Tadej Pogacar
Tourreporter

Umstrittene Methode Schneller dank Kohlenmonoxid?

Stand: 19.07.2024 14:41 Uhr

Seit drei Tagen wird Tadej Pogacar bei der Tour de France gefragt, ob er Kohlenmonoxid zur Leistungssteigerung inhaliert. Die Methode ist nicht verboten, wird von Experten aber als Doping betrachtet. Der Slowene und sein Team beteuern, sie nutzen entsprechende Geräte nur für harmlose Bluttests.

Von Michael Ostermann, Barcelonnette

Beim ersten Mal blickte sich Tadej Pogacar hilfesuchend um. Die Frage hatte ihn überrascht und die Antwort konnte durchaus heikel werden. Doch lange Zeit zu überlegen, blieb jetzt nicht. Und Hilfe war auf die Schnelle auch nicht zu erwarten. Also entschied sich der Slowene dafür, erstmal nichts zu wissen über die Nutzung von Kohlenmonoxid im Radsport.

"Ich kann das nicht kommentieren", sagte Pogacar also: "Ich weiß nichts darüber. Ich dachte immer, das ist das, was aus dem Auspuff der Autos kommt. Vielleicht bin ich einfach ungebildet." Das war am Dienstag nach der 16. Etappe der Tour de France. Einen Tag später hatte der Mann im Gelben Trikot, der derzeit sämtliche Geschwindigkeitsrekorde bei der Tour bricht und dafür Skepsis erntet, die vermeintliche Bildungslücke geschlossen. "Das ist eine Testmethode, um zu sehen, wie man auf die Höhe reagiert", erklärte Pogacar.

Drei Teams nutzen Kohlenmonoxid-Rückatmungsgeräte

Da hatte sein UAE-Team längst bestätigt, dass auch bei ihnen ein Kohlenmonoxid-Rückatmungsgerät zum Einsatz kommt. Weitere Teams, die eine solche Apparatur benutzen, sind das Team Visma-Lease A Bike um Jonas Vingegaard, den Toursieger der beiden vergangenen Jahre, sowie das Team Israel-Premier Tech, für das auch der deutsche Radprofi Pascal Ackermann fährt.

Alle drei Teams haben das gegenüber dem Webportal "Escape Collective" bestätigt, dessen Recherchen dazu die Fragen an Tadej Pogacar zur Folge hatten. Das deutsche World-Tour-Team Red Bull-Bora-hansgrohe erklärte hingegen auf Anfrage der Sportschau, man besitze kein solches Gerät und verwende auch keins.

Leistungssteigernde Wirkung in der Grauzone

In Medizin und Wissenschaft ist die Methode der Kohlenmonoxid-Rückatmung schon lange bekannt. Doch ihr Gebrauch im Radsport wirft Fragen auf, die zumindest in eine Grauzone in Sachen Leistungssteigerung vorstoßen.

Es gibt zwei Möglichkeiten, wie ein Kohlenmonoxid-Rückatmungsgerät im Sport genutzt werden kann. Zum einen kann eine solche Apparatur als Messgerät dienen, um schnell und unkompliziert Blutwerte zu messen. Anders als bei herkömmlichen Bluttests kann man dabei die absolute Menge des für Athleten so wichtigen Sauerstofftransporteurs Hämoglobin ermitteln und nicht nur dessen Anteil im Blut.

Die andere Möglichkeit der Anwendung dieser Geräte ist deutlich heikler. Dabei werden geringe Dosen von Kohlenmonoxid über einen längeren Zeitraum inhaliert. Der Sportmediziner Professor Dr. Walter Schmidt von der Universität Bayreuth war maßgeblich an einer 2020 veröffentlichten Studie beteiligt, die eine deutlich leistungssteigerende Wirkung von solchen Kohlenmonoxid-Inhalationen nachweisen konnte.

Eine Gruppe von gesunden, trainierten Testpersonen inhalierten dafür über einen Zeitraum von drei Wochen hinweg unter medizinischer Aufsicht täglich fünf Mal geringe Dosen des hochgefährlichen Kohlenmonoxid. Weil sich dadurch der Sauerstofftransport um fünf Prozent verringerte, steuerten die Körper der Probanden dagegen, in dem sie fünf Prozent mehr Hämoglobin produzierten. Ein Effekt der auch bei Trainingslagern in der Höhe eintritt, für die die Spitzenteams im Radsport viel Geld ausgeben und die inzwischen zur Standardvorbereitung auf die Tour de France gehören.

"Das ist Doping"

"Ich bin verwundert, dass diese Diskussion erst jetzt aufkommt", sagt Schmidt im Gespräch mit der Sportschau. Er habe bereits vor 20 Jahren erstmals davon gehört, dass die Inhalation von Kohlenmonoxid im Spitzensport eine Rolle spielen könnte. Vor zehn Jahren habe ihn ein italienischer Journalist dazu befragt, der behauptete, dass ein großes Radsportteam diese Methode anwende. Auch deswegen hätten er und seine Kollegen die Studie in Angriff genommen.

Moritz Cassalette, Sebastian Krause, Sportschau, 19.07.2024 12:39 Uhr

Schmidts Urteil zu dieser Art der Anwendung von Kohlenmonoxid ist eindeutig: "Für mich und jeden, der in diesem Bereich arbeitet, ist das Doping." Drei Kriterien seien ausschlaggebend dafür, ob ein Mittel oder eine Methode Doping ist. "Es ist leistungssteigernd, es ist gefährlich und es widerspricht den Regeln des Sports", erklärt Schmidt: "Diese Methode erfüllt alle drei Kriterien."

Teams beteuern: Wir messen nur

Die genannten Teams beteuern, dass sie die Geräte nur zu Messzwecken einsetzen, um den Effekt der Höhe auf den Körper der Radprofis zu erfassen. Dafür wird der Hämoglobinwert einmal vor und dann nach dem Trainingslager erfasst. Schmidt nennt diese Art der Anwendung harmlos. "Das haben wir schon vor 20 Jahren bei Höhentrainingslagern von Schwimmern angewandt", sagt er.

Tadej Pogacar berichtete, als er sein Wissen aufgefrischt hatte, dass er sich erinnere, vor dem Höhentrainingslager in einen Ballon geatmet zu haben. Er hätte das nach dem Trainingslager noch einmal tun sollen. "Aber die Frau, die den Test durchführen sollte, ist nicht gekommen", erzählte der Slowene: "Es ist also nicht so, dass wir jeden Tag am Auspuff eines Autos atmen. Es ist nur ein simpler Test."

Zweifel innerhalb des Pelotons

Aber selbst innerhalb des Pelotons gibt es Zweifel daran, dass die Geräte nur zu Messzwecken genutzt werden. Die Website "Escape Collective" zitiert einen nicht näher genannten Mitarbeiter eines World-Tour-Teams mit den Worten: "Man kann nicht etwas messen, was man nicht verändern kann. Es sei denn man entscheidet sich dafür, mehr Kohlenmonoxid zu verabreichen. Das wäre Blutdoping - keine Frage."

Verboten ist die Inhalation von Kohlenmonoxid im Spitzensport bislang nicht. Das wäre die Aufgabe der Welt-Anti-Doping-Agentur (WADA). Nach Informationen der Sportschau diskutiert man dort aber schon seit der Veröffentlichung der Studie von Schmidt und seinen Kollegen über ein Verbot dieser Methode. Bislang ohne Ergebnis.

Nach der 18. Etappe am Donnerstag wurde Tadej Pogacar gefragt, ob er es richtig fände, als Radprofi in Grenzbereiche vorzustoßen. "Ich denke, man sollte Grauzonen vermeiden", sagte Pogacar. Andererseits sei auch Koffein eine Grauzone. Am besten halte man sich sowieso an den Rat der Ärzte: "Und ich denke, man muss sich über solche Sachen auch immer selbst ein bisschen bilden."