
Datteln, Bananen und viel Schlaf Endgegner Kaloriendefizit: Wie die Ramadan-Routinen Profisportler herausfordern
Seit Anfang März feiern Millionen Muslime in Deutschland fastend Ramadan. Eine Gruppe steht dabei vor besonderen Herausforderungen: viel trainierende und schwitzende Profisportler. Ihr Endgegner: das Kaloriendefizit. Von Jakob Lobach
Der Wecker klingelt in diesen Tagen früh für Eren Öztürk. Ende vergangener Woche bimmelte das Handy des 20 Jahre alten Fußballers um 4:15 Uhr, zum Start dieser Woche sogar noch ein bisschen früher. Während manch ein Finger fast von allein den Snooze-Button drücken würde, ist das für Öztürk aktuell keine Option. Schließlich müsste er dann mit gänzlich leerem Magen zum Training der VSG Altglienicke und durch den Tag kommen.
Fasten von Morgendämmerung bis Sonnenuntergang
Öztürk ist einer von einer Handvoll Spielern in Reihen des Berliner Regionalligisten und einer von Millionen Muslimen in Deutschland, die seit Ende Februar und noch bis Ende März Ramadan feiern. Vom ersten Licht der morgendlichen Dämmerung bis zum Sonnenuntergang verzichten sie dabei allen voran aufs Essen und Trinken.

Fußballer Eren Öztürk von der VSG Altglienicke jubelt über ein Tor.
Für Eren Öztürk geht damit eine besondere Frage einher: Wie integriere ich das Fasten in meinen kalorienverbrauchenden Alltag als Profisportler? "Das ist nicht so einfach", lässt er direkt zum Start des Gesprächs durchklingen.
75 Prozent der Muslime in Deutschland fasten
Die Frage beschäftigt aktuell Öztürk als talentierte Leihgabe des Zweitligisten Karlsruher SC - aber bei Weitem nicht für alle Muslime in Deutschland. Laut einer Studie des Forschungszentrums Migration, Integration und Asyl aus dem Jahr 2020 leben ungefähr 5,5 Millionen Muslime in Deutschland - rund 285.000 in Berlin. Rund 55 Prozent von ihnen halten die religiösen Fastenregeln der Studie zufolge vollständig ein, weitere 20 Prozent zumindest teilweise.
Eren Öztürk gehört zu Erstgenannten und das schon seit seiner Jugend. "Ich bin damit aufgewachsen. Meine Familie, meine Freunde, alle haben gefastet", sagt Öztürk und ergänzt: "Ramadan ist für uns ganz wichtig." Fasten gehört zu den sogenannten Fünf Säulen des Islam, also den fünf wichtigsten Regeln.
Profisportler können zwar unter bestimmten Bedingungen die Fastenzeit über ihre Wettkampfzeit hinaus verschieben, viele entscheiden sich aber ganz bewusst dagegen. "Es geht diesen Monat um mehr als Essen und Trinken", sagt Öztürk. Alleine in sich gehen, sich selbst reflektieren, aber auch in Gemeinschaft sein, Zeit mit der Familie verbringen.
Ernährung als sportliche Inputvariable
Statt wie früher mit seiner Familie frühstückt Öztürk aktuell allerdings alleine – und noch dazu eher spärlicher als sonst. "Ich hau' mir einen Proteinriegel rein, esse eine Banane und trinke ordentlich Wasser", erzählt er. Ein Umstand, der im ersten Moment erstaunt, wenn man bedenkt, dass Öztürk anschließend tagesabhängig mal eine, mal zwei Trainingseinheiten oder gar ein Spiel absolvieren muss.
Bei Team- und Ballsportarten ist das nicht ganz so kritisch, aber Marathonläufer und Triathleten beispielsweise sind international während des Ramadans nicht konkurrenzfähig.
"Ernährung ist eine der wesentlichen Inputvariablen in der großen Gleichung des leistungssportlichen Trainings", sagt Lars Donath, Professor an der Sporthochschule Köln. In anderen Worten: Was ein Mensch wann isst und trinkt, ist sehr entscheidend dafür, wie leistungsfähig sein Körper ist.
Die Kombination aus Profisport und Ramadan müsse man laut Donath differenziert betrachten: "Bei Team- und Ballsportarten ist das nicht ganz so kritisch", sagt er, "aber Marathonläufer und Triathleten beispielsweise sind international während des Ramadans nicht konkurrenzfähig."
Fastennachteile für Ausdauersportler
In Deutschland, aber auch weltweit sind Studien zum Effekt des Ramadans auf Leistungs- und Profisportler bislang verhältnismäßig selten. Die bislang durchgeführten Studien deuten darauf hin, dass das Fasten einen Effekt auf die Leistungsfähigkeit haben kann – aber nicht muss. Ein Leistungsverlust am Nachmittag scheint wahrscheinlicher als am Vormittag und bei Ausdauersportlern tendenziell größer als bei Athleten mit Fokus auf Schnellkraft.
"Allen voran die Gesamtkalorienzufuhr und unerfüllter Regenerationsbedarf können ein Problem sein", sagt Sportwissenschaftler Donath. Daraus ergeben sich für fastende Sportler vor allem zwei Hauptaufgaben. Erstens: zwischen Sonnenuntergang und -aufgang so viel essen, dass die verbrannten Kalorien wieder in den Körper kommen. Und zweitens: tagsüber eher regenerieren, als sich zusätzlich zu verausgaben.
Abends nach drei Minuten schon satt
Für Altglienickes Öztürk fällt das Abendessen nach Sonnenuntergang deshalb um einiges üppiger aus als sein spärliches Frühstück. Wer sich jetzt allerdings vorstellt, dass der 20-Jährige – durchaus Profisportler-typisch – tellerweise Nudeln, mit Fleisch oder Fisch, dazu noch Gemüse und ein paar Scheiben Brot verschlingt, liegt falsch.
Wenn du den ganzen Tag nichts gegessen hast, bist du abends nach drei Minuten direkt wieder satt.
"Das denken viele", sagt Öztürk, "aber wenn du den ganzen Tag nichts gegessen hast, bist du abends nach drei Minuten direkt wieder satt." Es ist eine Art Paradoxon des Profisports im Ramadan: Tagsüber müssen Athleten dem Drang, nach dem Training ihren Hunger zu stillen, widerstehen, abends müssen sie sich dann genau dazu zwingen.
Trainer Keskin: "Alltag wird ganz normal weiter durchgeführt"
Mit Blick auf den Nahrungsverzicht kommt muslimischen Sportlern wie Öztürk aktuell immerhin ein Umstand zugute: Der Ramadan findet dieses Jahr früh statt. Weil er der neunte Monat in der islamischen Jahreszählung ist und diese nur 345 bzw. 355 Tage zählt, verschiebt sich Ramadan Jahr für Jahr anderthalb Wochen nach vorne. "In einem heißen Sommer Training zu haben und nichts trinken zu dürfen, ist nochmal härter", sagt auch Öztürk.
So läuft der Alltag bei der VSG Altglienicke derzeit für den 20-Jährigen und fastende Mitspieler auch "ganz normal und geregelt weiter". Das berichtet sein Trainer Semih Keskin. Mitten in der Saison gebe es zwar derzeit keine Leistungsdiagnostik, "aber die Jungs sind professionell. Man merkt ihnen das nicht großartig an. Insofern findet von unserer Seite auch gar keine Einmischung statt". Jeder könne so leben, wie er es möchte. "Die Jungs, die fasten, machen das aus ihrer eigenen Glaubensrichtung heraus. Davor sollte man erst einmal Respekt haben", sagt Keskin.
Fastenbrechen in der Champions League
Ein glücklicher Zufall waren dabei zuletzt auch die Spielansetzungen der VSG Altglienicke für deren fastenden Profis. Bevor es für Öztürk und Co. am vergangenen Sonntagmittag nach Meuselwitz ging, hatten sie zuvor drei Abendspiele in ihrem Kalender stehen. Anpfiff 19 Uhr, also rund eine Stunde nach Sonnenuntergang. Also gab es um 18:30 Uhr für Öztürk und Co. eine Handvoll Datteln, Bananen gegen Krämpfe und "spezielle Getränke" vom Athletiktrainer. "Das hat perfekt gepasst", sagt Öztürk.

Bleibt die Frage, was passiert wäre, wenn sich Sonnenuntergang und Spielstart um ein paar Minuten verpasst hätten? So wie dies in der vergangenen Woche beim Champions-League-Spiel von Borussia Dortmund in Lille der Fall war. Dort unterbrach der Schiedsrichter die Partie nach nur wenigen Minuten, und die fastenden Profis joggten für ein paar Schlucke Wasser und einen Snack in Gelform in Richtung Seitenlinie. Während diese Kleinigkeit in den sozialen Medien einige islamkritische bis rassistische Kommentare heraufbeschwor, ist sie auch in der Bundesliga längst Ramadan-Alltag - so zu sehen zuletzt beim Spiel Schalke 04 gegen Hannover 96.
Schlaf als Regenerationshilfe und Kaffee-Ersatz
Für Eren Öztürk sind mit dem Ramadan noch mehr Routinen verbunden als das abendliche und vormorgendliche Essen. Allem voran: viel schlafen. "Eigentlich sollen wir während des Ramadans auch tagsüber produktiv sein", sagt Öztürk mit einem Lächeln, "aber das ist leider nicht so einfach."
Zumindest von Lars Donath wird der Fußballprofi für den vielen Schlaf eher gelobt als getadelt. "Schlaf ist eine sehr unterschätzte Regenerationsmethode", sagt der Professor, "auch das Napping ist in den letzten Jahren ziemlich populär geworden, weil sich gezeigt hat, dass es die Regeneration und die Leistungsfähigkeit am Abend optimiert." Eren Öztürk ist also aus guten Gründen bei weitem nicht der einzige Sportler, der zu Zeiten des Ramadans noch ein wenig mehr schläft als sonst.
Wobei dem talentierten Mittelfeldspieler ein im Alltag weit verbreitetes Mittel zur (gefühlten) Leistungssteigerung noch lieber wäre. "Ich bin ein Mensch, der morgens wirklich seinen Kaffee braucht", sagt er mit Sehnsucht in seiner Stimme, ehe er dennoch glaubwürdig ergänzt: "Aber dieser wertvolle Monat soll ja auch ein bisschen anstrengend sein für uns". Oder im Fall von Profisportlern eben mehr als nur ein bisschen.