Tour de France erreicht die Pyrenäen Angriff oder Verteidigung? Pogacar muss sich entscheiden
Im Finale der aufregenden 13. Etappe mischt Tadej Pogacar im Sprint mit. Die Lust auf Radrennen und Attacke entspricht seinem Naturell. Vor dem schwierigen Wochenende in den Pyrenäen muss der Slowene überlegen, ob er auch Defensive kann.
Für die knapp 100 Meter zwischen Podium und Teambus hatte Tadej Pogacar sich sein Zeitfahrrad geben lassen. Der Slowene winkte den Zuschauern hinter den Barrieren zu, und als er den gesicherten Bereich verlassen hatte, bahnten ihm Gendarmen und Mitarbeiter der Tourorganisation den Weg durch die Menge.
Pogacar sprintet auf Rang neun
Pogacar hatte soeben die täglichen Pflichten des Mannes im Gelben Trikot absolviert: Podium, Interviews, Pressekonferenz. Seine Konkurrenten waren zu diesem Zeitpunkt schon auf dem Weg ins Hotel, um sich zu erholen. Vor den kommenden Strapazen und von einer 13. Etappe der Tour de France, die sich die Fahrer für das Gesamtklassement als weitgehend kräfteschonende Überführungsetappe in Richtung Pyrenäen notiert hatten.
Die Realität bot dann eine Hochgeschwindigkeits-Etappe mit ständig wechselnden Rennsituationen, Windkanten, an denen das Feld in mehrere Teile zerbrach, und dem Sprint einer kleineren Gruppe ins Ziel in Pau. Den gewann der Belgier Jasper Philipsen, aber mittendrin in diesem Schlussspurt war auch das Gelbe Trikot zu erkennen. Pogacar beendete die Etappe als Neunter.
Pogacar: "Macht euch keine Sorgen"
"Ich hatte gute Beine, ich war in einer guten Position und es ist doch schön, eine Top-Ten-Platzierung in einer Sprintetappe einzufahren", sagte Pogacar danach gut gelaunt, als sei er damit gar kein Risiko eingegangen. Ach was: "Macht euch keine Sorgen. Ich bin immer ruhig geblieben im Finale, es war kein Stress, ich war in meiner Sicherheitszone, meiner eigenen Blase und habe mit klarem Kopf all die hektischen Sachen vermieden."
Pogacar bleibt Pogacar, ein Rennfahrer nach Instinkt. Aber ob das immer sinnvoll ist, wenn es darum geht, die Tour de France zu gewinnen, bleibt eine Frage, die in den verbleibenden acht Renntagen in Frankreich beantwortet werden wird. Erste Aufschlüsse wird es schon am Wochenende geben. Dann stehen zwei schwere Hochgebirgsetappen jeweils mit Schlussanstieg auf dem Menüplan.
Pogacar geht mit 1'06 Minuten Vorsprung auf den Gesamtzweiten Remco Evenepoel in das Pyrenäen-Wochenende. Weitere acht Sekunden dahinter liegt Vorjahressieger Jonas Vingegaard, den der Slowene wirklich fürchtet. Pogacar kann also eigentlich abwarten, der Belgier und der Däne müssen ihn angreifen, um Gelb zu übernehmen.
Kann Pogacar der Lust auf Attacke widerstehen?
"Wir hatten bisher erst eine wirkliche Bergetappe", verwies Pogacar in Pau auf die 4. Etappe, wo er am Galibier attackiert und einen Teil seines derzeitigen Vorsprungs auf die beiden herausgefahren hatte. "Wir werden sehen, wie die anderen Teams fahren, aber wir können ein bisschen defensiv sein, vielleicht auf den Etappensieg gehen, aber ohne viel Energie aufzuwenden, weil wir ja einen komfortablen Vorsprung haben."
Defensive entspricht allerdings nicht Pogacars Naturell, und es ist unklar, ob er seiner Lust auf Attacke widerstehen kann. "Er mag es, offensiv zu fahren und zu attackieren. Er weiß aber auch, wann er angreifen muss und wann nicht", behauptet der Manager von Pogacars UAE-Team, Mauro Gianetti. "Wir sind in einer guten Position, das Rennen zu kontrollieren."
Pogacar verliert wichtigen Helfer
Kontrolle statt Angriff? Pogacar ging auf der 13. Etappe auch noch ein wichtiger Helfer für die Berge verloren. Der Spanier Juan Ayuso, der schon auf der schwierigen 11. Etappe im Zentralmassiv nicht im Vollbesitz seiner Kräfte war, gab das Rennen erkrankt auf. Pogacar versuchte auch in diesem Fall gelassen zu wirken. Sein Team sei richtig stark und werde sogar jeden Tag besser. "Dass uns jetzt einer fehlt, ist nicht perfekt, aber wir machen das schon", sagte der Slowene.
Ein bisschen klang das nach Pfeifen im Walde. Denn obwohl sein Team zuletzt im Zentralmassiv Schwerstarbeit vollbracht hatte, um Pogacar einen Angriff auf die Konkurrenten vorzubereiten, blieb der Ertrag aus. Zumindest auf seinen ärgsten Rivalen konnte er den Vorsprung nicht ausbauen.
Vingegaards Terrain kommt jetzt
Jonas Vingegaard hat mit seinem Etappensieg dort bewiesen, dass er trotz seines schweren Sturzes im April und nur sechs Wochen Vorbereitung auf die Tour in Topform ist. Was Pogacar sichtlich unter Druck gesetzt hat. Denn jetzt kommt das Terrain, das dem Dänen viel besser liegt, als die kurzen, explosiven Anstiege im Zentralmassiv.
Er rechne "mit zwei sehr intensiven Bergetappen", sagte Vingegaards Sportlicher Leiter beim Team Visma-Lease A Bike, Grischa Niermann. "Und wir hoffen natürlich, dass Jonas der Stärkste ist an den langen, langen Anstiegen."
Das bedeutet auch, dass der Däne in die Offensive gehen muss. Oder er setzt darauf, dass Pogacar trotz aller Ankündigungen doch zu früh zuckt, wenn er die Gelegenheit sieht für einen Angriff. "Ich werde nichts Verrücktes machen", versprach der Mann im Gelben Trikot zwar in Pau. Die Frage ist aber: Was hält Pogacar für verrückt und was nicht?