Angstfrei nach dem Unfall Radprofi Lennard Kämna wagt den Neuanfang
Neuer Mut, neue Ziele, neues Team: Lennard Kämna strebt nach seinem lebensbedrohlichen Unfall ein Comeback an, das auch ein Neustart werden könnte. Bei seinem bisherigen Radrennstall Bora Hansgrohe fühlte er sich zuletzt in einer Karriere-Sackgasse.
Wenn Kämna über die erste Testfahrt nach seinem schweren Unfall redet, ist seine Begeisterung fast greifbar. "Es war ein richtig geiles Gefühl, ich war richtig euphorisch", betont der Radprofi aus Fischerhude bei Bremen. "Ich habe gemerkt, es fühlt sich normal an. Ich habe keine Angst im Straßenverkehr, ich habe keine Angst in der Abfahrt. Das hat mich in diesem Moment richtig glücklich gemacht."
Ein Comeback noch in diesem Jahr? Er ist der "festen Überzeugung, dass ich mir in diesem Jahr noch eine Nummer an den Rücken machen werde".
Kämna nach Unfall auf der Intensivstation
Den wohl dunkelsten Tag seiner Karriere kennt Kämna dagegen nur aus Erzählungen. Am 3. April ist er auf Teneriffa, bereitet sich auf den Giro d'Italia vor. Eine neue Leistungsgrenze habe er erreicht, berichtet Kämna. Doch dann war da diese eine Abfahrt, dann war da dieser eine Autofahrer, der Kämna schlicht übersah. Zusammenprall, Knochenbrüche, Thoraxtrauma, Lungenprellung, Operationen, Intensivstation.
Erinnerungen daran hat er nicht. "Ich weiß weder, wie die Abfahrt losging, noch wie ich ins Krankenhaus gekommen bin. Ich war zwar immer bei Bewusstsein, bin aber auch ziemlich auf den Kopf gefallen. Das war sicherlich nicht hilfreich", sagt der 27-Jährige. Die ersten Tage im Krankenhaus sind ihm noch ein wenig präsent, doch mittlerweile vermischen sich auch die Wahrnehmungen. Aber das Thema sei ohnehin abgehakt.
Wechsel zu Lidl-Trek steht bevor
Kämna möchte nach vorn blicken, sich auf das freuen, was in seiner Karriere noch kommt. Es soll ein Neuanfang werden. Dafür hat sich der gebürtige Wedeler auch einen neuen Arbeitgeber gesucht. Dem Vernehmen nach wird es Lidl-Trek, reden darf Kämna darüber laut Reglement frühestens vom 1. August an.
Aktuell kann er allerdings darüber reden, warum es für ihn bei Bora Hansgrohe, das seit Beginn der Tour de France noch den Zusatz Red Bull trägt, nicht weitergeht. Schließlich verbrachte er dort fünf erfolgreiche Jahre, gewann Etappen bei der Tour, dem Giro und der spanischen Vuelta. Das können nicht viele deutsche Profis von sich behaupten.
Differenzen über Rolle im Team
Dennoch war es Zeit für einen Wechsel, für den sich Kämna erst nach dem Unfall entschied. "Das Team hat mir viel gegeben, und ich konnte dem Team viel geben. Aber man muss auch schauen, wie meine Rolle gesehen wird und wie es andere Teams tun", sagt der Radprofi. Da gab es ganz offensichtlich unterschiedliche Auffassungen. Kämna würde die großen Rundfahrten gern auf Klassement fahren, der Rennstall sah ihn eher als Etappenjäger.
Für alle Seiten zufriedenstellend lief es offenbar nach dem Unfall nicht. Die Gespräche über einen neuen Vertrag wurden ausgesetzt. Ob das ebenfalls ein Grund für seinen Weggang ist, lässt Kämna offen. "Ralph Denk (Teamchef, d.Red.) hat ja gesagt, dass die Verhandlungen nach dem Unfall auf Eis gelegt wurden. Und wenn die Reha in die richtige Richtung läuft, er mit mir zu verlängern beabsichtigt. Das lasse ich jetzt mal so stehen", sagt Kämna.
Zu konkreten Verhandlungen ist es nach dpa-Informationen nie gekommen. "Lennard hat sich für etwas anderes entschieden. Ich bin da persönlich nicht böse. Wir haben tolle Erfolge gefeiert, haben Hochs und Tiefs durchlebt", sagt Denk.
Kämna hofft auf Start bei der Tour de France 2025
Auch, wenn er gerade auf dem Weg zurück zu alter Stärke ist, der Unfall hat die Karriereplanung des Norddeutschen durcheinander gebracht. Die kommende Saison könnte ein Aufbaujahr werden, je nachdem, wie schnell Kämna sein Niveau wieder erreichen kann. Ein großes Ziel hat er: die Tour im nächsten Jahr.
"In welcher Rolle kann ich gerade schwer sagen, das war vor dem Unfall einfacher", sagt Kämna. Langfristig möchte er wieder bei einer der drei großen Rundfahrten auf Gesamtwertung fahren. Anschauungsunterricht dafür gibt es aktuell bei der Tour, wo Tadej Pogacar teilweise außerirdische Leistungen zeigt.
"Da muss man ehrlich sein. Ich glaube nicht, dass ich in der Lage bin, bei Pogacars Pace mitzufahren", meint Kämna. "Was er beim Giro gezeigt hat und jetzt bei der Tour, das ist absolut außergewöhnlich. Das ist phänomenal, da kommt aktuell keiner 'ran."
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Sport aktuell | 18.07.2024 | 14:25 Uhr