Vor dem Weltcup-Start Biathlon-Favoritencheck: Die Frauen - Fünfkampf um die Kristallkugel
Biathlon-Weltcupsiegerin Julia Simon erlebte einen unruhigen Sommer. Triumphiert die Französin trotzdem auch in diesem Winter? Gefährlich könnten eine Italienerin und eine Norwegerin werden.
Julia Simon: In Topform trotz Verfahren?
Bei den Biathlon-Frauen ist Julia Simon die Gejagte in der neuen Saison. Die 27-Jährige eroberte das Gelbe Trikot in der Vorsaison bereits im vierten Rennen – und gab es bis zum Saisonende nicht her. Die Verfolgungs-Weltmeisterin von Oberhof überzeugte als drittschnellste Läuferin im Weltcup und zeigte mit 89 Prozent Trefferquote am Schießstand die besten Werte ihrer Karriere. Bei den französischen Meisterschaften im Oktober gewann sie das Verfolgungsrennen, beim letzten Test der Franzosen vor dem Weltcup siegte sie im Sprint. Doch Simon hatte insgesamt keinen ganz ruhigen Sommer.
Julia Simon auf der Strecke in Oslo
Gegen Simon läuft ein Verfahren wegen Kreditkartenbetrugs – sie soll von der Karte einer Teamkollegin einen vierstelligen Betrag gestohlen haben. Simon selbst beteuerte, sie sei selbst Opfer gewesen. Trotzdem entschied sich die Olympia-Silbermedaillengewinnerin von 2022, im Sommer ohne das Team zu trainieren – was die Einschätzung ihrer Leistung etwas schwierig macht. Dennoch verspricht sie: "Ich werde in der neuen Saison in die Offensive gehen", wie sie dem französischen "Nordic Magazine" sagte.
Lisa Vittozzi: Blackout überwunden?
Bereits in Top-Form präsentierte sich Lisa Vittozzi. Die Italienerin, die bereits in der Vorsaison in den Rennen zwei bis vier das Gelbe Trikot trug, beeindruckte Mitte November beim "Sesonstart" im norwegischen Sjusjoen, als sie den Sprint gewann und im Massenstart trotz offensichtlicher Materialprobleme starke Dritte wurde. Vittozzi hatte noch im Sommer in einem Interview offen über mentale Probleme gesprochen. Sie berichtete über Panikattacken und einen "zwei Jahre langen totalen Blackout", wie sie dem italienischen Portal "The Owl Post" sagte.
Lisa Vittozzi aus Italien
Die Probleme scheint sie endgültig überwunden zu haben, bereits in der vergangenen Saison konnte sie sich läuferisch steigern und ihre Trefferquote am Schießstand von 74 Prozent in der Saison 2021/22 auf 89 Prozent im Winter 2022/23 verbessern. Im Sommer und zuletzt in Sjusjoen blieb Vittozzi konstant schnell und treffsicher. Anders übrigens als Landsfrau Dorothea Wierer, die in Sjusjoen wegen eines Infektes fehlte.
Ingrid Landmark Tandrevold: Eine echte Nummer eins?
Im norwegischen Frauen-Team ist nach dem Rücktritt von Marte Olsbu Röiseland und Tirill Eckhoff nun Ingrid Landmark Tandrevold die Nummer eins. Die 27-Jährige überzeugte in Sjusjoen als beste Läuferin im Sprint und Massenstart sowie den Plätzen zwei und vier. "Ich war ein bisschen skeptisch. Es hat sich angefühlt, als käme die Saison etwas zeitig in diesem Jahr. Aber das war genau, was ich brauchte", sagte Tandrevold nach dem Sjusjoen-Auftakt im norwegischen TV "NRK".
Ein Vorteil im Weltcup könnte für Tandrevold wie für die anderen Norwegerinnen das Material werden. Nach dem Verbot von Fluorwachs hat das norwegische Team offenbar die beste Wachs-Mischung gefunden. "Das ist unfair. Für mich ist das ein Vorteil für uns. Das hat man heute gesehen", sagte Tandrevold mit Blick auf die Konkurrenz im "NRK".
Ingrid Landmark Tandrevolt aus Norwegen in der Mixed-Staffel von Nove Mesto
Elvira Öberg: Ist der Akku wieder voll?
Im Kampf um die große Kristallkugel will in diesem Jahr aber auch Elvira Öberg ein Wörtchen mitreden. Die 24-jährige Schwedin war in den vergangenen beiden Weltcup-Vorbereitungsrennen in Idre Fjäll die Schnellste, gewann Mitte November den Sprint und wurde im verkürzten 12,5-Kilometer-Einzel Zweite. Es scheint, als wäre die dreifache Olympiamedaillengewinnerin bereit für den Kampf um das Gelbe Trikot.
Vor dem Weltcup-Start am Wochenende in Östersund sagt die jüngere Schwester von Einzel-Olympiasiegerin und -Weltmeisterin Hanna Öberg selbstbewusst auf "biathlonworld.com": "Müsste ich zwischen einem Weltmeistertitel und dem Weltcupgesamtsieg wählen, würde ich mich für die Große Kristallkugel entscheiden."
Elvira Öberg.
In der vergangenen Saison war die laufstarke WM-Dritte mit der Staffel lange dicht dran an der Weltcupspitze. Doch eine Erkrankung am Ende der Saison machte alle Weltcup-Hoffnungen zunichte. Im Sommer kämpfte sie sich langsam heran, seit September kann sie erleichtert sagen: "Mein Körper gehorcht mir wieder." Mit 90 Prozent Trefferquote (im vergangenen Winter lag sie bei 88 Prozent) will sie nun ganz vorn angreifen.
Franziska Preuß: Ohne Infekt durch die Saison?
Und wer kann aus dem deutschen Team vorn mitmischen? Vielleicht Franziska Preuß – wenn sie gesund bleibt. Die Ruhpoldingerin hat eine lange Leidenszeit hinter sich, erlebte wegen Infekten immer wieder Rückschläge. So wie in der Saison 2016/2017 oder im vergangenen Winter, als sie nur sieben von 21 Rennen absolvieren konnte.
Franziska Preuß
Dabei kann die 29-Jährige ganz nach vorn laufen. In der Saison 2020/21 wurde sie Gesamt-Weltcup-Dritte, im Winter 2014/15 gewann sie die kleine Massenstart-Kristallkugel. "Ich habe absolut keinen Zweifel, dass in der Franzi noch sehr viel Weltklasse steckt, insofern es die Gesundheit zulässt. Derzeit ist sie auf einem guten Weg", sagte der deutsche Biathlon-Sportdirektor Felix Bitterling der Deutschen Presse-Agentur. Bei den deutschen Meisterschaften im Herbst gewann sie gleich alle drei Titel.
Wer könnte überraschen?
Geht es nach dem neuen Langlauf-Trainer der Biathlon-Männer, Jens Filbrich, sollte man Hanna Kebinger auf dem Zettel haben. Der Thüringer betreute die 25-Jährige lange im IBU-Cup und weiß um die Stärken der Bayerin. In der vergangenen Saison schnupperte Kebinger als Massenstart-Vierte von Oslo bereits am Weltcup-Podest. In der WM-Staffel von Oberhof lief sie aber mit dem deutschen Team zu Silber. "Mit 'Fibs' habe ich viel zusammengearbeitet. Das freut mich, dass er so viel in einem sieht", sagte Kebinger im Sportschau-Wintersport-Podcast.
Auf dem Radar haben könnte man auch Justine Braisaz-Bouchet. Die Französin legte im vergangenen Jahr eine Pause nach Geburt ihrer Tochter ein. Nun kehrt die Massenstart-Olympiasiegerin von 2018 in den Weltcup zurück. Bisher feierte die 27-Jährige fünf Weltcupsiege. Aber, so sagt Konkurrentin Elvira Öberg mit Verweis auf die erfolgreichen Biathlon-Mamas Darija Domratschewa, Marie Dorin Habert oder Anastasia Kuzmina trocken: "Es wäre nicht das erste Mal, dass jemand aus der Babypause zurückkehrt und besser ist als je zuvor."