
Entscheidung am Donnerstag Rennen um Bach-Nachfolge beim IOC bleibt undurchsichtig
Die Fragerunde am Ende des ersten Tages der IOC-Session wurde zu einer fast einstündigen Eloge auf das Vermächtnis von Thomas Bach, über dessen Nachfolge die Mitglieder am Donnerstagnachmittag (angekündigter Beginn: 15 Uhr) abstimmen. Erst wurde Bach zum Ehrenpräsidenten auf Lebenszeit gewählt, dann verglich man ihn mit Nelson Mandela und Mahatma Gandhi. Wer soll darauf noch folgen?
IOC-Sessions sind nicht unbedingt bekannt dafür, dass dort kontroverse Debatten geführt werden. Die IOC-Mitglieder, die sich in Romanos auf der griechischen Halbinsel Peloponnes versammelt haben, scheinen dieser Tage wenig Interesse daran zu haben, dass sich das ändert. Stattdessen feiert man sich selbst, die Olympische Geschichte und natürlich den scheidenden Präsidenten Thomas Bach. Alles wie immer.
Dabei ist eigentlich alles anders, denn am Donnerstag wählen die Mitglieder einen neuen Präsidenten - oder eine neue Präsidentin, es wäre die erste. Doch der Wahlkampf, der sich in seiner heißesten Phase befindet, spielt sich nach wie vor nicht in der Öffentlichkeit ab. Dafür haben sogenannte "Direktiven" gesorgt, die das IOC-Ethikkomitee im vergangenen Sommer veröffentlichte und die einen öffentlichen Schlagabtausch der Bewerber mehr oder minder untersagen. Also klärt sich die Nachfolge Bachs in den Hinterzimmern Griechenlands.
"Neue Zeiten brauchen neue Anführer"
Kirsty Coventry, ehemalige Schwimm-Olympiasiegerin und Mitglied im Exekutivkomitee, in dem die wichtigsten Entscheidungen des IOC getroffen werden, gilt als Bachs Protegée - obwohl der sich öffentlich selbstredend neutral zeigt - zumindest auf den ersten Blick.
Bei einer Pressekonferenz am Montag antwortete Bach auf die Frage eines britischen Journalisten, ob er sich bei den Mitgliedern für eine Wahl Coventrys stark mache nicht mit einem Dementi. Sondern, dass "neue Zeiten neue Anführer" bräuchten. Ob das Label "neu" für Coventrys ärgste Konkurrenten, die beiden Mittsechziger Sebastian Coe, langjähriger Präsident des Weltleichtathletikverbandes, oder den Sohn eines ehemaligen IOC-Präsidenten, Juan Antonio Samaranch Junior, noch gilt?
Coe scheint abgeschlagen
Coe, dem aufgrund seiner Geschichte als zweimaliger Olympiasieger und Chef des Organisationskomitees der Spiele von London 2012 lange gute Chancen eingeräumt wurden, scheint ins Hintertreffen zu geraten. Schon als Präsident von World Athletics war er im Vergleich zu seinen Amtskollegen immer wieder mit kontroversen Ideen vorgeprescht, wie einer Prämie für Olympiasieger oder dem konsequenten Ausschluss russischer Athleten.
Sollte man ihn als IOC-Präsidenten wählen, wolle er eine lebendige Debattenkultur etablieren, in der die Mitglieder mehr Mitspracherechte bekämen. Ein Gegenentwurf zu Bach, dessen IOC eine One-Man-Show ist. Doch Coes Gedanke, die Mitglieder könnten sich auf einen Kurswechsel einlassen, scheint nicht zu fruchten. Auf die Frage eines Reporters, wie er sich fühle angesichts der anstehenden Wahl, reagierte Coe am Mittwoch ungewohnt schmallippig und wenig präsidiabel: "Ich bin noch da." Es klang nach Resignation.
Das IOC präsentierte am Mittwoch auch seine exorbitanten Einkünfte, fast acht Milliarden Dollar waren es in der vergangenen Olympiade. Auch für die nächsten Jahre ist vorgesorgt: Erst vor einer Woche wurde ein drei Milliarden schwerer Deal mit dem US-Mediengiganten Comcast NBC verkündet. Manche Beobachter wollen darin eine Vorsorge Bachs für einen möglichen Wahlsieg Coventrys sehen, die im Gegensatz zu Coe oder Juan Antonio Samaranch Jr. deutlich weniger vernetzt ist im IOC-Umfeld aus Verbands- und Geschäftswelt.
Samaranch macht Meter gut
Letzterer wirkt im Gegensatz zu seinen Gegenspielern geradezu gelassen. Während Coe sofort weiterzieht, spendiert auch Kirsty Coventry nur eine halbherzige Durchhalteparole: "Ich freue mich auf morgen. Jetzt kommt mein Ehrgeiz als Sportlerin durch." Nur Samaranch scheint sich wirklich wohlzufühlen im Rampenlicht. Er sehe sich nicht als Favorit, sagt er, während er selbstsicher mit den Journalisten plaudert. Dass ihm diese Rolle überhaupt nahegelegt wird, zeigt, wie sehr sich der Spanier im Rennen nach vorne geschoben hat.
Doch Samaranch hat das Problem, ein wenig einzigartiges Profil aufzuweisen. Er braucht die Stimmen der alten Garde und der internationalen Verbände, derjenigen Mitglieder, die schon lange im IOC sind. Die haben aber neben Samaranch eine ganze Batterie an Kandidaten, die ihre Interessen vertreten würden.
Als erste Frau in der Geschichte des IOC, die sich überhaupt auf die Präsidentschaft bewirbt, hat Coventry dieses Problem nicht. Noch dazu ist sie die Jüngste im Kandidatenfeld, sie soll die "neue" Generation von fast 70 Mitgliedern vertreten, die in Bachs Amtszeit in die Organisation gekommen ist. Unter ihnen gibt es weniger alte Seilschaften zu den anderen Kandidaten und einige von ihnen haben am Mittwoch gezeigt, dass sie wissen, wer ihnen den Weg in die Organisation geebnet hat. Immer wieder wurde in den Wortmeldungen der Zusammenhalt und der kulturelle Fortschritt beschworen, die Bach im IOC gefördert habe.
Rechenspiele mit Coventry und Samaranch
Das Wahlprozedere ist simpel. Gewonnen hat, wer über 50 Prozent der Stimmen erhält. Wenn das im ersten Wahlgang niemand erreicht, scheidet der Kandidat mit den wenigsten Stimmen aus und das Ganze beginnt von vorn.
Sollte die Anzahl der Mitglieder, die ein Weiter-so befürworten, nicht ausreichen, um Coventry früh die notwendige absolute Mehrheit zu bescheren, könnte es für sie doch noch eng werden. Samaranch hätte in einem dezimierten Feld wahrscheinlich größere Chancen, Stimmen jener ausgeschiedenen Kandidaten einzusammeln, die seinem Profil ähneln. Je mehr Wahlgänge, desto wahrscheinlicher scheint derzeit ein Sieg des Spaniers - und eine Niederlage von Coventry. Bach selbst hat innerhalb des IOC während seiner Amtszeit kaum welche erlitten, zu sehr hat er die Organisation in zwölf Jahren zu seiner Gefolgschaft gemacht.
Bevor sich das am Donnerstagnachmittag entscheidet, wurde Bach gegen Ende des Tages am Rednerpult noch einmal sentimental - er freue sich auf ruhige Stunden und wohlverdienten Schlaf. Doch wer immer ihn beerben würde, könne ihn immer erreichen und um Rat bitten. Ob er da jemanden im Hinterkopf hatte?