Langlauf Schlickenrieder - "Man muss manchmal auch bremsen"
Am Freitag (29.11.2024) beginnt im finnischen Ruka die Langlauf-Saison, bevor es im Dezember noch nach Lillehammer und Davos geht. Im Sportschau-Interview spricht Bundestrainer Peter Schlickenrieder über die Saisonziele, die Form seiner Stars, den Nachwuchs - und über seine eigene Zukunft.
Sportschau: Wenn Sie auf die bevorstehende Saison blicken - wann wäre die ein Erfolg für Sie?
Peter Schlickenrieder: "Wenn wir es geschafft haben, dass unsere Athletinnen und Athleten einen Step nach vorne gemacht und den Abstand zur Weltspitze weiter verringert haben. Und im Fall von Victoria Carl oder Friedrich Moch: Wenn sie die Podestplätze, die si von sich erwarten, auch eingeheimst haben.
Das große Ziel ist, nicht stehen zu bleiben, nicht rückwärts zu gehen, sondern die möglichen zwei, drei Prozent Verbesserung zu erreichen. Aber das ist sehr individuell. Man kann sich auch mal über einen 50. Platz freuen, wenn der Abstand passt und man vielleicht näher an die Besten herangerückt ist."
Wie lief die Saisonvorbereitung, wie ist die Form Ihrer Schützlinge vor dem Start?
Schlickenrieder: "Wir sind tatsächlich nicht ganz so im Rhythmus. Diesmal haben wir umgestellt, haben im Sommer ein sehr hartes und umfangreiches Training in den Bergen von Goms in der Schweiz absolviert - das hat dann doch einige Spuren hinterlassen. Es gab dann schon eine ziemliche Ermüdung bei den Athleten, die man im Herbst gespürt hat. Aber zuletzt die unmittelbare Saisonvorbereitung hat mich wieder sehr positiv gestimmt - auch wenn es bisher schwierig war, sich mit den anderen Nationen zu vergleichen."
Lucas Bögl musste nach einem Sturz mit dem Mountainbike im Juni operiert werden. Wie hat er das alles weggesteckt?
Schlickenrieder: "Der Sturz kam natürlich zu einem blöden Zeitpunkt in einer sehr umfangreichen Trainingsphase. Das hat Lucas aber schnell weggesteckt, der Rehaprozess wurde sehr schnell wieder eingeleitet. Vielleicht kommt es ihm jetzt sogar etwas zugute, dass er in dieser Phase sehr viel im Kraftbereich und in der vorbeugenden Trainingsarbeit geleistet hat."
Wie sind die Topathleten wie Friedrich Moch, Katharina Hennig oder Victoria Carl in Schuss?
Schlickenrieder: "Friedrich Moch hat im Oktober noch eine Corona-Erkrankung gehabt, er hat sich aber gut und schnell wieder gefangen. Katharina Henning ist damit ebenfalls in dieser Phase länger ausgefallen. Victoria Carl ist sehr gut durchgekommen, sie hat hohe Umfänge durchgezogen, im Sommer hat sie fast zuviel gemacht und war dann auch mal so richtig am Limit. Aber sie hat das alles sehr gut weggesteckt und konnte fast als Einzige sehr gut durchtrainieren. Ich bin insgesamt sehr positiv gestimmt, dass wir gesamtmannschaftlich beim Saisonstart einen sehr guten Aufschlag machen können."
Macht der Nachwuchs genug Druck auf die Etablierten? Wer könnte von den Jüngeren für eine Überraschung sorgen?
Schlickenrieder: "Der Langlaufsport ist eigentlich nicht so für Überraschungen prädestiniert, aber die Jungen machen schon sehr deutliche Schritte nach vorne. Bei einer Helen Hoffmann oder einer Lisa Lohmann ging es jetzt natürlich darum, erstmal die viel höheren Trainingsumfänge zu verkraften.
Es gibt sehr viele gute Ansätze, aber es ist natürlich alles noch nicht stabil, auch bei einem Jan Stölben, Anian Sossau oder Marius Kastner, der manchmal auch zuviel trainiert. Also man wird die Fortschritte nicht jedes Wochenende sehen - aber das ein oder andere Ausrufezeichen wird unser Nachwuchs ganz sicher setzen."
Mit welchen Erwartungen und Hoffnungen gehen Sie den Saisonhöhepunkt an - die WM in Trondheim ab dem 26. Februar? Machen Sie Ihrem Kader da Medaillenvorgaben?'
Schlickenrieder: "Medaillenvorgaben machen sich die Athleten selbst, die brauchen sie nicht von mir. Man muss manchmal sogar eher bremsen, etwas Gas rausnehmen, damit die Sportler nicht vom Ehrgeiz zerfressen werden oder von ihrer Übermotivation. Ziel ist es auf jeden Fall, nicht nur bei einer WM mitzulaufen, sondern eine konstante Steigerung zu erreichen."
Wie sehr liegt jetzt schon der Fokus auf der WM?
Schlickenrieder: "Es geht auch darum, die Belastung richtig zu steuern, nicht bei jedem Event jedes Rennen zu absolvieren, sondern sich die Kräfte für die ganze Saison richtig einzuteilen. Deswegen fokussieren wir jetzt auch nicht alles auf die Weltmeisterschaft, denn wir wollen vor allem nachhaltig erfolgreich sein."
Die 19. Tour de Ski findet erstmals komplett in Italien statt. Damit sollen auf den sieben Etappen, die diesmal auf dem Programm stehen, die Reisekilometer und der Terminstress für alle Beteiligten reduziert werden. Wie finden Sie das?
Schlickenrieder: "Sehr gut! Es ist eine Win-win-Situation für die Umwelt, für die Athleten und uns Betreuer. Etwas für die Umwelt zu tun, ist uns ein sehr wichtiges Anliegen, denn ohne gegen die Klimaerwärmung zu kämpfen, wird es unseren wunderbaren Sport in dieser Form sicher irgendwann nicht mehr geben. Und dazu sind es auch noch sehr schöne Orte, Toblach oder Val di Fiemme, das ist schon das Eingrooven auf die Olympischen Spiele. Und da haben wir auch schon sehr große Erfolg erzielt - das sind Wettkämpfe, bei denen wir uns wie zu Hause fühlen."
Dennoch werden wohl einige Athleten angesichts der folgenden WM die Tour de Ski auslassen und lieber trainieren. Petter Northug hat das kritisiert und meinte, der Langlauf brauche mehr Großereignisse als die WM, um interessant zu bleiben. Wie ist Ihre Haltung dazu?
Schlickenrieder: "Wir überlegen uns bei jedem Weltcup, wo setzen wir welchen Athleten ein, um keinen zu überfordern. Aber das hat nichts primär mit der Tour de Ski zu tun, das tun wir laufend, man kann auch mal ein, zwei Weltcups auszulassen, um stattdessen zu trainieren. Aber grundsätzlich: Die Tour de Ski ist für uns Deutsche ein absolutes Highlight, das wird sie auch immer bleiben. Die Tour zu laufen und so lange wie möglich dabei zu bleiben, das ist etwas, was sich jeder unserer Athleten gerne in sein Poesiealbum schreibt, das hat einen sehr hohen Stellenwert."
Apropos lange dabeibleiben: Sie sind 2018 angetreten und wollten ursprünglich bis 2022 Bundestrainer sein. Jetzt geht die Planung bis zu Olympia 2026 – oder sogar darüber hinaus?
Schlickenrieder: "Ja, ich muss ehrlich sagen: Mir macht es Spaß und es geht jedes Jahr vorwärts. Das Team wird jedes Jahr besser. Am Anfang habe ich gedacht, das machst du drei Jahre und dann holst du eine WM-Medaille in Oberstdorf - das ist dann doch ziemlich in die Hose gegangen. Aber die Arbeit mit den Menschen am Limit ist unheimlich spannend und schon einfach etwas anderes, als in der Geschäftswelt irgendein Produkt zu verkaufen. Es ist ein spannender Prozess und so lange sich der Flow so weiterentwickelt wie jetzt, finde ich es einfach spannend und bin ich gerne dabei."
Was haben Sie denn noch für Träume?
Schlickenrieder: "Der Traum ist, irgendwann als Rentner oder Opa im Fernsehsessel zu sitzen und mitanzusehen, wie die jetzt junge Generation der deutschen Langläufer weiter erfolgreich ist. Die Vision ist, die mich treibt: Dass man den Langlaufsport so aufstellt, dass Kinder weiter Spaß an diesem tollen Sport haben und dass wir immer wieder Athleten iun die Weltspitze bringen. Da braucht es aber noch einige Veränderungen."
Was meinen Sie damit konkret, was muss sich dafür ändern?
Schlickenrieder: "Es gilt noch mehr, ein Auge auf den Nachwuchs zu richten. Das haben wir vielleicht in den letzten Jahren ein bisschen vernachlässigt. Aber da verändern wir gerade viel, da passiert viel Gutes. Es kommen Top-Leute ins Team, die für diese Passion brennen, die neue Ideen einbringen, die Leute begeistern und mitnehmen - und nicht auf die Uhr schauen, wann der Dienstschluss erreicht ist. Dieser Sport, ob jetzt immer nur auf Skiern oder allgemein der Ausdauersport - das ist einfach ein Rezept für ein glückliches Leben. Das würde ich gern weitertransportieren und dafür finde ich gerade immer mehr Mitstreiter."
Wie lange würden Sie den Job denn nach Olympia 2026 gerne noch machen?
Schlickenrieder: "Sobald ich den gefunden habe, der sagt, jetzt übernehme ich den Laden, und der macht es so, wie ich es mir vorstelle - dann bin ich sofort weg und übergebe das Zepter sehr gerne."