
Echter Neubeginn? IOC-Präsidentin Kirsty Coventry - Ein letzter Sieg von Thomas Bach
Kirsty Coventry wird als erste Frau Präsidentin des IOC. Sie galt als Thomas Bachs Kandidatin, jetzt tritt sie aus seinem Schatten.
Dreieinhalb Tage feierte das IOC in Griechenland sich selbst und Thomas Bach, der der Organisation 12 Jahre unübersehbar seinen Fingerabdruck aufgesetzt hat. Kein Aufmucken, keine Rufe nach Veränderung. Am Donnerstag dann trafen die Mitglieder eine historische Wahl: Kirsty Coventry wird die erste Frau, die das IOC-Präsidium bekleidet, und auch die erste Präsidentin aus Afrika. Ihr Sieg zeigte aber auch, dass die Mitglieder bewusst das Risiko eingehen, weiterhin kaum Einfluss zu haben - solange ihnen die schwierigen Entscheidungen abgenommen werden.
Viele hatten mit einem langen Nachmittag gerechnet, bis Kirsty Coventry oder einer ihrer sechs männlichen Mitstreiter die absolute Mehrheit der Stimmen auf sich würde vereinen können. Runde für Runde wäre der Kandidat mit den wenigsten Stimmen ausgeschieden, es hätte ein echtes olympisches Drama werden können. Am Ende brauchte es einen einzigen Wahlgang, um Coventry zur Siegerin zu erklären.
Als der erste Wahlgang trotz einer kleinen technischen Panne um kurz vor 17 Uhr Ortszeit vorüber war, meldete sich noch einmal Thomas Bach zu Wort. Hastig schaltete er das Mikro an und vermeldete fast ein wenig übereifrig: "Liebe Freunde und Kollegen, wir haben ein Ergebnis in dieser Wahl." Hektik bei den Medienvertretern. 15 Minuten banges Warten, dann kam Bach noch einmal zurück auf die Bühne und verkündete, womit nach so einer frühen Ergebnisfindung zu rechnen war: Kirsty Coventry hat die Wahl gewonnen. Nach Glückwünschen und Umarmungen kam Coventry auch für drei Minuten selbst auf die Bühne, es sei "ein unglaubliches Rennen" gewesen. Das können allerdings nur die IOC-Mitglieder beurteilen, nicht die Öffentlichkeit.
Ein stiller Aufstieg
Dass Thomas Bach es sich zum Ziel gesetzt hatte, die ehemalige Schwimmerin aus Simbabwe zu seiner Nachfolgerin zu machen, ist hinlänglich bekannt. Auch, dass die IOC-Mitglieder, die in seiner Amtszeit dazukamen, ihm durch die Wahl Coventrys indirekt die Treue halten würden, war nicht überraschend. Coventry wurde als die Kandidatin für jüngere, weibliche Mitglieder verkauft, die in Bachs Amtszeit mehr geworden sind. Ein solch glatter Sieg im ersten Wahlgang war dann aber doch beeindruckend.
Die IOC-Statuten untersagen natürlich, dass im Vorfeld Einfluss genommen wird auf die Entscheidungen der Mitglieder. Coventrys Nähe zu Bach zeigte sich höchstens in ihrer Wahlkampagne, die sich auch aufgrund der strikten Regeln, die das IOC dieser Wahl gegeben hatte, auf ein Manifest und einige Interviews beschränkte. Was trotzdem durchdrang - wenig soll sich ändern, das IOC ist auf einem guten Kurs.
Coventrys Aufstieg bis auf den Thron des IOC ist genauso unwahrscheinlich, wie er nun nach ihrer Wahl unvermeidbar wirkt. Doch der Reihe nach: 2012 begann die Funktionärskarriere der damals schon mit sieben olympischen Medaillen dekorierten Schwimmerin, als sie Teil der IOC-Athletenkomission wurde. Eigentlich hatte sie ihre erste Wahl im IOC verloren - doch im Nachgang wurden zwei der vor ihr platzierten Konkurrenten, Chu Mu-yen und Koji Murofushi, disqualifiziert. Der Vorwurf: verbotene Wahlkampfmethoden. Was nach Korruption und Einflussnahme klingt, bekam später den Namen "Lollipop-Affäre".
Die "Lollipop-Affäre" 2012
Aus dem australischen Olympischen Komitee hatte eine Mail die Wahlkommission des IOC erreicht. Darin wurde Chu beschuldigt, bei den Olympischen Spielen 2012 in London Lollis und Visitenkarten an Athleten in der Cafeteria verteilt und außerdem eine Aufforderung zur Wahl auf seinem iPad gezeigt zu haben. Damals wie heute galt: Wahlkampfaktionen wie Geschenke oder die Aufforderung zur Wahl eines bestimmten Kandidaten sind beim IOC untersagt.
Sowohl Chu, als auch der Japaner Murofoshi, dem ähnliche Vergehen vorgeworfen wurden, zogen vor den Sportgerichtshof CAS, beide verloren dort. In der Urteilsbegründung von Chus Fall hieß es, es lägen keine Beweise dafür vor, dass er tatsächlich Lollis verteilt habe, doch das Verteilen von Visitenkarten und "Zeigen von Wahlkampfdokumenten" wären hinreichende Verstöße, um den Ausschluss des Kandidaten zu rechtfertigen.
Das Urteil basierte auch auf Aussagen von Kirsty Coventry, die im Prozess gegen Chu ausgesagt hatte. Erst nach der Wahl hatte sie eine Mail an das IOC geschrieben, laut der sie Chu im olympischen Dorf an mehreren Tagen mit seinem iPad vor der Cafeteria gesehen habe. Was er darauf zeigte, habe sie nicht ausmachen können. Dass Coventry, eine Widersacherin Chus im Kampf um einen Platz in der Athletenkomission, nach der Wahl gegen ihn aussagte, wurde vom Gericht anerkannt, aber nicht als untersuchungswürdig angesehen. Das Wahlergebnis war zu dem Zeitpunkt ihrer Meldung nicht offiziell bekannt gewesen.
Umstrittene politische Beziehungen
In ihrem Heimatland Simbabwe ist Coventry seit 2018 Sportministerin und Teil des Kabinetts von Präsident Emmerson Mnangagwa, der seit seiner Zeit an der Seite des Ex-Diktators Robert Mugabe den zweifelhaften Beinamen "das Krokodil" führt. Mnangagwa wird auf der US-Sanktionsliste "Magnitsky Program" geführt, unter anderem wegen der Repression politischer Gegner und seiner Rolle im illegalen Gold- und Diamantengeschäft. Europäische Wahlbeobachter befanden seine Wiederwahl im Jahr 2023 für "ungleich und von Einschüchterungen" geprägt.
Ungeachtet dessen wurde Coventry beim IOC weiter befördert - 2021 wurde sie dort ohne Gegenkandidaten in die Exekutive gewählt. Das Exekutivkomitee ist das Machtzentrum der Organisation, das unter anderem die Verhandlungen mit Anwärtern zur Ausrichtung der Olympischen Spiele führt.
Coventry wird sich positionieren müssen
Nach einigen Wahlsiegen ohne wirklichen Stresstest auf öffentlicher Bühne wird sich Coventry nun dort beweisen müssen. Im offiziellen IOC-Interview nach ihrem Sieg kündigte sie bereits an, weiterhin den Konsens in der Organisation in den Vordergrund zu stellen und sich mit ihren nun ehemaligen Konkurrenten um das Amt für neue Ideen auszutauschen.
Doch sie wird ohne Frage mehr ins Rampenlicht rücken: 2028 stehen die Sommerspiele von Los Angeles an und schon jetzt zeigt sich Konfliktpotenzial zwischen dem Kurs des IOC und Donald Trump, besonders bei der Frage um Geschlechterregelungen. Im Februar hatte Trump eine Verordnung unterschrieben, die Transgender-Frauen aus dem Sport verbannen soll. Das IOC spielte unter Bach in dieser Frage auf Zeit und ließ die internationalen Verbände entscheiden.
Gegenüber der Sportschau gab Coventry sich vor der Wahl zuversichtlich, sie werde einen guten Dialog mit Trump finden, immerhin sei der ein "Freund des Sports" und werde sie als zweifache Olympiasiegerin schon respektieren. Mit Autokraten kennt Coventry sich aus - vielleicht kommt sie auch in dieser Hinsicht ganz nach ihrem Ziehvater Thomas Bach.