Vor dem Weltcup-Start Biathlon-Talent Selina Grotian: "Nicht Lena und nicht Laura"
In der vergangenen Saison räumte Selina Grotian im Biathlon-Nachwuchs alles ab und feierte bereits Erfolge bei den Erwachsenen. Kann sie auch im Weltcup angreifen? Erik Lesser meint: "Das Rüstzeug hast Du". Ein paar große Vergleiche tun sich auf.
Ihre wichtigsten sportlichen Erfolge feierte Deutschlands größtes Biathlon-Talent bereits im Frühjahr. Einem Millionenpublikum wurde Selina Grotian aber erst im Herbst bekannt. Und nicht mit Gewehr, Rennanzug und auf Schnee, sondern im Abendkleid und in einer Unterhaltungsshow. Grotian hatte im MDR Fernsehen bei der "Goldenen Henne 2023" ihren großen Auftritt.
"Aufsteigerin des Jahres" und "heftig geflext"
Die 19-Jährige wurde bei dem Publikumspreis als "Aufsteigerin des Jahres" geehrt. Unter anderem für vier Goldmedaillen bei der Junioren-WM und einem kompletten Medaillensatz bei den Europameisterschaften in diesem Jahr. Die Laudatio auf Grotian hielt der dreifache Olympiamedaillengewinner Erik Lesser.
Der Thüringer lobte die Bayerin: "Du hast die Schüler- und Jugendklassen gerockt, da war es nur eine Frage der Zeit, wann Du international für Furore sorgen wirst. Die Juniorenklassen hast Du dominiert und letztes Jahr heftig geflext. Weltcupdebüt mit 19 Jahren - feinste Sahne."
Immer bei den Jahrgangsbesten
Der Aufstieg von Grotian ist tatsächlich beeindruckend. Die Mittenwalderin betreibt seit ihrem neunten Lebensjahr Biathlon und gehört von Beginn an jährlich zu den Besten ihres Jahrgangs. Deutschlandpokal, Junioren-EM, Junioren-WM - überall stand sie oben auf dem Podest. In der vergangenen Saison schaffte sie mit 18 den Durchbruch im IBU-Cup.
In der zweiten Biathlon-Liga der Erwachsenenklasse duellierte sie sich mit den weltcuperfahrenen Vanessa Hinz oder der Schwedin Mona Brorsson auf Augenhöhe, feierte zwei Siege im IBU-Cup. Im Laufe der Saison kletterte Grotian bis auf Rang drei des IBU-Cups. Bevor sie bei der Junioren-WM komplett abräumte und ihr Winter mit dem ersten Weltcupstart gekrönt wurde. In Oslo durfte sie auf dem legendären Holmenkollen starten und wurde in ihrem ersten Rennen 44. im Sprint.
Deutschlands Biathletin Selina Grotian in der Vorsaison.
Parallelen zu Dahlmeier und Neuner
Ist in Oberbayern zwischen Karwendel- und Wettersteingebirge in den vergangenen Jahren ein Talent herangewachsen, das auf den Spuren der Biathlon-Legenden Magdalena Neuner und Laura Dahlmeier wandelt? Die Parallelen sind da und unübersehbar.
Auch Neuner und Dahlmeier wurden von Heimtrainer Bernhard Kröll entdeckt. Auch sie dominierten ihre Jugendklassen. Auch Neuner und Dahlmeier zählten wie Grotian läuferisch zu den Besten. Nur - Grotian mag diese Vergleiche nicht. Das machte sie schon im März klar, als sie kurz vor ihrem Weltcupdebüt auf Instagram schrieb: "Magdalena ist Magdalena - Laura ist Laura - und Selina. Das bin ich, einfach ein Mädchen, das Biathlon liebt."
Erfolgstrainer Kröll: "Gewisse Vergleiche sind da"
Und auch Kröll winkt ab: "Gewisse Vergleiche sind da, wobei ich persönlich sehr ungern Sportler miteinander vergleiche", sagte der Erfolgstrainer im März im Bayrischen Rundfunk.
Also Grotian. Was sind die Stärken des großen Nachwuchstalents? Die liegen ohne Zweifel im Läuferischen - bei der Junioren-WM hatte sie in all ihren Rennen die schnellste oder zweitschnellste Laufzeit. Im IBU-Cup glänzte sie beständig in den Lauf-Top-10. "Meine Stärke ist die Schlussrunde, dafür bin ich bekannt", berichtet Grotian über Grotian in einem Video der Sporthilfe.
Gelassenheit am Schießstand
Hinzu kommen Ruhe und Gelassenheit am Schießstand. Im BR erklärt sie, sie könne "einfach mal den Kopf ausschalten und mein Ding machen". Auch Lesser sieht darin eine Stärke: "Eine Deiner vielen Eigenschaften, die ich schätze, ist Deine Bodenständigkeit. Einfach mal Biathlon sein zu lassen und chillen."
Reserven hat Grotian, deren Bruder Tim es zwischen 2017 und 2020 unter anderem in den IBU-Cup schaffte, noch im Schießen. In diesem Winter will sie sich von einer 80-Prozent-Trefferquote auf 85 Prozent steigern, wie sie bei der Offiziellen Winter-Einkleidung des Deutschen Ski-Verbandes im Oktober verriet.
In Sjusjoen besser als Preuß und Davidova
Die Deutschen Meisterschaften im September musste sie erkrankungsbedingt noch absagen. Aus einem ersten Test unter Quasi-Weltcupbedingungen konnte Grotian zumindest etwas Erfahrung für den Winter mitnehmen - auch wenn hier noch keine Verbesserung am Schießstand gelang.
Bei den Test-Wettkämpfen Mitte November in Sjusjoen wurde Grotian im Sprint mit fünf Schießfehlern nur 33. Im Massenstart kam sie als 16. aber deutlich vor Teamkollegin Franziska Preuß (25.) und der dreifachen tschechischen Weltcupsiegerin Marketa Davidova (27.) ins Ziel.
Lesser: "Klasse zu halten, wird schwieriger"
Ende Oktober stand Grotian im Rampenlicht der "Goldenen-Henne"-Show. Ab dem kommenden Wochenende steht sie im Weltcup-Rampenlicht und misst sich mit den weltweit besten Biathletinnen. In Östersund wird sie im Einzel oder im Sprint einen Startplatz bekommen. Aufgeregt? "Ich versuche, das nicht ranzulassen", bleibt Grotian äußerlich cool.
Erik Lesser, aus dem die Erfahrung von 285 Weltcupstarts, sieben Weltmeisterschaften und drei Olympischen Spielen spricht, gibt noch diesen Hinweis: "Den Aufstieg hast Du bis hierher gemeistert. Die Klasse zu halten, wird aber etwas schwieriger. Das Rüstzeug hast Du."