Pogacar in Aktion
Tourreporter

Schotteretappe der Tour de France Vergebliche Attacken im Staub

Stand: 08.07.2024 09:45 Uhr

Tadej Pogacar versucht auf den Schotterpisten der Champagne mehrfach zu attackieren. Aber am Ende der 9. Etappe der Tour de France bleibt am Sonntag (07.07.2024) im Kampf um das Gelbe Trikot alles, wie es war. Vor allem weil sein Rivale Jonas Vingegaard andere Pläne hat.

Von Michael Ostermann, Troyes

Primoz Roglic kam mit einer dicken Staubkruste und einem breiten Grinsen im Gesicht an den Teambus in Troyes gerollt. Froh darüber, diesen Tag abhaken zu können, den er und sein Team so gefürchtet hatten. Nun aber war die 9. Etappe überstanden, und das ohne Schaden zu nehmen, weder zeitlich noch körperlich.

Roglic ist glücklich, sein Teamchef nicht

"Das Wichtigste ist, in einem Stück geblieben zu sein", sagte Roglic nach den 199 Kilometern durch die Champagne, davon 32,2 Kilometer über Schotterpisten in den berühmten Weinbergen dieser Gegend. Was hätte da nicht alles passieren können - ein Defekt, ein Sturz oder ein sonstiges Missgeschick, das den Slowenen hätte Zeit kosten können. Doch nun stand er hier: Verdreckt, müde, aber glücklich darüber, "dass ich dabei geblieben bin".

Zeitgleich mit den anderen Anwärtern auf den Toursieg war Roglic ins Ziel gekommen, 1:46 Minuten hinter dem überglücklichen Tagessieger Anthony Turgis. Das war das Hauptziel des Tages gewesen bei Red Bull-Bora-hansgrohe. Auch wenn es unterwegs zwischendurch ein paar mal brenzlig geworden war für Roglic. Weshalb sein Teamchef Ralph Denk später anders als sein Kapitän zu dem Schluss kam, das sei "kein guter Tag für uns" gewesen.

9. Etappe - die Stimmen

Sportschau Tour de France, 07.07.2024 14:00 Uhr

Roglics Team in der Defensive

Mit dem "Rücken zur Wand" habe man gestanden, meinte auch der Sportliche Leiter des deutschen World-Tour-Teams, Rolf Aldag. Denn schon auf dem zweiten der insgesamt 14 Gravel-Abschnitte hatten seine Kollegen Roglic viel zu weit hinten abgeliefert. Auf dem ansteigenden Terrain mit tiefem Schotter waren sie dann ins Chaos geraten.

Nico Denz, einer von Roglics Bodyguards musste gar absteigen und sein Rad ein Stück schieben, weshalb er das Ganze später einen "Zirkus" nannte. Roglic danach wieder in die Gruppe der Favoriten zu bringen, kostete früh viel Kraft, die man sich lieber gespart hätte. Folglich geriet Red Bull-Bora-hansgrohe auch später immer wieder in die Defensive.

Vingegaard fährt nicht mit

Dass daraus dann kein größerer Schaden entstand, war vor allem Jonas Vingegaard zu verdanken. Der Toursieger der vergangenen beiden Jahre hatte nämlich einen ganz ähnlichen Plan verfolgt auf den weißen Schotterstraßen der Champagne. "Unser Ziel war es, keine Zeit zu verlieren", erklärte der Däne mit staubgrauem Gesicht.

Vingegaard und sein Team hatten offensichtlich kein Interesse daran, Roglic abzuhängen. Sehr zum Leidwesen von Tadej Pogacar und Remco Evenepoel. "Das Rennen hätte schon 80 Kilometer vor dem Ziel entschieden werden können. Aber unglücklicherweise hat sich Jonas entschieden, nicht mit uns zu fahren. Was man einerseits verstehen kann, andererseits nicht", beklagte Evenepoel.

Dort hatte der Belgier selbst an einem der mit Schotter belegten Hügel eine Attacke inszeniert, der nur Pogacar und Vingegaard hatten folgen können. Ruckzuck hatte das Trio Anschluss an die zehnköpfige Ausreißergruppe gefunden und dort für reichlich Aufregung gesorgt. Doch dann ließen sich die drei nach einem kurzen Austausch wieder zurückfallen.

Vingegaard übernimmt das Rad von Tratnik

"In allen Situationen haben wir gedacht, es ist besser, mehrere Teamkollegen um mich zu haben, falls etwas passiert", begründete Vingegaard später die Verweigerung seiner Mitarbeit. Wohl auch, weil er schon früh im Rennen eine Ahnung davon bekam, wie schnell der Tag auch für ihn hätte im Desaster enden können. Auf einem der ersten Gravelsektoren hatte Vineggaard einen Platten und übernahm deshalb blitzschnell das Rad seines Teamkollegen Jan Tratnik. Der Slowene hat ungefähr die gleiche Statur wie sein Kapitän.

Und weil man beim Team Visma-Lease A Bike traditionell nichts dem Zufall überlässt, hatten sie Vingegaard Tratniks Rad schon im Trainingslager ausprobieren lassen. Vingegaard fuhr dann für den Rest des Tages mit der Startnummer eins auf dem Rücken und der Nummer sieben am Fahrrad durch die Champagne, während Tratnik drei Minuten auf ein Ersatzrad hatte warten müssen, wie er später berichtete.

Pogacar attackiert unermüdlich

Für Vingegaard hätte eine solche Verzögerung schon das Ende seiner Ambitionen auf Gelb bedeuten können. Und so verweigerte er auf dem viertletzten Schotterabschnitt auch dem in der Schlussphase unermüdlich attackierenden Pogacar die Zusammenarbeit, als sowohl Roglic als auch Evenepoel den Anschluss verpasst hatten und ihn sein Teamkollege Matteo Jorgenson an das Hinterrad des Rivalen heranführte.

"Ich habe damit gerechnet. Sie unterschätzen wohl Remco, Primoz und die anderen etwas", sagte Pogacar später schulterzuckend. "Wir hätten wegfahren können, so sehe ich das. Aber jeder hat sein eigenes Rennen, so ist das halt." So zerfielen am Ende alle Angriffe im Kampf um Gelb zu Staub, was dann aber auch niemanden wirklich unglücklich machte. "Wir haben alle ein ganz gutes Rennen gezeigt", meinte der erleichterte Roglic: "Die Show war nicht langweilig." Nach dem Ruhetag am Montag geht sie weiter.