Kapitänsregelung im deutschen Fußball Schiri-Chef will keine "unangemeldeten Betriebsversammlungen"
Die neue Kapitänsregelung findet flächendeckende Anwendung im deutschen Fußball. Bei den Profis möchte der neue Schiri-Chef Knut Kircher noch andere Unsitten bekämpfen
Knut Kircher, so viel steht fest, ist an einem guten Miteinander gelegen. Dazu gehörte bei einer Schulungsveranstaltung auf dem Campus des Deutschen Fußball-Bundes (DFB), dass der neue Geschäftsführer Sport und Kommunikation der DFB Schiri GmbH allen Anwesenden persönlich die Hand schüttelte. Lieber zweimal als keinmal.
Daher möchte der kommunikative Nachfolger von Lutz Michael Fröhlich die Einführung der neuen "Kapitänsregelung", die bei der EM in Deutschland bei allen Seiten auf Zustimmung stieß, auch nicht als "Meckerregel“ verstanden wissen: "Gibt es ein Meckerverbot? Nein! Besteht ein Gesprächsverbot? Nein!“"
Die Kommunikation solle lediglich angemessen ablaufen; am besten so, wie am ersten Zweitliga-Spieltag, wo es laut des neues Schiri-Chefs doch kaum jemand gemerkt habe, dass Spieler und Schiedsrichter sich weiter ausgetauscht hätten. Man wolle nur "keine unangemeldeten Betriebsversammlungen" auf dem Platz. Ein hübsches Sinnbild, dass der oberste Dienstherr da schuf.
Markus Krösche ist grundsätzlich ein Befürworter
"Wir haben ein Mittel an die Hand bekommen und möchten das zum Wohle des Fußballs nutzen. Das positive Außenbild wollen wir fortführen", sagte der ehemalige Spitzen-Schiedsrichter Kircher. Mit Sportvorstand Markus Krösche (Eintracht Frankfurt) als Vertreter der Kommission der Deutschen Fußball-Liga (DFL) ist sich der 55-Jährige einig, dass das Spiel "flüssiger, besser, attraktiver" werden soll.
Die "leidigen Rudelbildungen" (Krösche) braucht ja eigentlich niemand. Und Sportarten wie Hockey oder Handball machen es bei den Olympischen Spielen gerade vor, dass ein respektvoller Umgang mit den Referees durchaus Alltag sein kann. Krösche erwartet zwar Akzeptanz auch bei den Spielern, "man muss den Jungs aber auch Zeit geben."
Die Bundesliga ist das Schaufenster für die Amateure
Im deutschen Fußball soll ab sofort flächendeckend nur noch der Kapitän beim Schiedsrichter vorsprechen - der Rest hält sich bitte zurück. Schließlich sei die Bundesliga eine Projektionsfläche bis hinein in die letzte Kreisklasse, erläuterte Kircher: "Wir sind im Schaufenster." Wer sich unangemessen, vor allem zu ausladend und aufgebracht beschwert, sieht die Gelbe Karte. Das kann in letzter Instanz auch den Kapitän treffen.
Wir sind Vorbilder, das geht runter bis zu den Amateuren.
Der DFB hat einen Lehrfilm erstellt, der auch den Unparteiischen an der Amateurbasis, die ihren Job unter erschwerten Bedingungen fast unentgeltlich verrichten, bei der Umsetzung helfen soll. Vielleicht ließen sich damit auch die Gewaltvorfälle senken, deutete der zuständige DFB-Vizepräsident Ronny Zimmermann an, denn Auslöser für derlei Delikte seien meist Rudelbildungen gewesen. Wäre ja mehr als ein netter Nebeneffekt, wenn die "Kapitänsregelung" eine so breite Befriedung erreicht.
Der neue Schiri-Chef Knut Kircher
DFL entscheidet am 13. August über halbautomatisches Abseits
Offen ist noch, ob in der Bundesliga die halbautomatische Abseitserkennung kommt, die sich bei der EM in Deutschland ebenfalls bewährt hatte. Der Ingenieur Kircher ("In Deutschland haben wir gerne Messgrößen für alles") würde es befürworten, nach seiner Meinung soll die Bundesliga ganz vorne sein, "was die Technik angeht".
Darüber wird am 13. August bei der DFL entschieden, denn letztlich ist das eine Kostenfrage. Bei den Nachspielzeiten will der deutsche Profifußball "moderater als bei der WM" bleiben, aber "ein bisschen mehr als bei der EM" (Kircher) draufschlagen.
Torhüter halten den Ball zu lange
Damit die bisherige Netto-Spielzeit von 58:30 Minuten steigt, sollen auch die Torhüter nicht mehr so lange den Ball halten wie bisher. Es habe sich eingeschlichen, dass statt der erlaubten sechs Sekunden das Spielgerät oft 25 bis 30 Sekunden in den Händen der Keeper verbleibt. Hier könnten die Referees vor Anpfiff in einem Gespräch mit den Ballfängern durchaus noch mal "präventiv und proaktiv" einwirken, ehe sie bestrafen.
Felix Brych wird in der Saison 2024/2025 wieder als Schiedsrichter in der Bundesliga zum Einsatz kommen. "Felix Brych ist fit. Felix Brych hat seine Leistungsprüfung bestanden", sagte der Schiedsrichter-Chef Knut Kircher. Im November des vergangenen Jahres hatte Brych einen Kreuzbandriss erlitten - ausgerechnet in seiner 344. Bundesligapartie, mit der er den Rekord von Wolfgang Stark einstellte. Brych ist seit 1999 DFB-Schiedsrichter, seit 2004 leitet er Bundesliga-Spiele. Inzwischen ist er 49 Jahre alt. Eine Altersregel gibt es nicht mehr
Auch hier sei es ähnlich wie bei der Kindererziehung, erklärte der dreifache Vater, "wenn du Leitplanken aufstellst, gibst du klare Orientierung". Was Kircher auch noch auf dem Kieker hat: Einwürfe, die bei der EM auffällig oft nicht regelkonform zur Aufführung gebracht wurden, sollen ordentlich mit beiden Beinen auf dem Boden ausgeführt werden: "Die einbeinige Standwaage wird nicht mehr akzeptiert!"
Handspielregel bleibt eine Krux
Eine Krux bleibt die Handspielregel, wo sich keine einheitliche Herangehensweise abzeichnet, die einen breiten Konsens findet. Bezeichnend: Bei der mehr als zweistündigen Schulung sah sich der als DFL-Vertreter im Raum sitzende Krösche berufen, FIFA-Schiedsrichter Sascha Stegemann bei einer nachträglich mit Elfmeter geahndeten Handspiel-Szene aus der Partie Union Berlin gegen SC Freiburg heftig zu wiedersprechen.
Niemals hätte der Videoassistent eingreifen dürfen, ereiferte sich der Frankfurter Funktionär, der vorschlug, das Handspiel aus den VAR-Eingriffen rauszunehmen. Ohnehin würde sich Krösche generell "weniger VAR" wünschen. Stegemann räumte ein, "dass die Fußballersicht oft eine andere ist". Seine Zunft würde indes bloß das Regelwerk befolgen: "Leider Gottes ist nicht alles Schwarz-Weiß. Auch wir Schiedsrichter werden weiter heftig diskutieren." Wichtig sei, dass er und die Kollegen "nicht nur Standbilder bewerten". Theorie und Praxis weichen hier zu oft voneinander ab, war herauszuhören.
Weitgehend Einigkeit herrscht inzwischen im deutschen Schiedsrichterwesen, wie der bei der EM besonders emotional diskutierte Fall Marc Cucurella zu bewerten gewesen wäre: Der Spanier hatte im Viertelfinale gegen Deutschland den Ball an den herunterhängenden Arm bekommen. Kircher sagte auf Sportschau-Nachfrage nun: "Die Indizien sprechen für Handspiel." Viele deutsche Fans würden ihm für diese Haltung wohl spontan die Hand reichen.