Biathletin Hanna Kebinger Von Rückschlägen, Märchen und dem hellseherischen Papa
Wie geht man mit Rückschlägen um? Eine Frage, auf die Biathletin Hanna Kebinger immer wieder eine Antwort finden musste. Das Ergebnis: Ein rasanter Aufstieg, der viele Comebacks erforderte.
Hanna Kebinger hat ein wenig gebraucht, um zu verarbeiten, was da in den vergangenen Wochen und Monaten passiert ist. Die 25-Jährige sitzt in einem Café im tschechischen Nove Mesto und lächelt. "Das war körperlich, aber auch mental anstrengend. Dazu die ganzen Emotionen, die auf einen eingeprasselt sind", erzählt die Bayerin.
Als Nachrückerin war sie für die Heim-WM in Oberhof nominiert worden - und nicht nur das: Sie gewann Silber mit der Staffel. Man muss der Frau aus Grainau nicht lange zuhören, um zu erahnen, was es ihr bedeutet, Teil des Weltcup-Teams zu sein und sich mit den besten Biathletinnen des Planeten zu messen.
Kebingers schwieriges Jahr 2022
Nove Mesto heißt ins Deutsche übersetzt "neue Stadt" - eine passende Überschrift für Hanna Kebingers Jahr 2023 könnte auch "Nove Hanna" lauten. Die Vizeweltmeisterin von Oberhof hat in den vergangenen Monaten und Jahren einen langen, mit Rückschlägen und Enttäuschungen gepflasterten Weg hinter sich.
Er beginnt im Juli 2022. Eigentlich sollte sich Kebinger auf die Sommer-Weltmeisterschaften in Ruhpolding vorbereiten. "Ich habe damals Corona geschnappt", berichtet sie. "Aber wie so oft bei mir: Ich kann das dann nicht einfach nur haben, sondern ich nehme mal wieder alles mit."
Lungenschleimhaut-Entzündung legt Kebinger lahm
Zwei Wochen lag sie flach und merkte schnell, dass ihr das Atmen sehr schwerfällt, und das obwohl ihr "weitester Weg von der Couch zum Bett und wieder zurück" führte. Diese ungute Vermutung, dass etwas nicht stimmt, sollte sich nur wenig später bewahrheiten. Ihre Lungenschleimhaut hatte sich entzündet. Die Konsequenz: ärztliches Sportverbot.
Sie wartet, kuriert die Krankheit aus und beginnt mit dem Training. Stunde um Stunde ackert sie für das Comeback, um dann zum Saisonstart in Form zu sein. Und das klappt: "Ich war bombenfit", sagt Kebinger. Sie pusht ihren Körper an die Grenze und darüber hinaus - und das mit Folgen. Sie wird wieder krank und das zum "ungünstigsten Zeitpunkt", wie sie selbst konstatiert, denn die Qualifikation zum Weltcup steht unmittelbar bevor.
"Es ist richtig dumm, krank zu laufen"
Die Geschichte Hanna Kebingers ist auch eine des bedingungslosen und kaum zu bändigenden Willens - der ist bei Leistungssportlern oft eine herausragende Eigenschaft, manchmal führt aber genau dieser dazu, dass nicht mehr rational sondern emotional gehandelt wird. Kebinger ist im November 2022 weiterhin angeschlagen, ungeachtet dessen will sie "es dann doch probieren und versucht am Ziel festzuhalten - auch wenn es einfach richtig dumm ist, krank zu laufen."
Sie läuft trotzdem und scheitert in der Qualifikation. "Das Ende vom Lied", wie sie den Tiefpunkt dieser schmerzhaften Leidenszeit beschreibt: "Ich war raus aus allem, zusätzlich zwei Wochen mit Antibiotikum im Bett und dazu ist mir noch das RS-Virus (akute Erkrankung der oberen und unteren Atemwege) raufgesprungen." Die Liste der Tiefschläge in dieser Zeit von Ende November bis Anfang Dezember 2022 scheint endlos.
Prioritäten richtig setzen
Hanna Kebinger hat früh in ihrer Sportlerkarriere leidvoll gelernt, Erfolge und Misserfolge für sich richtig einzuordnen und zu bewerten. Als junge Athletin hatte sie mit einer Herzbeutel-Entzündung zu kämpfen - nicht nur ihre Laufbahn als Profisportlerin sondern auch ein gesundes und beschwerdefreies Leben waren in Gefahr. "Damals habe ich gesagt, ich lasse mich nicht unterkriegen. Und diese Zeit hat mich auch gelehrt, dass es wichtigere Dinge gibt, als Sport."
Sukzessiver Aufstieg: vom Deutschland-Cup zur WM
Aber wenn Hanna Kebinger eine Sache im Leben nicht macht, dann ist es aufgeben. Sie beginnt auch nach der verpassten Weltcup-Qualifikation in diesem Winter wieder bei Null. Mitte Dezember startet sie beim drittklassigen Deutschland-Cup - von der Weltspitze ist sie zu diesem Zeitpunkt Lichtjahre entfernt. Der Wettkampf läuft unerwartet gut, ihr Freund und ihr Vater unterstützen sie vor Ort.
Papa Kebinger beweist im Anschluss dann fast schon hellseherische Fähigkeiten. "Lustigerweise hat mein Vater an Weihnachten gesagt: ’Wie witzig wäre es jetzt, wenn du im Januar den IBU-Cup auf der Pokljuka läufst, dann den Weltcup in Antholz und es doch noch zur WM schaffst’". Eine schöne aber dennoch utopische Vorstellung, findet auch Tochter Hanna.
Papas Vorhersage wird wahr
Utopie hin oder her, Kebinger wird für den IBU-Cup nominiert und gewinnt dort prompt den Sprint, landet insgesamt dreimal auf dem Podium. Es folgt, wie der Papa es vorausgesagt hatte, die Berufung für den Weltcup in Antholz. Die 25-Jährige geht dort unbeschwert und mit Spaß an die Rennen und überzeugt die Trainer. Neunzehnte im Sprint, zehnte in der Verfolgung und mit der Staffel gelingt der Sprung aufs Treppchen.
Der Aufstieg der Hanna Kebinger findet im Februar 2023 seinen bisherigen Höhepunkt. Sie wird nicht nur für die WM nominiert, sie überrascht auch die Biathlon-Welt mit starken Ergebnissen in den Einzelrennen und ist entscheidender Teil der Silber-Staffel.
"Ich war in der vergangenen Saison noch ein wenig skeptisch, was die Leistungen von Hanna Kebinger angeht", sagt Sportschau-Experte Erik Lesser. "Aber wie sie sich nach den Rückschlägen im Weltcup präsentiert und so konstant am Schießstand arbeitet, da ziehe ich meinen Hut."
"Ich habe Lunte gerochen"
Es soll nicht das Ende des Weges für die 25-jährige Biathletin sein. "Ich habe bei der WM Lunte gerochen", sagt Kebinger und lacht. "Ich mache mir keinen Druck oder Stress, dass alles jetzt unbedingt klappen muss." Aber der Wille, das Beste aus sich herauszukitzeln, wird Hanna Kebinger auch in Zukunft ganz sicher begleiten.