Russische Athleten bei Olympia Von Hoffnungsträgern und Vaterlandsverrätern
Lange herrschte Unklarheit darüber, wie groß das Kontingent russischer "Neutraler Athleten" in Paris sein würde. 15 sind es schließlich geworden - ob deren Teilnahme nun im Sinne des russischen Präsidenten ist oder nicht, weiß niemand so genau. Die Athleten selbst stecken im Dilemma.
Die Idee war simpel, aber vielversprechend. Anschela Bladzewa, 19-jährige Athletin aus St. Petersburg, sollte die Kohlen aus dem Feuer holen für den Präsidenten des russischen Trampolinverbandes, Nikolaj Makarow. Immerhin hatte sie schon oft genug bewiesen, dass sie in der Luft schwer zu bezwingen ist - Ende Juni noch hatte sie den letzten Weltcup vor den Olympischen Spielen gewonnen.
Im Sinne des Präsidenten
Für Makarow wäre ein weiterer Sieg sicher hilfreich gewesen, um seine exponierte Position gegenüber anderen russischen Verbandschefs zu rechtfertigen. Denn viele seiner Kollegen sagten die Teilnahme ihrer Athleten pauschal ab, obwohl das IOC im Vorfeld eine mittlere zweistellige Zahl russischer Athleten zu den Spielen eingeladen hatte. Diese hatten der Überprüfung der Ausschlusskriterien, Militärzugehörigkeit oder offene Unterstützung des Kriegs in der Ukraine, standgehalten und hätten als neutrale Athleten antreten können. Für die Prüfung hatte das IOC extra eine Arbeitsgruppe eingesetzt.
Aus dem Kreml hatte es im Vorfeld zumindest öffentlich keine klaren Handlungsanweisungen gegeben. Präsident Wladimir Putin ließ offen, ob er eine Teilnahme russischer Athleten in Paris billigen würde - letztlich sei es die Entscheidung der Sportler selbst, sagte sein Regierungssprecher. Doch die Rhetorik Putins gegenüber dem IOC ist spätestens seit der Bekanntgabe der NOK-Suspendierung konfrontativ, den Ausschluss russischer Sportler nannte er “diskriminierend” und “rassistisch”. Diese Haltung wirkte sich offenbar auch auf die öffentliche Meinung aus, immerhin entschieden sich einige Verbandspräsidenten dafür, gleich alle ihre Sportler aus dem Verkehr zu ziehen.
Einer derjenigen, die in vorauseilendem Gehorsam die Reißleine zogen, war der Präsident des russischen Ringerverbandes, Michail Mamiaschwili. Zehn Ringer waren eigentlich vom IOC eingeladen worden, doch Mamiaschwili schob den Riegel vor. Im ARD-Interview ließ er erahnen, wie er die Rauchzeichen Putins interpretierte: “Er hofft, und das nicht ohne Grund, dass die russischen Sportler, die russischen Ringer ihrem Staat und ihrem Präsidenten gegenüber loyal sind und es auch bleiben werden.” Ähnlich sahen das wohl auch die Präsidenten der Verbände Rhythmischer Sportgymnastik und Judo, die ebenfalls verkündeten, niemanden nach Paris zu schicken.
Trampolinpräsident Makarow wählte einen weniger betretenen Pfad - Bladzewa sollte beweisen, dass Russland trotz allem die ein oder andere Lorbeere für sich beanspruchen könnte. Ohne große Mühe sprang sie ins Finale, doch dort hakte es. Am Ende erreichte sie den fünften Platz. Die sichtlich enttäuschte Russin ließ danach durchblicken, dass die Entscheidung, zu den Spielen zu fahren, nicht überall auf Gegenliebe gestoßen war: “Im olympischen Dorf waren alle so nett zu mir. Alle haben gefragt, ob es schwer für mich ist. Es gab sowas nicht, dass jemand gegen uns war oder uns kritisiert hat. In meiner Heimat hingegen gab es das schon.”
Die Russin Anschela Bladzewa wurde als "Neutrale Athletin" Fünfte im Trampolinspringen.
Das Dilemma der Athleten
Das IOC hat sich mit seinen Ausschlusskriterien bezüglich der Teilnahme russischer und belarussischer Athleten eine schwierige Aufgabe gestellt. Eigentlich sei es eine lobenswerte Initiative des Komitees, zwischen Staat und den Athleten als Einzelpersonen trennen zu wollen, meint der Politik- und Geowissenschaftler Sven-Daniel Wolfe. Und doch sei diese Unterscheidung eine “unmögliche Mission”. Russische Athleten sind elementarer Bestandteil der staatlichen Propaganda - so bliebe ihnen laut Wolfe nur, die staatlichen Ziele mindestens passiv zu unterstützen oder das Land zu verlassen.
Genau das haben mindestens 16 ehemals russische Athleten und Athletinnen getan, die nun bei den Olympischen Spielen für andere Nationen starten. Wie es ihnen ergehen kann, zeigt der Fall von Michail Jakowlew, Bahnradfahrer mit jüdischen Wurzeln. Er beantragte nach der Invasion der Ukraine 2022 beim Internationalen Radsportverband einen Verbandswechsel und verließ seine Heimatstadt Moskau wenige Monate später gen Israel.
In einer Nacht- und Nebel-Aktion landete er in Tel Aviv, in einer ihm unbekannten Umgebung. In seiner Heimat wurde er deshalb als Abtrünniger dargestellt: “Einige Leute, vor allem aus der Regierung, sind nicht glücklich mit meiner Entscheidung, nicht mehr für Russland antreten zu wollen. Nachdem ich das Land verlassen habe, wurde ich innerhalb von zwei Tagen zum Verräter, Junkie, oder Alkoholiker.” Ob neutral oder nicht - die russischen Athleten bei Olympia bleiben ein Politikum.