Boxerin Imane Khelif Geschlechterdebatte bei Olympia wird zum Stellvertreterkrieg
Die algerische Boxerin Imane Khelif steht im Finale des olympischen Boxturniers. Über Unterstellungen, sie hätte aufgrund von Tests, die ihre weibliche Identität infrage stellen, eigentlich gar nicht antreten sollen, trägt der ausgeschlossene Boxverband IBA einen Stellvertreterkrieg mit dem IOC aus.
Lange boxte Imane Khelif im internationalen Amateurzirkus, ohne größeres Aufsehen zu erregen. Bei den Olympischen Spielen in Tokio vor drei Jahren verlor sie schon im Viertelfinale, ein Jahr später wurde sie Vizeweltmeisterin und ihre Karriere schien Fahrt aufzunehmen. Bei der Weltmeisterschaft 2023 wurde sie dann kurz vor dem Finale vom Internationalen Boxverband IBA disqualifiziert. Die IBA teilte mit, sie sei durch einen nicht näher spezifizierten Geschlechtstest gefallen.
Vor knapp einer Woche gerät Khelif nach ihrem ersten Kampf in den Fokus, als ihre Gegnerin, die Italienerin Angela Carini, nach einigen Treffern aufgibt. Die sagt danach, sie sei "noch nie so hart geschlagen" worden und habe sich Sorgen um ihre Gesundheit gemacht. Wie ein Lauffeuer breitet sich danach eine Diskussion darüber aus, ob Khelif und die Taiwanesin Lin Yu-Ting, die unter ähnlichen Umständen von der IBA ausgeschlossen wurde, überhaupt teilnehmen sollten an den Olympischen Spielen.
Unterschiedliche Regelungen zu Geschlechtstests
Doch die IBA hat, im Gegensatz zu Weltverbänden in anderen Disziplinen, kein Mitspracherecht bezüglich der Zulassungskriterien bei Olympia. Das liegt daran, dass sie vom IOC seit 2019 suspendiert ist, wegen Korruption in der Verbandsführung, intransparenter Finanzen und vor allem grassierender Manipulationsfälle bei Kampfrichtern. Schon die Olympischen Spiele 2021 wurden deshalb übergangsweise vom IOC selbst organisiert, so ist es auch derzeit in Paris. 2028 ist Boxen bisher überhaupt nicht im Programm vorgesehen, auch, wenn sich bereits 37 nationale Verbände dem 2023 neu gegründeten Verband World Boxing angeschlossen haben. Der wartet aber noch auf Anerkennung durch das IOC.
Die Debatte um Fairness bei Frauen-Wettbewerben begleitet den internationalen Sport nun schon einige Jahre, manche Weltverbände haben deshalb in den vergangenen Jahren Zulassungskriterien festgelegt. Das gilt beispielsweise im Schwimmen oder in der Leichtathletik. Dort wurden in den internationalen Regelwerken Grenzwerte für Testosteron festgeschrieben, die auch bei den Olympischen Spielen gelten. Im Boxen gab es solche Tests bisher nicht. Das IOC als Ausrichter hält sich weiterhin an die Angaben in der Geburtsurkunde der Athletinnen - Imane Khelif und Lin Yu-Ting sind beide als Frauen geboren und aufgewachsen.
Präsident von Putins Gnaden
Seit der Suspendierung der IBA geht insbesondere deren Präsident Umar Kremlew auf Konfrontationskurs mit dem IOC. Der Russe war schon bei seinem Amtsantritt 2019 kein unbeschriebenes Blatt, über Verbindungen zum russischen Sicherheitsapparat und der nationalistischen Motorradgang "Nachtwölfe" hat er einen engen Draht zu Wladimir Putin. Als zentrales Wahlversprechen brachte er Geld in den maroden Verband, vor allem durch den russischen Staatskonzern Gazprom. Darüber sollten auch jährliche Zahlungen an die Mitgliedsverbände in Millionenhöhe finanziert werden.
Der Präsident der "International Boxing Association", Umar Kremlew, bei einer Pressekonferenz.
Eine denkwürdige Pressekonferenz
Am Montag (05.08.) veranstaltete die IBA eine Pressekonferenz in Paris, vorgeblich, um die Verwirrung rund um die Geschlechterdebatte aufzuklären. Doch klar war danach wenig. Präsident Kremlew ließ sich aus Moskau zuschalten, sagte, bei den Tests von Khelif und Lin sei herausgekommen, sie seien Männer.
Im Dunkeln blieb, wie die IBA getestet hatte und welchem Protokoll sie dabei gefolgt war. Mal war die Rede von Chromosomen, mal von Testosteronwerten. Ersteres enthält genetische Informationen, das andere ist ein Hormon. Was war es denn nun? In einem Interview mit der BBC sprach der britische Generalsekretär von "Bluttests, die diese Chromosomensache" getestet haben sollen.
Die beiden Boxerinnen seien bei der Weltmeisterschaft 2022 das erste Mal getestet worden, ein Jahr später dann zum zweiten Mal. Das sei dem IOC auch schriftlich mitgeteilt worden, doch das habe nicht reagiert. Dessen Sprecher Mark Adams nannte die IBA-Tests illegitim, die Athletinnen hätten jahrelang ohne Auffälligkeiten am Boxbetrieb teilgenommen. Er erinnerte erneut an die Kriterien des IOC für das olympische Boxturnier, laut derer allein die Angaben im Pass relevant sind.
Khelif über Mobbing: "Es kann Menschen zerstören"
Der Sportdirektor des Deutschen Boxverbandes, Michael Müller, bezeichnet das Vorgehen der IBA als "plumpen Störungsversuch", im Fall Khelif gelte für ihn die IOC-Linie: "Als Mädchen geboren, nur als Frau geboxt und im Pass steht auch Frau - das sind objektive Fakten. Alle arbeiten daran, Testmethoden zu entwickeln, um eine faire Lösung zu finden. Aber das ist sehr, sehr kompliziert und braucht Zeit."
Khelif zeigte sich in ihrem Halbfinale am Dienstag (06.08.2024) äußerlich unbeeindruckt von der Debatte. Die 25-Jährige gewann ihr Halbfinale gegen Janjaem Suwannapheng aus Thailand einstimmig nach Punkten und boxt nun am Freitag in der Gewichtsklasse bis 66 Kilogramm um Gold.
Khelif und Lin sehen sich derweil massiven Anfeindungen ausgesetzt. Kremlew hatte Carini, Khelifis italienischer Gegnerin in der ersten Runde, nach ihrer Aufgabe 50.000 Dollar versprochen. In den sozialen Medien kursieren Halbwahrheiten. Vertreter des rechtspopulistischen Lagers nutzten die Chance für politische Botschaften, zweifelten Khelifs Identität als Frau an oder sprachen sie ihr ganz ab. So äußerten sich beispielsweise die italienische Premierministerin Georgia Meloni, Donald Trump oder sein Vize-Kandidat JD Vance. Die Faktenlage blieb dabei außen vor.
In einem Interview erinnerte Khelif daran, dass das Schüren solcher Debatten bei den Betroffenen Spuren hinterlässt: "Es kann Menschen zerstören. Es kann die Gedanken, den Geist, den Verstand der Menschen töten. Sie entzweien. Deshalb bitte ich alle, mit dem Mobbing aufzuhören."