Skispringen Stefan Kraft - "Ich wünsche mir mehr Informationen"
Stefan Kraft ist einer der ganz Großen im Skispringen. Im Wintersport-Podcast spricht er über Rekorde, Weltreisen, Druck und den harten Moment bei der Vierschanzentournee.
Sportschau: Sie haben bei der Vierschanzentournee mit dem letzten Sprung den Sieg verloren. Wie geht es Ihnen knapp zwei Wochen nach diesem schmerzhaften Moment?
Stefan Kraft: Mittlerweile bin ich in einem sehr erfahrenen Alter und habe im Skispringen schon so viel erlebt, dass ich das relativ schnell wieder abhaken oder wegstecken kann. Natürlich war ich im ersten Moment sehr traurig und sehr unglücklich darüber, wie es gelaufen ist. Ich wusste, dass Kleinigkeiten entscheiden werden. Und so war es dann auch. Der Blick geht aber nach vorn, die Form stimmt. Aber ja, im ersten Moment war es schon sehr traurig.
Sportschau: Was ist Ihnen nach dem Sprung und dem Sturz vom ersten auf den dritten Platz in Bischofshofen durch den Kopf gegangen?
Kraft: Die ersten Minuten waren sehr schwierig. Man glaubt nicht, was gerade passiert ist. Ich war sehr selbstbewusst. Ich war überzeugt, dass ich das schaffe. Dass dann wirklich vier Punkte gefehlt haben, darauf war ich nicht vorbereitet, weil ich so selbstsicher war, dass ich das schaffen kann. Deswegen war die Enttäuschung im ersten Moment riesig. Wie es gelaufen ist, mit der langen Pause oben, war im ersten Moment sehr enttäuschend und einfach traurig. Ich habe dann aber schnell realisiert, es sollte einfach nicht sein.
Sportschau: Sie haben nach dem Springen harte Worte Richtung Rennleitung gefunden...
Kraft: Das war aus der ersten Emotion heraus. Eineinhalb Wochen später sage ich, die Jury hat nicht viel falsch gemacht. Das Einzige, was ich im Nachhinein sage, ist, dass man als Springer oben mehr Informationen braucht. Du hast keine Infos, ist es zu gut, ist es zu schlecht? Warum gibt es nicht drei, vier Vorspringer? Darüber würde ich mit der FIS gern noch mal reden.
Sportschau: Nach dem Sprung hat man Bilder gesehen, wie Sie Ihre Frau Marisa versucht, zu trösten. Was hat Sie gesagt?
Kraft: Ich glaube, ich habe sie mehr trösten müssen, als sie mich. Sie lebt das voll mit, steht an meiner Seite und war einfach auch total enttäuscht, wie es dann gelaufen ist. Wenn ich traurig bin, ist sie auch traurig. Es war aber nur für einen kurzen Moment, dann haben wir wieder gelacht.
Sportschau: Hat die Lockerheit zwischen Ihnen, Jan Hörl oder Daniel Tschofenig durch diesen Dreikampf um den Tournee-Sieg gelitten?
Kraft: Natürlich waren wir im ersten Moment enttäuscht, aber wir haben Daniel sofort gratuliert und hatten auf dem Podest schon eine lustige Sektdusche. Das sollten wir eigentlich öfter machen. Wir sind danach gemeinsam ins Österreichhaus, wo wir gefeiert und eine Champagnerflasche gesäbelt haben. Es war lustig. Wir hatten einen netten Abend. Das Verhältnis zu Daniel ist überhaupt nicht gestört. Wir verstehen uns sehr gut und sind Freunde.
Sportschau: Während Österreich die Tournee dominiert hat, wurde in Deutschland heftig diskutiert, auch über das Material. Hatte Österreich da einen Vorteil?
Kraft: Ich bin mir sicher, dass wir keinen großen Materialvorteil gehabt haben. Wir haben einfach sehr, sehr gut gearbeitet und natürlich haben wir uns die besten Anzüge für das Highlight aufgespart. Ich glaube, dass jeder Athlet seinen besten Anzug bei der Vierschanzen-Tournee auspackt.
Sportschau: Großes Gesprächsthema war die vermeintliche Wunderbindung, die auch noch abgedeckt wurde. Können Sie uns da ein bisschen Einblick geben?
Kraft: Das war mehr Spiel zwischen Medien und unserem Service-Team. Wir haben uns keine großen Gedanken gemacht, weil wir gewusst haben, dass wir alle kontrolliert werden. Da war nichts und von dem her habe ich mich damit gar nicht beschäftigt. Ich glaube, das war mehr Show als alles andere.
Sportschau: Nach der Tournee war erst einmal Weltcup-Pause. Können Sie überhaupt Pause machen?
Kraft: Ich habe mir schon mal zwei, drei Tage gegönnt. Aber natürlich versucht man, im Trainingsrhythmus zu bleiben. Ich war auch mit Langlauf-Ski unterwegs und ein, zwei Tage zum Wellness mit meiner Frau. Einfach mal kurz den Wind ein bisschen aus den Segeln rausnehmen, weil es jetzt schon wieder Schlag auf Schlag weiter geht. Es war ein guter Mix aus Regeneration und Training.
Sportschau: Der Österreichische Skiverband hat ein umfangreiches Ausbildungskonzept für junge Springer. Immer wieder kommen Top-Athleten nach. Was ist das Geheimnis?
Kraft: In Österreich machen viele ehemalige Skispringer sofort als Trainer weiter, sie geben ihre Erfahrungen an die jungen Springer. Das ist ganz wichtig bei uns. Die wollen, dass Skispringen in Österreich immer groß bleibt. Skispringen hat einen hohen Stellenwert in Österreich, darauf bin ich sehr stolz und froh.
Sportschau: Die Erwartungshaltung der Fans bei einer Tournee ist groß. Wie gehen Sie mit Druck um?
Kraft: Ich habe Gott sei Dank irgendwo das Gen in mir oder ich habe mir das antrainiert, angelernt, dass ich meistens meine besten Sprünge mache, wenn es wirklich um die Wurst geht, wenn brutaler Druck da ist. Ich glaube, das ist eine Gabe. Das habe ich in mir und darauf kann ich auch bauen. Ich bin extrem nervös da oben, alles zittert, da bekomme ich kaum ein Sicherheitsband rein.
Sportschau: Sie haben während der Tournee ausgiebig Interviews gegeben und waren nah dran an den Fans. Sind Sie einer, der die Atmosphäre aufsaugt?
Kraft: Ich bin auf alle Fälle der Typ, der mit den Fans kommunizieren muss und keiner, der sich irgendwo vergräbt. Ich würde auch nicht alleine in den Urlaub fliegen. Ich brauche immer Leute um mich, ich brauche den Rummel, dann funktioniere ich am besten.
Sportschau: Nach dem Dreifachsieg für Team Österreich steigen doch auch die Erwartungen der Fans für die komplette Saison und für die WM, oder?
Kraft: Natürlich wollen wir den Schwung mitnehmen und das fortsetzen. Die Konkurrenz wird uns das nicht so leicht machen. Die werden Vollgas geben und versuchen, uns nervös zu machen und uns aus der Ruhe zu bringen. Unser großes Ziel ist Team-Gold bei der WM. Das fehlt mir auch noch in meiner Sammlung. Wir haben diese Saison gute Chancen.
Sportschau: Sie haben letzte Saison den Gesamtsieg gewonnen. Ist der Ehrgeiz, die große Kugel erneut zu gewinnen, nach dem Tournee-Drama noch mal größer?
Kraft: Das ist auch so etwas, was passieren muss, was man nicht planen kann. Das habe ich mittlerweile gelernt. Es ist immer die Kunst nach so einer erfolgreichen Saison, wie letztes Jahr, wieder erfolgreich zu sein. Von dem her bin ich mega-happy, wie ich es wieder geschafft habe, einer der Besten zu sein. Das macht mich unheimlich stolz. Ich glaube, um den Gesamtweltcup kann man erst nach der WM reden.
Sportschau: Nach der überragenden letzten Saison sind Sie in der Vorbereitung andere Wege gegangen und waren sechs Wochen mit Ihrer Frau auf Weltreise. Was haben die Trainer zu der Idee gesagt?
Kraft: Die Trainer waren im ersten Moment nicht begeistert, aber als sie meinen Plan gesehen haben, waren sie hellauf begeistert von meiner Idee und haben das sofort unterstützt. Es war schon cool, wenn man sich in seinem Job einfach für so lange Zeit rausnehmen kann. Natürlich habe ich super trainiert dort und bin sehr fit zurückgekommen. Es gab überhaupt kein Manko - außer vielleicht ein paar Sprungeinheiten.
Sportschau: Leistungssportler auf Weltreise. Sie haben ja nicht sechs Wochen am Strand gelegen, oder?
Kraft: Nach drei Tagen ohne Sport bin ich nicht mehr zu genießen und immer wieder in die Kraftkammer geschickt worden. Oder wir sind auf einen Berg gegangen. Auch in Hawaii kann man super wandern.
Sportschau: Sie sind Weltrekordhalter, dreifacher Gesamt-Weltcup-Sieger, mehrfacher Weltmeister und Olympiasieger mit dem Team. Welche Träume möchten Sie sich noch erfüllen?
Kraft: Das eine, was ich unbedingt noch brauche, gibt es nicht mehr. Diesen Druck will ich mir gar nicht aufsetzen, weil ich schon so viel mehr erreicht habe, als ich mir hätte vorstellen können. Wichtiger sind mir die Emotionen, die ich erleben darf, wenn am Bergisel zigtausend Österreicher, das Team, die Familie unten Schulter an Schulter stehen und die Nationalhymne singen. Das sind Momente, für die trainiert man so gern, so hart. Diese Emotionen immer wieder zu erleben, ganz oben stehen und die Hymne zu singen, das treibt mich an.
Das gesamte Interview mit Stefan Kraft mit Themen wie der für Preuß unglücklich verlaufenen WM 2024 in Nove Mesto sowie ihrer Meinung zu den Regeländerungen im Biathlon gibt es im Wintersport-Podcast der Sportschau.