Die deutsche Judoka Anna-Maria Wagner
Reportage

Judo bei Olympia 2024 Fahnenträgerin Wagner: "Leider sind die Hände jetzt leer"

Stand: 01.08.2024 21:12 Uhr

Zwei Sekunden der Unachtsamkeit kosten Judoka Anna-Maria Wagner an einem eigentlich guten Tag die Medaille nach Jahren der Vorbereitung. Beim Interview kullern die Tränen.

Jede einzelne Sekunde zählt in ihrem Sport, das fasziniert Anna-Maria Wagner so am Judo. Ein Moment der Unachtsamkeit und man fliegt durch die Luft, landet auf dem Rücken - und ist raus. Ein Moment der Unachtsamkeit bei der Gegnerin - und das Weiterkommen ist schon gesichert.

Alles hat seine zwei Seiten. "Im Endeffekt habe ich eine Sekunde zu lang an einem Ort gestanden, das war's", sagte die deutsche Fahnenträgerin Wagner nun am Donnerstagabend (01.08.2024) im Sportschau-Interview über ihre Olympia-Halbfinal-Niederlage im Halbschwergewicht (bis 78 Kilogramm) gegen die Israelin Inbar Lanir. Die sie umgehend durch die Luft und auf den Rücken schleuderte, also per Ippon besiegte, der höchsten Judo-Wertung. Die beendet den Kampf sofort.

Anna-Maria Wagner: "Die letzten Jahre alles für den Sport geopfert"

Ein wenig traf dieser Satz im Interview dann auch für das Aus ihrer Medaillenträume zu - auch im anschließenden Bronzekampf unterlag sie der Chinesin Ma Zhenzhao per Ippon im Golden Score, also der "Verlängerung". Hinterher schluchzte Wagner. "Mein Ziel war Gold, aber am Ende des Tages wollte ich einfach nur mit einer Medaille nach Hause", sagte sie. "Ich glaube, der fünfte Platz ist der beschissenste Platz, den man haben kann."

Zwei Sekunden der Unachtsamkeit haben ihr olympisches Ziel und Jahre der Vorbereitung dafür zunichte gemacht. "Es schmerzt noch mehr, wenn man die letzten Jahre einfach alles für den Sport und den Höhepunkt geopfert hat. Und nie aufgegeben hat", sagte sie unter Tränen. "Ich bin so stolz auf mich, wie ich es wieder hierher geschafft habe. Leider sind die Hände jetzt leer."

Wagner richtete alles auf Paris 2024 aus

Judo teilt mit einigen anderen olympischen Sportarten sein Schicksal, dass es vor allem alle vier Jahre in den Fokus der Öffentlichkeit rückt. Wagner hatte für ihr Gold-Ziel eigens ihr Hotel- und Tourismus-Management-Studium ruhen lassen.

Zudem hatte sie nach ihren zwei Tokio-Medaillen eine Sinnkrise zu bewältigen. Denn die Jahre der Vorbereitung, die Zeit bis zu den Erfolgen war mental und körperlich erschöpfend, Wagner fühlte sich antriebslos, kämpfte mit mentalen Problemen. "In dem Jahr hatte ich mit dem Weltmeistertitel zudem im Prinzip alles erreicht, was man erreichen kann. Danach war erstmal die Frage: 'Okay, und jetzt? Wie geht es jetzt weiter?' Ich hatte die Freude am Judo verloren, konnte mich nicht mehr so für den Sport motivieren", berichtete sie im Nachhinein. Ihr half danach sportpsychologische Beratung.

Starker Start am Morgen gegen Branser und Takayama

Nun war sie vorzüglich in das Olympia-Jahr im Allgemeinen und in den Donnerstag im Besonderen gestartet. Im Mai sicherte sie sich ihren zweiten WM-Titel nach 2021 - dem Jahr, in dem sie schon Olympia-Bronze im Einzel und im Mixed gewann. Dann wurde sie zur deutschen Fahnenträgerin gewählt und freute sich herzlich über diese Auszeichnung. Zudem wurde ihr etwas Erfolgsdruck mit der Silbermedaille von Miriam Butkereit in der Klasse bis 70 Kilogramm am Mittwoch genommen. Gute Vorzeichen also für Wagners Wettbewerb.

In dem begann sie mit einem Freilos und zwei anschließenden Erfolgen, bei denen sie ihren Gegnerinnen Marie Branser (eine Leipzigerin, die für Guinea startet) und Rika Takayama nicht den Hauch einer Chance ließ. Gerade der Erfolg gegen die Japanerin im Viertelfinale stärkte ihr Selbstvertrauen, galt sie doch als eine der stärksten Gegnerinnen: "Ich dachte eigentlich, dass ich dann so weiter ins Finale einmarschiere. Das ist mir leider nicht gelungen."

Wagner motiviert sich vor der Entscheidung eindringlich

Vor dem Bronzekampf motivierte sie sich noch einmal lautstark: "Ich hol' die Medaille, meine Medaille", sagte sie sich auf dem Weg zur Matte, dort klopfte sie sich drei Mal auf die Brust. "Ich ziehe das Ding jetzt bis zum Schluss durch. Ich entscheide, wann der Kampf vorbei ist." Aus dem Publikum rief jemand mehrmals: "Auf geht's, Anna!"

Am Ende entschied tragischerweise dieser so faszinierende Moment der Unachtsamkeit. "Der Schmerz sitzt schon noch tief, das dauert auch noch ein bisschen", sagte Wagner. "Wahrscheinlich wird es morgen schlimmer sein. Ich muss selber erstmal damit klarkommen, dass ich leer nach Hause komme."

Dieses Thema im Programm: Das Erste | Sportschau Olympia 2024 | 26.07.2024 | 18:00 Uhr