Neuer Spielbetrieb im Kinderfußball Wie Watzke die DFB-Reformer plump brüskiert
Hans-Joachim Watzke nennt die laufende Reform des Kinderfußball "unfassbar", fordert als DFB-Präsidiumsmitglied Alternativen. Seine Äußerungen dazu sind an Niveau schwer zu unterbieten - ein Kommentar.
Man stelle sich vor, man versucht jahrelang mit viel Mühe und gegen Widerstände ein altes, schlechtes System zu reformieren. Dann ist man schließlich auf sehr gutem Weg, fast alle Kreise haben die Reform bereits umgesetzt. Und dann, erst dann, haut das eigene Präsidium dazwischen. Ein prominentes Mitglied dieses Präsidiums nennt die Reform "unfassbar" und "nicht nachvollziehbar", argumentiert dabei schlecht informiert und populistisch. Genau dies passiert gerade beim Deutschen Fußball-Bund (DFB).
Das querschießende Präsidiumsmitglied heißt Hans-Joachim Watzke. Angesprochen auf die Reform bei den Vier- bis Elfjährigen hat er beim DUP-Unternehmertag im Stile eines Stammtischpöblers geätzt: "Demnächst spielen wir dann noch ohne Ball. Oder wir machen den eckig, damit er den etwas langsameren Jugendlichen nicht mehr wegläuft." Manche mögen darüber lachen, die vielen DFB-Kräfte, die seit Jahren mühevolle Überzeugungsarbeit leisten, sicher nicht.
Vergiftete Begrüßung für Hannes Wolf
Watzke nimmt sich, wie einige andere Prominente vor ihm, ein einziges Detail aus der umfassenden Reform heraus: den Wegfall von Tabellen und (notierten) Ergebnissen. "Wenn du als Sechs-, Acht- oder Neunjähriger nie das Gefühl hast, was es ist, zu verlieren, dann wirst du auch nie die große Kraft finden, um auch mal zu gewinnen." Der neue DFB-Sportdirektor Hannes Wolf solle nun in den nächsten ein, zwei Jahren Handlungsalternativen aufzuzeigen, "das haben wir gerade beschlossen". Unklar bleibt, wen Watzke mit "wir" meint, denn laut DFB liegt kein Gremienbeschluss dieser Art vor.*
Es ist eine vergiftete Begrüßung für Wolf. Dieser hatte nämlich bei seiner Antritts-Pressekonferenz die Kinderfußball-Reform noch vehement verteidigt. Vor allem betonte er in Richtung der Kritiker ausdrücklich, dass keineswegs das Gewinnen und Verlieren abgeschafft werde. Die Kinder spielen nämlich künftig mehrere Spiele in kleinen Teams auf Kleinfeldern. Gewinnen sie ein Spiel, rücken sie ein Feld vor, bei einer Niederlage müssen sie ein Feld zurück.
Wenn Tabellen, dann auch konsequent
Offenbar hat Watzke trotz Wolfs Worten nicht verstanden, dass die Kinder auch künftig Sieg und Niederlage erleben werden, sogar häufiger als zuvor. Selbst im Training wissen Kinder immer ganz genau, ob sie gewonnen oder verloren haben, wer die Tore geschossen hat und welche Kinder besser sind, Tränen und Jubelschreie inklusive. Diese intrinsische Motivation braucht keinen Liga-Spielbetrieb.
Tabellen haben ohnehin nur Sinn und Aussagekraft, wenn die Beteiligten auch alles dafür tun, ganz oben zu stehen. Beim bisherigen Ligabetrieb im Sieben gegen Sieben bedeutet das auch im Training: taktische Positionen, viel Spielzeit für die Stärkeren, Ballaktionen hauptsächlich für die zwei Besten im Team.
Leistungs- und Breitensport profitieren
Dabei ist längst klar, dass Kinder in kleineren Gruppen sehr viel mehr Ballaktionen und Zweikämpfe haben, dadurch effektiver lernen. Dieses Prinzip nun auch im Spielbetrieb umzusetzen, ist konsequent, denn so werden alle Trainerinnen und Trainer dazu angeregt, auch im Training vermehrt auf Kleinfelder zu setzen.
Der Leistungssport wird davon profitieren, dass Deutschland am Ende mehr technisch gut ausgebildete Elfjährige hat. Und der Breitensport profitiert dadurch - da müssen die Kritiker jetzt stark sein -, dass auch weniger ambitionierte Kinder mehr Spaß und Beteiligung haben können.
Der DFB ist spät dran
Übrigens hat sich der DFB hier nichts Verrücktes ausgedacht, sondern er holt nach, was Länder wie Belgien, die Niederlande oder England seit Jahren erfolgreich umsetzen. Die Grundidee Funino stammt aus den 1980er Jahren.
Dass es so lange gedauert hat, den Kinderfußball hierzulande zeitgemäß zu reformieren, liegt an der föderalen Struktur des DFB. Für die Ausgestaltung des Kinder-Spielbetriebs sind nämlich die Landesverbände und mancherorts sogar die Kreis- und Stadtverbände zuständig. Es hat viele Jahre gedauert, bis alle schließlich im März 2022 beim DFB-Bundestag gemeinsam beschlossen haben, die neuen Spielformen ab der Saison 2024/25 bundesweit verpflichtend einzuführen.
Watzke gibt verheerendes Bild ab
Auch das Präsidium ist Teil des Bundestages, hat damals mitgestimmt. Umso verheerender ist das Bild, das Watzke jetzt mit seinem Pauschal-Urteil abgibt. Über Details lässt sich natürlich streiten, deshalb setzen viele lokale Verbände auch auf andere Regeln, als der DFB vorschlägt.
Die DFB-Vorschläge sehen übrigens schon in der E-Jugend (U10, U11) optional einen klassischen Spielbetrieb im Sieben gegen Sieben vor. Das bedeutet, dass der Umstieg auf Spielfeste lediglich für Kitakinder, Erst-, Zweit- und Drittklässler verpflichtend ist. Doch selbst darin sehen viele ältere Männer aus dem Profibereich einen Skandal - was viel aussagt über die Kultur im deutschen Fußball.
*In einer ersten Version hatten wir geschrieben, das DFB-Präsidium habe laut Watzke Hannes Wolf aufgefordert, Alternativen aufzuzeigen. Später stellte der DFB auf Sportschau-Anfrage klar, dass es keinen Gremienbeschluss gebe.