125 Millionen Euro investiert Die Paralympics sollen in Paris viele Barrieren abbauen
Die Organisatoren der Paralympics rühmen sich für ihre Bemühungen um die Barrierefreiheit in Paris. 125 Millionen Euro sind für diese Nachhaltigkeit der Spiele investiert worden. Aber: Es bleibt noch viel zu tun.
Als der Bus an der Station anhält und die Türen aufgehen, bleibt Kirsten Bruhn mit ihrem Rollstuhl lieber stehen. Zwischen der Schwelle und dem Bordstein klafft eine rund 50 Zentimeter breite Lücke. Als der Fahrer merkt, dass nicht nur Fußgänger den Bus verlassen wollen, sondern auch eine Rollstuhlfahrerin, entschuldigt er sich schnell. Auf Knopfdruck schließen sich die Türen - doch die Technik, die dafür sorgen soll, dass die Rollstuhl-Rampe ausfährt, spielt trotz mehrmaliger Versuche nicht mit.
Zum Start der Paralympics klappt noch nicht alles in Paris in Sachen Barrierefreiheit. Aber der freundliche Fahrer weiß sich zu helfen. Bitte alle zurückbleiben! Er rangiert den Bus mehrfach hin und her. Dann steht das Fahrzeug dicht am hohen Bordstein. Und mit ein bisschen Hilfe der anderen Fahrgäste kann Bruhn ihre Tour unbeschadet fortsetzen.
Sportschau-Expertin Kirsten Bruhn ist in Paris mit ihrem Rollstuhl unterwegs
"Gott sei Dank ist nichts kaputt gegangen - weder an mir noch an meinem Rollstuhl", sagt die Paralympics-Siegerin im Schwimmen von Athen, Peking und London. Seit 2016 in Rio begleitet sie die Sommerspiele als Sportschau-Expertin. "Ich kenne solche Situationen aus meinem Alltag. Aber das hier sind die Paralympics, da hätte ich solche Probleme nicht erwartet."
Großes Lob von IPC-Boss Parsons
Präsident Andrew Parsons vom Internationalen Paralympischen Komitee (IPC) hatte die Organisatoren der Spiele zuletzt überschwänglich gelobt. Der Brasilianer sprach mit Blick auf die Inklusion in der Stadt von einer "Revolution".
Die Verbesserungen, die Paris in den vergangenen sieben Jahren gemacht hat, sind fantastisch.
Paris sei sowohl für die rund 185.000 in der Stadt lebenden Menschen mit körperlichen Einschränkungen als auch für Geschäftsreisende und Touristen "zugänglicher" geworden. "Die Verbesserungen, die Paris in den vergangenen sieben Jahren gemacht hat, sind fantastisch", lobte Parsons.
Paralympics sorgen für riesiges Stadtentwicklungsprojekt
Ähnlich begeistert klangen die Worte in einer Pressemitteilung des IPC: "Eine der historischsten und symbolträchtigsten Städte der Welt zugänglich zu machen, ist nicht einfach, aber Paris hat bewiesen, dass es möglich ist." Dazu wurde eine Liste mit zehn "herausragenden" Punkten veröffentlicht, die als Erbe der Paralympics für Frankreichs Hauptstadt stehen sollen:
- Die barrierefreie "Porte de La Chapelle Arena"
- Bessere Para-Sport-Bedingungen in Paris
- Mehr barrierefreie Schulen
- Verbesserungen für Menschen mit Sehbeeinträchtigung
- Abbau von Barrieren in den Stadtteilen
- Barrierefreie öffentliche Gebäude
- Weitgehende Barrierefreiheit für den oberirdischen Personennahverkehr
- Mehr Sportangebote für Menschen mit Beeinträchtigungen
- Barrierefreie Wahllokale
- Die 5.288 Volunteers haben ein Achtsamkeitstraining zum Thema Behinderungen gemacht. Außerdem sind 260 Menschen von der Stadt eingestellt worden, um sich um die Belange von Menschen mit Beeinträchtigungen zu kümmern.
Ziel für 2025: 95 Prozent der Einrichtungen barrierefrei
125 Millionen Euro investierten die Verantwortlichen laut eigenen Angaben, um Paris inklusiver zu gestalten und viele Barrieren abzubauen. Mit 50 Millionen Euro fließt der größte Teil davon in das Zugänglichmachen von öffentlichen Gebäuden. Auch für Menschen mit Sehbehinderungen - zum Beispiel mit geriffelten Markierungen am Boden. Im kommenden Jahr sollen 95 Prozent der Einrichtungen barrierefrei sein.
Zehn Millionen Euro flossen in sechs Sportstätten der Stadt, um sie barrierefrei zu machen. Für Menschen mit einer Sehbeeinträchtigung wurden 10.400 akkustische Module an kritischen Kreuzungen angebracht. Auch 17 Kilometer Bürgersteige wurden saniert. Um ein paar Beispiele zu nennen.
Paris hat zudem den "Inklusionsplan 2030" geschmiedet, nach dem zwischen 2024 und 2026 zusammen 99 Grund- und Mittelschulen barrierefrei gemacht werden sollen. Kostenpunkt zwischen 500.000 und einer Million Euro pro Schule.
Tram ist barrierefrei, Bus bei 68 Prozent
Nachdem Paris vor sieben Jahren den Zuschlag für die Spiele bekommen hatte, wurde zudem damit begonnen, zumindest den oberirdischen Verkehr möglichst barrierefrei zu gestalten. Über die Tram lässt sich das schon sagen. Um dies auch bei den Buslinien hinzubekommen, sind bis heute 21,9 Millionen Euro investiert worden. Laut der Stadt sind 1.725 und damit 68 Prozent der insgesamt 2.540 Stationen bereits fertig. Weitere 380 Baustellen waren zuletzt in Arbeit.
Die Metro ist das große Sorgenkind
Das Sorgenkind ist die Metro, mit deren Bau bereits 1889 begonnen worden ist. Mittlerweile umfasst das System 16 Linien mit mehr als 300 Stationen. Davon sind allerdings lediglich 29 Haltestellen barrierefrei. Die historischen Metro-Linien "bleiben die Schwachstelle", sagte Valérie Pécresse jüngst. Sie ist als Regionalpräsidentin für das Transportnetzwerk zuständig und erklärte, dass ein Großteil des Netzes zwar modernisiert werden könnte. Das würde jedoch 20 Jahre dauern und zwischen 15 und 20 Milliarden Euro kosten.
Eine App soll den Besuchern während der Spiele helfen, ihre Anreise zu planen. Es gibt auch einige kreative Lösungen - zum Beispiel Minibusse, die Menschen mit Beeinträchtigungen zu den Spielstätten bringen sollen.
Schon am Flughafen Gehstützen statt Busrampe
Auf ihrem Weg durch Paris hatte Bruhn, die inkomplett querschnittsgelähmt ist, allerdings von Anfang an Pech. Schon beim Bus am Flughafen wurde ihr von den Volunteers mitgeteilt, dass das Ausfahren der Rollstuhlrampe sehr lange dauern würde. Ob sie nicht ihre Gehstützen benutzen könnte, um einzusteigen? Machte sie und schaffte sie.
Die Bürgersteige sind eine Herausforderung. Es fühlt sich ein bisschen an wie ein Offroad-Trainingslager.
Die 54 Jahre alte Wahl-Berlinerin bringt normalerweise nichts so schnell aus der Ruhe. Aber gerade ein kurzer Abstecher zum Eiffelturm hat es überraschenderweise wirklich in sich. Die Stadt an der Seine zeigt sich von ihrer besten, der sonnigen Seite. Das Problem ist nicht der Himmel, sondern der Boden. "Die Bürgersteige sind eine Herausforderung. Es fühlt sich ein bisschen an wie ein Offroad-Trainingslager", flüchtet sich Bruhn in Galgenhumor.
Unebenheiten auf den Wegen, die mitunter Richtung Straße abschüssig sind, unterschiedliche Beläge, die sich schnell abwechseln und teilweise größere Spalten. "Das sind dann schon mal plötzlich zehn Zentimeter Höhenunterschied", berichtet Bruhn. Auch für Blinde eine große Stolpergefahr. "Da muss man wirklich aufpassen, teilweise ist es riskant."
Oder um es mit den Worten von IPC-Präsident Parsons zu sagen: Die bisherigen Arbeiten in Paris sollen "der Startpunkt einer Reise sein". Und auch wenn schon viel erreicht worden ist, scheint diese Reise eine sehr lange zu werden.