Günter Netzer im Deutschen Fußballmuseum

Ausstellung für eine Fußball-Ikone Netzers Tränen

Stand: 07.04.2025 23:57 Uhr

Das deutsche Fußballmuseum in Dortmund ist in diesem Frühjahr noch ein bisschen mehr zum Sehnsuchtsort für Fußball-Romantiker geworden. „Netzer - die 70er Jahre“ heißt der Titel einer Ausstellung, die seit gestern Abend in ein Jahrzehnt entführt, das für viele Fans noch immer „die gute alte Zeit“ im Fußball verkörpert. Und in der Günter Netzer der Sehnsuchtsspieler war, auch für diejenigen, die es nicht mit Gladbach hielten.

Es war einer dieser Momente, die mit großer Wucht herunterfahren. Nicht aus der Tiefe des Raums dieses Mal, sondern von einem kleinen Podium, auf dem Günter Netzer saß. Es passierte also etwas, das nicht zu erwarten war. Denn ein überwältigter, schluchzender Netzer war in all den Jahren voller Schlagzeilen nie zu erwarten gewesen. Nicht, wenn es etwas zu feiern gab. Und erst recht nicht, wenn es etwas zu betrauern gab.

Günter Netzer: "Ich fühle mich erschlagen"

Doch dieses 80-jährige Leben auf 1000 Quadratmetern Projektionsfläche und diversen Leinwänden in allen Farben und Facetten in gerade einmal 25 Minuten vorbeifliegen zu sehen - das war zu viel für Netzer. "Ich fühle mich total erschlagen", flüsterte er fast tonlos ins Mikrofon von Moderator Sven Pistor. Und es gab keinen Zweifel, dass das der Wahrheit entsprach. Seine eigene Sprachlosigkeit zu beschreiben, bedeutete für den Mann, der "eigentlich alles gesagt hat, was zu sagen ist", an diesem Abend eine neue Dimension der Öffentlichkeit und der Offenheit.

Dieser Bilder- und Zitatesturm durch Netzers Leben hat es auch wirklich in sich. Monatelang wurde daran mit unerhörter Akribie und Empathie gearbeitet. Für den Museumsdirektor Manuel Neukirchner und sein vielköpfiges Team ein echter Kraftakt, der sich immer wieder an der Frage rieb: Wie wurde Netzer in der Öffentlichkeit wahrgenommen und wie war seine Eigenwahrnehmung? Dieses Spannungsfeld, das bis heute besteht, bestimmt eine rasante Reise durch die 70er, die es so noch nie gegeben hat.

Viele bunte Erinnerungen

Doch warum ist das so? Warum sind die 70er bis heute ein Jahrzehnt, das Glücksgefühle weckt? Vielleicht liegt es auch an den Farben von damals. Orange, Grün, Rot oder Braun. Die 70er bleiben in der Erinnerung als das erste durchgehend farbige Jahrzehnt. Mit Farbfernsehen, mit grellfarbigen schnellen Autos (auch von Netzer), mit bunten Spülmittelblumen über dem Abwaschbecken in der Küche, mit Roten und Gelben Karten im Fußball und mit Mut zur Farbe in der Klamottenwahl.

Und mit Fußballern, die längst mehr darstellten als brav gescheitelte Durchschnittstypen. Johan Cruyff, Franz Beckenbauer, Paul Breitner, George Best, Mario Kempes und natürlich Netzer, der wie ein Dressman unterwegs war, selbst als in Mönchengladbach noch mit dem Finger auf seine unanständig langen Haare gezeigt wurde.

"Ich glaube, es gibt keinen Fußballer, mit dem man diese Zeit so gut erklären kann wie mit Günter Netzer", erklärte Museumsdirektor Neukirchner feierlich. "Die Zeit der unangepassten Individualisten. Für viele eine wunderbare Fußballzeit. Für viele ein Paradies, aus dem man sich nicht vertreiben lassen will. Und da schließe ich mich gerne mit ein."

Damit wären schon mal die wichtigsten Beweggründe für diese Fußball-Retroshow erklärt, die nun im Museum gegenüber des Dortmunder Hauptbahnhofs noch bis in den Oktober hinein gezeigt wird. Beschrieben wird ein Kapitel deutscher Gesellschaftsgeschichte, das sich wie beim "Wunder von Bern" am Fußball sehr nachvollziehbar erzählen lässt.

Netzer und das Feuilleton

Tatsächlich war es so, dass sich mit dem Beginn der 70er Jahre auch das Feuilleton für den Fußball zu interessieren begann. Mit seinen langen blonden Haaren, seiner Nähe zu Film- und Fernsehschaffenden und seinem Hang zu schnellen Autos und auch wegen seines Aussehens drängte sich Netzer geradezu auf, die Veränderung der Gesellschaft anhand der Veränderungen im Fußball zu erklären.

"Das hat mir sehr geschmeichelt. Ich fand das wunderbar, dass es Menschen gab, die solche Worte für mich und meinen Fußball fanden, die ich selbst nie imstande gewesen wäre zu finden", sagte er. Netzer hat noch immer diese klare Stimme, diese Präzision in seinen Sätzen, die stets den sicheren Weg zu ihrem Ende finden.

Und Netzer ist noch immer mit diesem hintergründigen Witz unterwegs, mit dieser Gabe, sich selbst und seine Gesprächspartner nicht über die Maßen ernst zu nehmen. Allerdings machte Netzer in Dortmund dabei eine rühmliche Ausnahme. Und auch hier stockte ihm die Stimme, weil die Erinnerung an seine Anfangszeit bei Real Madrid bis heute keine schöne ist.

Netzer und Paul Breitner - Ziemlich beste Freunde

Die Breitners hatten ihn damals kurzerhand in ihrer Familie aufgenommen, nachdem auch Paul in die spanische Hauptstadt gewechselt war. Und so dankte Netzer dem Ehepaar Hilde und Paul Breitner, ihm in Madrid auf die Sprünge geholfen zu haben, ihm ein soziales Netz gespannt zu haben. "Ich kann euch nicht genug danken", sagte Netzer, und unten im Foyer war auch Breitner längst das Wasser in die Augen gestiegen.

Netzer war vieles. Er war ein Fußball spielender Beau und ein kühl rechnender Geschäftsmann. Er war Vorbild und Idol für eine Jugend, die ihre Widersprüche gegen die Erwachsenenwelt ausleben wollte. Er wirkte wie ein Rebell und war doch der Sensibelste auf dem Platz, der ohne die bedingungslose Unterstützung seiner Mannschaft nicht auf seine Stärken vertrauen konnte. Ganz sicher ist das der Grund, warum Netzer sich im Verein stets wohler fühlte als in der Nationalmannschaft.

Netzer: "Werde besser gemacht als ich wirklich war"

Eines aber wollte Netzer nie sein: Ein Revoluzzer nämlich, ein 68er. Zwar überwarf er sich immer wieder auch öffentlich mit seinem damaligen Gladbacher Trainer Hennes Weisweiler, doch von der politischen Linken wollte sich der Lange vom Niederrhein deshalb auf keinen Fall vereinnahmen lassen. Und: So aufregend und unvorhersehbar sein Spiel auch war - der Netzer ohne Fußballschuhe wusste auch immer, wo und wie sich noch ein bisschen mehr Geld verdienen ließ.

Wahrscheinlich macht auch das bis heute den Reiz der Fußballers Netzer aus: Am Ball war er ein kühner Träumer, vielleicht sogar ein Poet. Abseits des Platzes ist er bis heute ein kluger, nüchterner Satzsucher und ein Mann, von dem man als Fan niemals das "Du" annehmen würde. Ein Mann, der heute noch glaubhaft versichert: "Jetzt, wo ich nicht mehr spiele, glaube ich, dass ich besser gemacht werde als ich wirklich war."