Das Eishockey-Jahr 2024 Fast nur Feste
Eishockey-Fans werden dieses Gefühl kennen. Die Rede ist jetzt vom "Fast"-Gefühl. Oder anders gesagt: Vom Ausdruck dafür, dass im letzten Moment etwas doch nicht geschehen ist. Bis vor kurzem sprach man in diesem Zusammenhang noch vom "Vizekusen"-Gefühl. Aber das ist ja nun vorbei.
Vielleicht heißt es im Eishockey künftig "55,5 Sekunden-Gefühl", weil Deutschland damals diese 55,5 Sekunden fehlten, um 2018 in Südkorea sensationell Olympiasieger zu werden. Leon Draisaitl wird es vermutlich das "Ein oder zwei Schüsse"-Gefühl nennen, denn mehr fehlten dem besten deutschen Eishockeyspieler Ende Juni ja nicht, um endlich den Stanley Cup zu gewinnen. Oder denken wir an Bremerhaven, einen Verein, der das Gipfelkreuz im Titelrennen schon fast berührt hatte, um dann doch den finalen Hang hinunterzurutschen. Aber der Reihe nach.
Leon Draisaitl (r.) in der NHL-Finalserie gegen Florida
WM unter schwierigen Vorzeichen
Die Eishockey-Nationalmannschaft der Männer spielte im Mai in Tschechien nicht das WM-Turnier, das sie spielen wollte. Es fehlten der unbekümmerte Schwung und feste Glaube an das Unmögliche. Es fehlten ein paar Spieler, die im Vorjahr noch den Weg ins Finale bereitet hatten. Der Berliner Marcel Noebels zum Beispiel, Verteidiger Leon Gawanke und vor allem der überragende Moritz Seider, der als Verteidiger mit Spielermacher-Qualitäten nicht zu ersetzen ist.
Seiders Können und sportliche Perspektive lassen sich auch an seinem neuen Vertrag in Detroit ablesen: In den kommenden sieben Jahren wird Seider bei den Red Wings rund 60 Millionen Dollar verdienen. Und wenn wir an dieser Stelle schon beim Geld sind: Auch Leon Draisaitl hat in Edmonton einen neuen Kontrakt unterschrieben, über acht Jahre mit einem garantierten Einkommen von mehr als 110 Millionen Dollar. Mehr verdient im Moment niemand in der besten Liga der Welt.
Doch zurück zur Nationalmannschaft, deren Trainerstab um Harry Kreis es immerhin gelang, ohne Probleme die KO-Runde der WM zu erreichen. Wieder wartete dann die Schweiz im Viertelfinale, wieder war Deutschland nur Außenseiter, aber anders als im Vorjahr in Riga, war dieses Mal Schluss. Das 1:3 von Ostrava war ein gerechtes Ergebnis, denn der deutschen Mannschaft fehlten dieses Mal nicht nur ein paar sehr wichtige Spieler, sondern auch Selbstbewusstsein, Respektlosigkeit und Entschlossenheit.
Und dies noch am Rande: Nachdem sich die Schweiz im Halbfinale gegen Kanada durchgesetzt hatte, schien der erste WM-Titel für die Eidgenossen tatsächlich überfällig zu sein, doch im Finale verloren die Schweizer nach schwacher Leistung mit 0:2 gegen Tschechien. Es blieb wieder einmal beim "Fast".
WM-Halbfinale in Reichweite
Auch für die deutschen Eishockeyfrauen hat es 2024 nur zu einem "Fast" gereicht. Und trotzdem war das ausklingende Jahr ein Mutmacher. Bei der WM in Utica, im Nordwesten der USA, dominierte die Mannschaft von Jeff MacLeod ihre Vorrundengruppe und verlor dann durch ein einziges spätes Tor gegen Tschechien mit 0:1. Es hätte also ein historisches Turnier werden können, wurde es aber nur fast.
Immerhin hatte diese WM für die Torhüterin Sandra Abstreiter einen unstrittig positiven Effekt: Die 26-jährige Freisingerin wurde ins All Star-Team der Weltmeisterschaft gewählt. Ein Novum fürs deutsche Frauen-Eishockey. Mit diesem Rückenwind löste Abstreiter ihren Vertrag in der gerade gegründeten Professional Women’s Hockey League (PWHL) auf und verließ Ottawa, weil sie hier kaum zum Einsatz gekommen war. Über das Trainingscamp der Victoire de Montréal sicherte sie sich dann vor ein paar Wochen tatsächlich einen neuen Profi-Vertrag. Was freilich nach mehr klingt als es im Moment noch ist: Maximal 80.000 Dollar lassen sich derzeit in der PHWL verdienen.
Olympia-Quali in Bremerhaven
Da Sandra Abstreiter nicht nur als herausragende Torhüterin, sondern auch meinungsstarke Anführerin in der Nationalmannschaft derzeit nicht zu ersetzen ist, war die Erleichterung im deutschen Team groß, als die PHWL bekanntgab, ihren Spielbetrieb für die Dauer der Olympia-Qualifikationen auszusetzen. Für Sandra Abstreiter kann sich deshalb Anfang Februar in Bremerhaven gegen Österreich, die Slowakei und Ungarn der große Traum vom Olympischen Turnier in Mailand erfüllen. Am Ende dieser Qualifikation sollte jedenfalls kein "Fast" stehen.
NHL-Stars und ihr Olympiatraum
Olympia ist natürlich auch der große Traum der deutschen Männer in Übersee: Leon Draisaitl, Tim Stützle, Moritz Seider, J.J. Peterka, Philipp Grubauer, Nico Sturm und Lukas Reichel. Und eine der spannenden Fragen wird sein: Gewinnt Leon Draisaitl vorher noch den Stanley Cup? Eine Chance hat er bis dahin mit seinen Oilers noch, die nach einem erneut struppigen Saisonstart mittlerweile gut in die Spur gefunden haben und mit dem Torgaranten Draisaitl klar auf Playoff-Kurs sind.
Der gebürtige Kölner Leon Draisaitl im Trikot der Edmonton Oilers.
Rückblickend wird Draisaitl aber auch das Jahr 2024 in der Fast-Kategorie verorten müssen. Denn nach einer fulminanten Aufholjagd während der Conference-Phase, marschierten die Oilers im Frühjahr durch die Playoffs und schienen auch im Finale gegen Florida leicht favorisiert. Doch dann wurde es dramatisch. Zunächst gingen die ersten drei Finalspiele verloren, dann schaffte Edmonton das Comeback zum 3:3, um schließlich das entscheidende Spiel mit 1:2 zu verlieren. Leon Draisaitl, der in den Runden zuvor überragend gespielt hatte, gelang in der gesamten Finalserie kein weiterer Treffer.
DEL mit Rekordmarken
Abschließend ein Blick auf die Deutsche Eishockey Liga, die ein erstaunliches Jahr hinter sich hat. Die Finalserie zwischen Berlin und Bremerhaven brachte zwar nicht mehr den erhofften Nervenkitzel, sondern den ziemlich souveränen zehnten Titelgewinn für die Eisbären. Aber: Die Liga selbst startet weiter richtig durch. Fast 7000 Zuschauer kamen durchschnittlich zu jedem Spiel. Ein Schnitt, der selbst in der Schweiz nicht erreicht wurde. Die Kölner Haie lockten trotz teilweise miserabler Leistungen vor eigenem Publikum, einem frühen Ausscheiden in den Playoffs, fast 17.000 Menschen in die immer noch beeindruckende Halle auf der rechten Rheinseite. Kein anderer Verein in Europa konnte da mithalten.
Die Kölner Haie hatten im Jahr 2024 den höchsten Zuschauerschnitt im europäischen Eishockey.
"Wir dürfen deshalb aber nicht größenwahnsinnig werden", warnt DEL-Geschäftsführer Gernot Tripcke, der auch die volatilen Jahre im deutschen Eishockey nicht vergessen hat. Die Kölner Haie sind jedoch dabei, ihren unglaublichen Zuschauerschnitt noch einmal zu steigern und haben jetzt schon bessere Zahlen als 15 Klubs in der NHL. Fast jedes Spiel ist ausverkauft. Das einzige "Fast", das im Zusammenhang mit dem deutschen Eishockeyjahr für große Zufriedenheit sorgt.