporter der "Gazzetta dello Sport" sitzt in seinem Wohnzimmer in der Nähe des Parco Sempione und strahlt Vorfreude aus: "Derbytag ist Feiertag in Mailand".

Ein Spiel spaltet die Stadt

"Rossonero" oder "Nerazzurro", AC Milan oder Inter Mailand. Exakt zweigeteilt sei die Stadt zum Derby, erzählt Cecere, der über 30 Jahre seinen Arbeitsplatz im San-Siro-Stadion hatte, zunächst Milan und dann lange Inter als Reporter begleitet hat. Von einer "großen und tiefverwurzelten Fußballkultur" sei Mailand geprägt, meint die Gazzetta-Legende, "in jeder Familie, in jedem Haus gehört man entweder zur einen oder zur anderen Seite".

Das Derby della Madonnina, benannt nach der kleinen vergoldeten Madonnen-Statue auf dem Dom der Stadt, ist ein Hochfest des Calcio, seit mehr als einem Jahrhundert. Vorne mit dabei war Mailand bereits, als der italienische Fußball laufen lernte. Von den ersten zehn Meisterschaften gewann der AC Milan drei (1901, 1906, 1907). Als sich 1908 der FC Internazionale von Milan abspaltete, holte zwei Jahre später auch dieser seinen ersten Titel.

Torschuss von Lothar Matthäus

Aufschwung Mailands bringt Fußball nach vorne

Als Hauptstadt des italienischen (und zweiweise auch europäischen) Fußballs aber hat sich Mailand in den 1950er- und 60er-Jahren etabliert. Der Aufstieg der Stadt zur weltweit bekannten Fußballmetropole hänge eng mit der sozialen und wirtschaftlichen Geschichte Mailands zusammen, erklärt Cecere.

Die norditalienische Millionenstadt sei das Zentrum des italienischen Wirtschaftsbooms nach dem Krieg gewesen. Viele Arbeiter, vor allem aus dem Süden des Landes, strömten in die Stadt. Da in Mailand vergleichsweise gute Löhne gezahlt wurden, sagt der selbst aus dem Süden stammende Cecere, "konnten sich die Arbeiter die Eintrittskarte für das Stadion leisten, um Fußballspiele zu gucken". Das San Siro Stadion wurde zur Pilgerstätte.

"Immer an der Spitze"

Auch weil es in den für Mailand goldenen 1950ern und 60ern Unternehmer in der Stadt gab, die bereit waren, ihr Geld in einen der beiden Fußballvereine zu stecken. Der Verlagsmogul Andrea Rizzoli für Milan und der Erdölmagnat Angelo Moratti für Inter, beide auch glühende Anhänger ihrer Klubs, lotsten die Topspieler aus Europa und Südamerika nach Mailand.

Mit dem Ergebnis, dass Milan und Inter zwischen 1950 und 1970 elf Mal die italienische Meisterschaft gewannen und auch viermal den Europapokal der Landesmeister. Stets angetrieben, sagt Cecere, vom Mailänder Ehrgeiz, "immer an der Spitze, immer die Ersten zu sein".

Mailand Derby mit Marco van Basten

In diesen Jahren haben Milan und Inter auch ihre fußballerische DNA herausgebildet. Milan eroberte die Scudetti in den 50er Jahren mit Offensivfußball und dem legendären Sturmtrio Gre-No-Lin, Gunnar Gren, Gunnar Nordahl (mit 221 Treffern in 268 Spielen immer noch der erfolgreichste Milan-Torschütze aller Zeiten) sowie Nils Liedholm. Kapitän war Cesare Maldini, Vater des späteren Milan-Rekordspielers Paolo Maldini. Den eleganten Milan-Fußball verfeinerten in der Folgezeit Gianni Rivera und Co., in den 1990er-Jahren wurde Arrigo Sacchis Milan zu einer Ikone des schönen Spiels weltweit.

Klubs auf Augenhöhe

Die schwarzblaue Seite der Stadt setzt dagegen auf Mentalität, Coolness und Ergebnisfußball. Erfunden hat’s Helenio Herrera - ebenfalls in den stilbildenden 1950er- und 60er-Jahren. Der in Argentinien Geborene setzte auf eine Fußballtaktik, die dem gesamten italienischen Fußball über Jahrzehnte anhing: Catenaccio. Spätere Trainer betrieben Herrera-Traditionspflege. Mit Giovanni Trapattoni (sowie Lothar Matthäus und Andy Brehme) gelang Inter 1989 die Meisterschaft inklusive Punktrekord, mit José Mourinho 2010 der Champions-League-Triumph, mit Antonio Conte 2021 der Titelgewinn in der Serie A nach elf Jahren Pause.

Die Fanlager in Mailand - auch das ungewöhnlich im Vergleich zu anderen Derbys - halten sich die Waage, beide Klubs sind seit Jahrzehnten fast exakt auf Augenhöhe. Italienweit gibt es aktuell laut der jährlichen Ipsos-Erhebung 4,16 Millionen aktive Milan-Fans, Inter unterstützen 3,91 Millionen Anhängerinnen und Anhänger. Zur aktuellen Saison setzte Inter 41.000 Dauerkarten ab, Milan 40.500. Perfekten Gleichstand gibt es bei den Meistertiteln, sowohl Milan als auch Inter holten 19-mal den Scudetto. Inter zuletzt 2021, Milan im Jahr danach. Nur international ist Milan klar vorne. Die Rot-Schwarzen gewannen siebenmal die Champions League beziehungsweise den Landesmeister-Pokal und fünfmal den UEFA-Supercup. Inter holte dreimal Europas wichtigste Fußballtrophäe und dreimal den UEFA-Cup.

Friedliches Derby mit gemeinsamem Espresso

Ein weiteres Kennzeichen des Derbys della Madonnina: Die Rivalität zwischen beiden Klubs wird seit den 70er-Jahren weitgehend friedlich ausgetragen. In den Tagen vor dem Derby tragen alle stolz ihre Anhängerschaft zur Schau, es wird gefrotzelt, die gegnerische Seite hochgenommen. Und während des Spiels geht es im San Siro so laut zu wie in wenig anderen Stadien. Aber das war’s dann auch. Vorher und nachher trinken im Baretto unter der Nordkurve Milan- und Inter-Fans gemeinsam ihren Espresso.

Als 2005 ein Derby abgebrochen werden mussten, lag das an Pyros, die aus der Inter-Kurve auf den Rasen geworfen wurden. Auslöser waren nicht die gegnerischen Fans, sondern die Wut über die Entscheidungen des deutschen Schiedsrichters Markus Merk, der unter anderem einem Tor Inters die Anerkennung versagt hatte.

Für das Duell am Sonntag sagt Derby-Experte Cecere übrigens einen Sieg des zuletzt formschwachen Milans voraus. Der Meister ist gerade von Abstiegskandidat Sassuolo mit 2:5 nach Hause geschickt worden. Während es für Inter seit dem Re-Start ganz ordentlich läuft.  Aber ein Gesetz des Derbys della Madonnina sei, verrät Cecere, dass häufig die Mannschaft gewinnt, die zuvor in schlechterer Verfassung war.