Para-Badminton Thomas Wandschneider - mit dem Herz eines 40-Jährigen um die Medaillen
Seit vier Jahren lebt Thomas Wandschneider voller Entbehrungen - und meist in seinem Auto. Heute will der 60-Jährige beweisen, dass sich der Aufwand gelohnt hat. Mit überraschender Unterstützung.
Seit mehr als 20 Jahren gehört Para-Badmintonspieler Thomas Wandschneider zur Weltspitze. Fünf Weltmeistertitel und 16 Europameistertitel gewann er, dominierte über Jahre die Sportart. Am Samstag (31.08.2024) erlebte der 60-Jährige dennoch etwas Neues: "Das war ein Feeling, das habe ich noch nie erlebt", sprudelte es aus dem Norddeutschen am Sportschau-Mikrofon heraus - denn Franzosen feierten ihn.
Auf die Standing Ovations der Zuschauer reagierte Wandschneider mit einem Liebesbekenntnis: "Ich habe gezeigt, dass ich die Franzosen liebe. Alle, die für mich sind, liebe ich", bedankte sich Wandschneider beim frenetischen Publikum in der La-Chapelle-Arena.
"Alle meine Kinder sind älter als er."
Wandschneider war bei den Paralympics in Paris gerade ins Halbfinale in der Rollstuhl-Startklasse WH1 eingezogen. In einem packenden Match zwang der Deutsche seinen chinesischen Kontrahenten Tong Yang mit 2:1 nieder. "Normalerweise ist bei unserem Sport nicht so viel los", sagte Wandschneider. "Jetzt hat die ganze Welt gesehen, dass Badminton manchmal spannender ist als eine Krimi-Serie." 103 Minuten dauerte das Match - es ist offiziell das längste der Paralympics-Geschichte.
"Ich habe schon am Anfang gedacht, ich könnte es packen. Ich habe ihn müde gemacht", sagte Wandschneider über das Duell mit dem erst 24 Jahre alten Chinesen. "Alle meine Kinder sind älter als er", so der vierfache Vater und zweifache Großvater Wandschneider. Fünfmal standen sich Wandschneider und Yang gegenüber, viermal verlor der Deutsche. Und: "Er hat noch kein Doppel gespielt, ist ganz frisch ins Turnier eingestiegen."
Wandschneider: Bereits 302 Wettkampfminuten
Dennoch gelang dem Deutschen der auch vom französischen Publikum bejubelte Sieg. Wandschneider spielte bereits sein fünftes Paralympics-Match, hat seit Donnerstag 302 Spielminuten in den Knochen und musste am Freitagvormittag die bittere Doppel-Niederlage mit Rick Cornell Hellmann mit vorzeitigem Paralympics-Aus hinnehmen. Wie schafft das ein fast 61-Jähriger?
80 Prozent des Lebens im Auto
"Durch Training über Jahrzehnte. Immer Konditionseinheiten", verrät Wandschneider. Training heißt dabei: tägliches, stundenlanges Training. Von seinem Heimatort Lindhorst im Landkreis Schaumburg fährt Wandschneider sonntagabends eine Stunde nach Hannover, um mit seinem umgebauten Kastenwagen vor der Trainingshalle zu parken. "Dort schlafe ich dann. Montags beginnt 8.30 Uhr das Training, meistens trainiere ich bis 17 Uhr, manchmal bis 19 oder 20 Uhr. Freitagabends fahre ich zurück zu meiner Familie. Und sonntags dann wieder nach Hannover. Ich lebe 80 Prozent meines Lebens im Auto".
Wandschneider hat "Herz wie ein 40-Jähriger"
Der positive Effekt dieses Marathon-Trainings: "Wir haben vor Kurzem eine Leistungsdiagnostik gemacht. Da wurde mir gesagt: 'Du hast ja ein Herz wie ein 40-Jähriger'. Ich bin fast 61, das ist schon cool." Doch das Ganze hat auch einen Negativaspekt: "Ich vernachlässige meine Familie. Das ist sehr, sehr schlecht."
Im Halbfinale gegen den Chinesen Qu
Am Sonntag könnte es endlich Lohn für den großen Aufwand geben: In zwei Matches spielt Wandschneider um seine erste Paralympics-Medaille. Im Halbfinale (nicht vor 14.20 Uhr) trifft er auf den Chinesen Zi Mo Qu, der Youngster Yang im Viertelfinale in zwei Sätzen abfertigte.
Vor drei Jahren in Tokio wurde Wandschneider Fünfter im Doppel und Siebter im Einzel. In Paris soll endlich die Medaille her. "Ich habe irgendwann mal versprochen, dass ich eine Paralympics-Medaille hole. Ich versuche immer, meine Versprechen einzuhalten, koste es, was es wolle", sagte Wandschneider vor Beginn der Spiele mit einem Augenzwinkern.
"Sorry, aber ich brauche diese Medaille."
Im Halbfinale und später im Finale oder Spiel um Platz drei könnte sich der Traum nun verwirklichen. "Wenn ich eine Medaille gewinne, kann ich sagen: 'Ich habe alles richtig gemacht'. Wenn ich leer ausgehe, werde ich sagen: 'Vier Jahre ohne Zeit für meine Familie, meine Frau und alles andere.' Sorry, sorry, aber ich brauche diese Medaille."
Für sich selbst, für seine Familie, die Kinder – und vielleicht auch ein bisschen für das französische Publikum, das Wandschneider am Freitag ein Gefühl beschert hatte, das er vorher "noch nie erlebt" hatte.