Red Bull-Bora-hansgrohe enttäuscht Mit leeren Händen nach Hause
Das Team Red Bull-Bora-hansgrohe war mit großen Ambitionen zur Tour de France gereist. Doch am Ende steht die schlechteste Tourbilanz seit dem Aufstieg in die World Tour. Der Umbruch hat schon begonnen.
Der letzte Rettungsversuch endete schon kurz hinter Nizza. Als das Fahrerfeld zu Beginn der 20. Etappe am ersten Anstieg des Tages in seine Einzelteile zerfallen war, und sich dann vorne ein Grüppchen bildete mit der am Ende vergeblichen Hoffnung auf den Tagessieg auf dem Col de la Couillole, da waren die Farben des Teams Red Bull-Bora-hansgrohe nicht vertreten. Und damit auch die letzte Chance vertan, noch einen Erfolg einzufahren bei dieser Tour de France.
Das Projekt Gelb zerschellt auf der 12. Etappe
Beim abschließenden Einzelzeitfahren am Sonntag von Monaco nach Nizza dürften die Fahrer des Teams ebenfalls keine Rolle spielen. Und so verlässt die deutsche Equipe die Tour de France 2024 nun mit leeren Händen.
Dabei war das Team vor drei Wochen mit großen Ambitionen in Florenz gestartet. Der Toursieg mit Primoz Roglic war das erklärte Ziel.
Das Projekt Gelb zerschellte dann während der 12. Etappe bei einer Ortsdurchfahrt in der Region Lot-et-Garonne, als Roglic unverschuldet in einen schweren Sturz verwickelt wurde. Am nächsten Tag trat er nicht mehr an. "Das war natürlich ein herber, herber Rückschlag für uns", sagt Teammanager Ralph Denk. "Und wir haben die Mannschaft retten müssen."
Denn die hatte plötzlich ihr Ziel verloren: Statt ihren Kapitän zu unterstützen, mussten die verbleibenden Fahrer nun versuchen, selbst einen Erfolg einzufahren, um die Tour für das Team zu retten. "Das ist natürlich eine völlig andere Einstellung", sagt der sportliche Leiter Rolf Aldag. "Ich finde, sie haben es gut gemeistert. Nur konnten wir trotzdem keinen Profit daraus ziehen in Form von dem Etappensieg."
Schlechteste Bilanz seit Aufstieg in die World Tour
Teammanager Ralph Denk, dessen Biographie den Titel "Nur alles zählt" trägt und der sich nichts so sehr wünscht wie den Toursieg mit seiner Mannschaft, muss nun feststellen, dass diesmal alles nichts war. "Natürlich ist das weit weg von dem, was wir uns erwartet haben", sagt Denk. "Das ist oftmals so im Leben, wenn man es besonders gut machen will. Man läuft genau in die andere Richtung."
Seit dem Aufstieg in die World Tour 2017 hat Denks Team kein schlechteres Ergebnis bei der Tour de France eingefahren. Ausgerechnet jetzt, da sein Rennstall mit dem Einstieg von Red Bull auf die nächste Stufe gelangen soll. Der Getränkehersteller hat im Frühjahr 51 Prozent der Anteile an der Betreiberfirma des Teams erworben. Mit dem erklärten Ziel, das beste Radsport-Team der Welt zu werden.
Davon scheint man nun erstmal weiter denn je entfernt. Und das nicht nur, weil Roglic aus dem Rennen stürzte. Die Mannschaft um ihn herum schien schon vorher nicht auf der Höhe zu sein. Schon auf der ersten Bergetappe, als der Tour-Tross vom Grand Départ in Italien zurück nach Frankreich fuhr, war Roglic am Galibier früh von seinen Helfern getrennt. Und als es fünf Tage später rund um Troyes über die Schotterpisten der Bretagne ging, waren die Helfer des Slowenen auch nicht immer im Bilde, wofür es dann auch direkt Schelte vom Teamchef gab.
"Wir werden unsere Rückschlüsse ziehen"
All das wird nun in den Tagen und Wochen nach der Tour Teil der teaminternen Analyse dieser drei Wochen in Frankreich sein. "Wir werden unsere Rückschlüsse ziehen", sagt Denk. Das werden sie auch bei Red Bull tun, wo man sich sicher einen anderen Start in das neue Projekt Radsport gewünscht hätte, das bei der Tour erstmals auch auf Trikots, Rädern und Fahrzeugen sichtbar wurde.
"Unser Beitrag ist ja nicht nur, dass wir jetzt Gesellschafter und Sponsor sind, sondern unser Beitrag soll natürlich auch inhaltlich werden", hatte Oliver Mintzlaff, der Geschäftsführer des Unternehmens, vor dem Start der Tour in Florenz erklärt. "Wir beobachten jetzt erstmal eine Weile, wie das funktioniert, um dann Entscheidungen zu treffen, was vielleicht geändert werden muss." Man werde die Organisation aber nicht überrollen.
Der ehrgeizige Denk, der bislang der alleinige Besitzer des Teams war und nun als Geschäftsführer fungiert, formuliert das in seiner bayerischen Direktheit deutlich weniger vorsichtig. "Die Logos von Red Bull sind hier das erste Mal zu sehen, aber jetzt muss quasi das neue Geld auch investiert werden", sagt er. "Es müssen Strukturveränderungen stattfinden. Und das steht jetzt an für die nächsten Wochen und Monate."
Das Gesicht des Teams verändert sich
Dabei ist der Strukturwandel zumindest im Kader schon längst im Gange. Radprofis, die das Bild der Mannschaft in den vergangenen Jahren geprägt haben, werden das Team zum Saisonende verlassen. Allen voran Emanuel Buchmann, der bei der Tour 2019 auf Rang vier des Gesamtklassements fuhr. So nah war das Team dem Podium der Tour de France weder vorher noch nachher je wieder gekommen.
Buchmann verlässt die Equipe im Streit, weil er sich um seinen Start beim Giro d'Italia in diesem Jahr betrogen fühlte. Auch Maximilian Schachmann und Lennard Kämna müssen oder wollen das Team verlassen.
Die Mannschaft wird also in Zukunft ein neues Gesicht haben. Wie genau das aussehen wird, ist unklar. Neu verpflichtete Fahrer dürfen laut Reglement erst ab dem 1. August bekannt gegeben werden. Aber die Vereinbarungen sind natürlich längst getroffen.
Die Frage nach dem Tour-Kapitän 2025
Eine spannende Frage wird sein, wer das Team bei der Tour de France im kommenden Jahr anführen soll. Auf der Position des Kapitäns für die Frankreich-Rundfahrt hat es bei der deutschen Equipe im Gegensatz zu anderen Teams in der Vergangenheit nur wenig Kontinuität gegeben.
Nach Buchmann durfte es zunächst der Niederländer Wilco Kelderman probieren, der sich dann aber dem niederländischen Team Jumbo-Visma (heute Visma-Lease A Bike) um den zweimaligen Toursieger Jonas Vingegaard anschloss. Darauf folgten der Russe Alexander Wlassow und im vergangenen Jahr der Australier Jai Hindley.
Ob Roglic die Mannschaft im kommenden Jahr noch einmal anführen darf, ist zu bezweifeln. Der Slowene wird im Oktober 35 Jahre alt und hat den Zenit seiner Schaffenskraft wohl überschritten. Dass er gegen den designierten Toursieger Tadej Pogacar und einen im Vollbesitz seiner Kräfte antretenden Vingegaard eine Chance haben würde, war schon diesmal mehr als fraglich. Der Kolumbianer Daniel Felipe Martinez, in diesem Jahr Zweiter des Giro d'Italia mit fast zehn Minuten Rückstand auf Pogacar, dürfte für die Rolle auch nicht infrage kommen.
Gerüchte um Remco Evenepoel
Seit Wochen schon wird Remco Evenepoel in Verbindung mit der Red-Bull-Bora-hansgrohe-Mannschaft gebracht. Der Belgier wird die Tour de France in diesem Jahr wohl auf Rang drei beenden. Denk beteuert, dass nichts dran sei an den Gerüchten, die natürlich auch durch den Einstieg des millionenschweren neuen Teilhabers befeuert werden. Dabei hat Denk stets betont, man werde "nicht mit der finanziellen Keule durchs Peloton schwingen".
Das entspricht auch nicht der Herangehensweise des neuen Mehrheitsgesellschafters des Teams. "Was wir lieben bei Red Bull ist natürlich der Nachwuchs", hatte Oliver Mintzlaff in Florenz erklärt: "Und wir werden investieren, um zu überlegen, was können wir da machen und wie können wir die absoluten Weltstars von morgen auch frühzeitig finden, entwickeln und zu uns bringen."
Das allerdings wird kurzfristig keine Erfolge bei der Tour de France ermöglichen. Und Denk wirkt auch nicht, als wolle er so lange warten. Sonst hätte er wohl auch nicht Primoz Roglic verpflichtet vor der Saison. Obwohl Denk selbst schon seit Jahren erklärt, am liebsten wäre es ihm, wenn das Team selbst einen Toursieger entwickeln könnte.
Zunächst einmal gilt es aber ohnehin, die Erlebnisse in diesem Jahr zu verarbeiten. "Ich glaube, auch aus solchen Situationen lernen wir etwas", sagt Denk. "Wir freuen uns schon, wenn wir nächstes Jahr wiederkommen." Es kann ja auch nur besser werden.