Schwedische Torfrau im Rampenlicht Mušović - "Ich bin in meiner eigenen Geschichte gelandet"
Schwedens Torfrau Zećira Mušović kennt das Leben auf der Bank. Bei der WM darf sie nun endlich zeigen, was sie wirklich drauf hat. Und das ist Weltklasse. Im Halbfinale gegen Spanien am Dienstag (15.08.2023, 10 Uhr MESZ) könnte sie erneut zur Matchwinnerin werden.
Auf ihrem Rücken prangt groß die Nummer 1. Sowohl im schwedischen Nationalteam als auch beim FC Chelsea trägt Torhüterin Zećira Mušović das Trikot mit der 1 und dem Anspruch, die unangefochtene Stammtorhüterin zu sein. Dass die 27-Jährige aber auch wirklich die "1" und damit der Rückhalt ihres Teams ist - das darf Mušović erst bei der WM in Australien und Neuseeland zeigen.
Nur zwei Gegentore bei 20 WM-Schüssen
Im Achtelfinale der Schwedinnen gegen die USA entschärfte Mušović nicht weniger als elf Torschüsse der Titelverteidigerinnen, von den insgesamt 20 Schüssen bei der gesamten WM wehrte die Torfrau ganze 18 ab, bei Schwedens 428 Minuten ohne Gegentor zwischen Gruppenphase und Viertelfinale stand Mušović 338 Minuten zwischen den Pfosten. Fast hätte es auch im Viertelfinale gegen Japan (2:1) mit einer weißen Weste geklappt, doch nach 87 Minuten war Mušović bei einem Flipper-Tor von Honoka Hayashi chancenlos.
88,5 Prozent gehaltene Schüsse
"Ja, das war gut", überraschte die Schwedin nach dem Japan-Spiel am Sportschau-Mikrofon mit Deutschkenntnissen. Mušović ist zweifellos eine der besten Torhüterinnen der WM - und auch der Welt. Laut Statistik-Website fbref.com sind ihre Reflexe Weltklasse, mit 88,5 Prozent gehaltener Schüsse zählt sie zu den besten Torhüterinnen weltweit. Nach dem Achtelfinal-Aus sagte USA-Trainer Vlatko Andonovski: "Ich kann mir keinen anderen Grund als die Torhüterin vorstellen, warum wir das Spiel nicht gewonnen haben."
Mušović oft nur auf der Bank
Ihre Weltklasse zeigen darf Mušović allerdings nur selten. Bei ihrem Klub, dem FC Chelsea, stand sie in der vergangenen Saison nur in zehn Spielen im Tor, in den zurückliegenden drei Spielzeiten in London sind es nur 19 Spiele. Mušović kommt in Chelsea nicht an Deutschlands Ann-Kathrin Berger vorbei.
Gegen die USA ist Zecira richtig herausgestochen und hat gut gehalten. Sie hat bewiesen, dass sie eine Mannschaft zum Sieg führen kann.
Aus Mangel an Spielpraxis in England musste sie im Nationalteam Jennifer Falk den Platz im Tor überlassen. Bitter, denn zuvor musste sie bereits bei der WM 2019, Olympia 2021 und der EM 2022 der schwedischen Ikone Hedvig Lindahl den Platz im Tor überlassen.
"Gefragt, wann ich endlich aufhöre"
"Das war eine harte Zeit", blickt Mušović zurück. Wie es ist, mit Hindernissen umzugehen, damit kennt sich die Tochter serbischer Eltern gut aus. Ihre Familie war in den 1990er-Jahren vor dem Jugoslawienkrieg aus dem heutigen Bosnien geflohen, sie selbst erblickte 1996 in Schweden das Licht der Welt. Den Fußball liebte sie schon als Kind. "Die meisten der Leute in meinem Umfeld hat das gestört, sie haben mich immer wieder gefragt, wann ich endlich mit dem Fußball aufhöre. Wann ich etwas tue, das für ein Mädchen angemessen ist", schreibt Mušović auf ihrer Website. "Da gab es viele Widerstände für mich."
Jüngstes Kind der Familie
Mušović ist das jüngste Kind der Familie, sie hat zwei Schwestern und einen Bruder, ihre drei Geschwister wurden alle im heutigen Serbien nahe der bosnischen Grenze geboren. Ihr Bruder wird zu ihrem größten Vorbild. Auch wenn er es nicht zum Fußballprofi schafft: "Ich habe angefangen, hinter dem Ball herzurennen, genauso wie er. Ich habe einen Bachelor in Wirtschaftswissenschaften, genauso wie er. Und er war einer der wenigen, der mich immer motiviert hat, Fußball zu spielen."
Reservistin in Rosengard, London und für Schweden
Mit nur 17 Jahren wechselt sie zum FC Rosengard, wo sie in acht Jahren 108 Spiele macht und nach einigen Anfangsschwierigkeiten zwischen 2018 und 2020 unangefochtene Nummer eins wird. Beim schwedischen Top-Klub wird sie mehrfach Meister und Pokalsieger. Auch nach ihrem Wechsel zu Chelsea 2021 muss sich Mušović hinten anstellen, die Entscheidung für das schwedische und gegen das serbische Nationaltrikot begründet die 1,87 Meter große Torfrau mit der Gastfreundschaft der Skandinavier, weil "die Schweden meine Familie mit offenen Armen empfangen haben". Doch auch hier bleibt ihr lange nur die Reservistenrolle.
"Sie haben gesagt, ich gewinne nie einen Pokal"
"Ich bin in meiner eigenen Geschichte gelandet und habe verstehen müssen, dass es niemals einfach ist", sagte Mušović vor dem WM-Turnier in einem großen Interview der schwedischen Zeitung "Dagens Nyheter". Doch: "Hartnäckig sein und einen starken Willen haben, sind Eigenschaften, die mir in die Waage gelegt wurden", schreibt sie auf ihrer Website. "Sie haben mir vorhergesagt, dass ich mit Fußball nie einen Pokal gewinnen werde. Doch bis jetzt habe ich schon sieben gewonnen", sagte Mušović im Podcast "Their Pitch" schon im April mit Stolz in der Stimme.
Top-Torhüterinnen spielen in England
Und so bereut sie weder den Wechsel nach England noch ihre Entscheidung für das schwedische Nationalteam. In kaum einer anderen Liga wie der englischen "Women's Super League" wird mittlerweile so viel Zeit und Geld investiert wie auf der Insel. Auch in die spezielle Ausbildung der Torhüterinnen. Die vier Top-Torfrauen der WM, Schwedens Mušović, Englands Mary Earps, Daphne van Domselaar aus den Niederlanden und Jamaikas Rebecca Spencer, spielen in England. Dass sich das Training von männlichen Torhütern von dem der Torfrauen unterscheiden muss, wurde in England früher als anderswo erkannt.
Frohms: Hüterinnen trainieren anders als Hüter
Mušović profitiert davon wie auch andere Torfrauen. Deutschlands Nationaltorhüterin Merle Frohms erklärte vor der WM in einem Interview mit dem Magazin "Der Spiegel", dass mittlerweile auch in der Bundesliga mehr Wert auf die speziellen Fähigkeiten der Torhüterinnen gelegt wird: Während bei den Männern vor allem die Athletik trainiert wird, sollen Frauen taktisch und technisch besser geschult werden. "Viele Torhüterinnen haben einen genauen Plan", so Frohms im "Spiegel". Es gehe darum, bewusst Positionen auf dem Spielfeld einzunehmen, "um die Wahrscheinlichkeit für Tore drastisch zu reduzieren". Es geht um das Verkürzen der Schusswinkel und Strafraumbeherrschung.
Halbfinal-Gegner Spanien: Ähnliche Torfrau-Geschichte
Mit diesem Wissen wuchs Mušović im WM-Achtelfinale gegen die USA über sich hinaus und wurde später zur Spielerin des Spiels geehrt. Im Halbfinale geht es nun gegen Spanien, wo Torfrau Cata Coll eine ähnliche Geschichte schreibt wie Schwedens Mušović.
Barcelonas Ersatz-Torhüterin musste in der Gruppenphase noch zuschauen, hatte dann aber großen Anteil an den spanischen Siegen im Achtel- und Viertelfinale. Coll kam bei Champions-League-Sieger Barcelona in der vergangenen Saison zu nur drei Einsätzen (ohne Gegentor) und machte bei der WM ihr Debüt im Nationalteam. Auch sie trägt wie Mušović die Rückennummer 1 - aber das ist dann schon wieder eine ganz andere Geschichte.