"Das war ein Auf und Ab" Deutsche Biathleten ziehen gemischte Bilanz
Was bleibt von der Biathlon-Saison? Mehr Weltcup-Podstplätze für das deutsche Team als im Vorjahr. Dazu drei Gelbe Trikots. Aber auch Ärger um das Wachs. Und der Abschied des deutschen "Capitano".
Zum sonnigen Finale der Biathlon-Saison am Fuße der kanadischen Rocky Mountains wurde es am Sonntag (17.03.2024) im deutschen Team noch einmal emotional. Mit ihrem zweiten Platz im Massenstart feierte Janina Hettich-Walz das erste Weltcup-Podest ihrer Karriere. "Ich habe alle meine Ziele erreich und bin für den Moment einfach nur glücklich", freute sich die 27-Jährige nach dem Frauen-Rennen. Nach dem Männer-Rennen wurde Benedikt Doll mit Konfettikanonen und Champagner verabschiedet und versprach: "Das letzte Rennen konnte ich nicht genießen. Aber jetzt werde ich das Leben genießen."
Drei Deutsche zwischenzeitlich in Gelb
Doll und Hettich-Walz hatten ihren großen Anteil daran, dass die deutsche Biathlon-Bilanz besser aussieht als im Jahr zuvor. Fünf Weltcupsiege sammelten die Deutschen in diesem Winter und liefen insgesamt 24 Mal aufs Podest, das sind fünf Podestplätze mehr als im Vorjahr. Wie in der Saison 2022/23 gab es drei WM-Medaillen. Vier Männer und drei Frauen landeten in den Top 15 des Gesamt-Weltcups. Mit Franziska Preuß, Philipp Nawrath und Roman Rees trugen sogar drei Deutsche kurzfristig das Gelbe Trikot der Weltcupspitzenreiter. Und bei den Männern beendeten die Deutschen die Saison auf Rang zwei des Nationencups – hinter Norwegen, aber noch vor Frankreich und Schweden. "Wir haben deutliche Schritte nach vorn gemacht", so die Bilanz von Biathlon-Sportdirektor Felix Bitterling.
Nawrath: "Hätte mir mehr Konstanz gewünscht"
In die deutsche Bilanz zogen bei frühlingshaften 15 Grad in Canmore ein paar Wolken. "Diese Saison, das war ein Auf und Ab", blickte Vanessa Voigt auf die vergangenen Monate seit dem Saisonstart im November zurück. Auch Bitterling bilanziert: "Es war ein Auf und Ab." Und leicht abgewandelt sagt Nawrath, zweifacher Gelb-Träger und Weltcupsieger von Östersund: "Ich hätte mir ein bisschen mehr Konstanz gewünscht."
Philipp Nawrath
Bitterling: "Es gibt Baustelllen"
Für Bitterling ist klar: "Es gibt noch ein paar Baustellen." Sowohl beim Material als auch ganz individuell in den Rennen. In Sachen Skitechnik denken alle im deutschen Team mit Grausen an die WM im tschechischen Nove Mesto zurück. Mit dem Verbot der Fluorwachse in dieser Saison kamen die deutschen Skiwachser nur so mittelprächtig zurecht. Bei kalten Temperaturen zauberte der Wachstruck echte Raketen an die Füße der Athleten. Doch je wärmer es wurde, desto zäher wurde die Angelegenheit unter den Skiern. "Läuferisch gibt es skitechnische Probleme, wenn es warm und tief und nass wird", so Bitterling.
Handstruktur und "Duell-Schießen"
Der interessierte Biathlon-Laie lernte in dieser Saison Begriffe wie Handstruktur, die den Flüssigkeitsabtransport am Ski regeln sollen. An dieser Handstruktur werden die Skitechniker sicher auch über die Saison hinaus tüfteln.
Ein anderes Problemfeld, an das Bitterling bereits denkt, nennt sich: "Duell-Schießen". Und die Analyse des Sportdirektors: "Da sind wir zu schwach." Seine Sportlerinnen und Sportler sollen mehr Nervenstärke zeigen, so die Botschaft: "Sei es in der Staffel, im Massenstart, im Verfolger. Immer dann, wenn es schnelle Schießduelle sind, haben wir Nachholbedarf. Das werden wir mit Vehemenz angehen", verspricht Bitterling schon jetzt mehr Coolness in entscheidenden Situationen am Schießstand.
"Gerade im Oberkörper-Kraft-Bereich"
Speziell die Frauen sollen zudem läuferisch zulegen. "Wir werden auch im Kraft-Ausdauer-Bereich bei den Mädels arbeiten", sagt Bitterling und zieht den Vergleich zum starken französischen Team, in dem Julia Simon oder Lou Jeanmonnot die Anstiege kraftvoll nehmen: "Wenn man sieht, gerade im Oberkörper-Kraft-Bereich, wie sie in der Lage sind, brutale Eins-Eins-Technik zu gehen an den Anstiegen. Da haben uns die Französinnen etwas voraus. Daran gilt es zu arbeiten."
Franziska Preuß und die Infekte
Eine ganz individuelle Baustelle hat sich bei Franziska Preuß erneut aufgetan. Die 30-Jährige hatte einen Fabel-Start in die Saison, wurde gleich im ersten Einzel-Rennen Zweite und schlüpfte kurz darauf ins Gelbe Trikot. Die Freude über die Spitzenposition hielt aber nur kurz – erst schaltete sie Corona aus. Bei der WM fing sie sich einen Infekt ein, der in die Nasennebenhöhlen zog und ihr letztlich den Rest der Saison verhagelte. Nun will sich die Ruhpoldingerin sogar einer Operation unterziehen. Vielleicht hat die lange Leidenszeit damit endlich ein Ende: Seit Jahren wird Preuß immer wieder von Infekten heimgesucht, musste wegen Erschöpfung die Heim-WM 2023 absagen.
Franziska Preuß
Starke Debüts von Grotian und Kink
Mit einer gesunden Preuß könnten die deutschen Frauen in der kommenden Saison die Top 3 im Nationencup angreifen – die zurückliegende Saison beendeten die Deutschen als Vierte hinter Frankreich, Norwegen und Schweden. Was Sportdirektor Bitterling Hoffnung macht: "Bei den Damen kommt sehr viel nach. Da mache ich mir weniger Sorgen", sagt er mit Blick auf junge Athletinnen. So hat sich die erst 19-jährige Selina Grotian in ihren 23 Weltcuprennen als stabile Top-20-Läuferin etabliert. Bei der WM in Nove Mesto glänzte sie als Vierte im Einzel. Junioren-Weltmeisterin Julia Kink überzeugte bereits bei ihrem zweiten Weltcupeinsatz als Schlussläuferin der Staffel, die dank ihrer Leistung Zweite wurde.
Voigt und Strelow beste Schützen
Mit Vanessa Voigt (93 Prozent Trefferquote) und Justus Strelow (94 Prozent Trefferquote) führen zudem zwei Deutsche die Schießstatistik im Weltcup an. Strelow feierte so sein erstes Weltcuppodest im Einzel von Östersund, Voigt schaffte es beim Einzel und der Verfolgung sogar zweimal in diesem Winter aufs Podest. Gemeinsam feierten beide zudem den überhaupt ersten deutschen Sieg in einer Single-Mixed-Staffel.
Abschied von Doll - "Charakterlich ein Monster"
Am anderen Ende der Schießstatistik rangiert Benedikt Doll, der sich zur Verbesserung seines Schießens vor der Saison sogar einen neuen Gewehrschaft bauen ließ. Doch vor allem Stehend fiel er immer wieder in alte Fehlermuster zurück und haderte mit seiner Trefferquote von nur 72 Prozent im stehenden Anschlag.
Viermal kam er in dieser Saison trotzdem durch, neben zwei Sprint-Siegen zeigte der Schwarzwälder auch mit WM-Bronze beim Einzel von Nove Mesto, dass er immer noch in der Weltspitze schießen und laufen kann. Doch nach 323 Weltcupstarts beendet Doll seine Karriere. Und damit geht dem deutschen Männer-Team der "Capitano" verloren. "Benni hat viel Eindruck hinterlassen. Ein Anführer muss auch Charakter haben. Benni ist charakterlich ein Monster, er ist immer auch jemand, der an andere denkt. Er ist wirklich ein Vorbild für andere", lobt Bitterling Doll.
Doll: "Jetzt kommt das Genießen"
Zum Abschied schnitt Teamkollege Philipp Horn einen über 70-minütigen Film für Doll zusammen. Mit vielen Szenen aus Dolls Karriere, mit vielen Stimmen, mit viel Wertschätzung. Und so wurde es an diesem letzten Winter-Wochenende am Fuße der Rocky Mountains noch einmal emotional. "Jetzt kommt aber das Genießen", verspricht Doll. Der frisch gebackene Biathlon-Rentner kann sich länger über das Genießen freuen. Für alle anderen beginnt ab Mai die Arbeit an den Baustellen für die kommende Saison.