Michael Jung jubelt mit seiner Goldmedaille
Reportage

Reiten bei Olympia 2024 Gold-Reiter Michael Jung - der Vielseitigste der Welt

Stand: 29.07.2024 19:10 Uhr

Vier Mal Gold, einmal Silber - Michael Jung ist nach dem Einzel-Olympiasieg von Paris nun der erfolgreichste Olympia-Vielseitigkeitsreiter überhaupt. Sein erster Dank gebührt nach dem Finale von Versailles seinem Retter: Pferd Chipmunk.

Von Johannes Kirchmeier, Versailles

Chipmunk trabte lässig, in aller Ruhe, übers Viereck, so als hätte er den Stadionsprecher gar nicht gehört. Der musste ja eben auch extra noch über die Lautsprecherboxen am Schloss von Versailles erwähnen, dass Chipmunks Reiter Michael Jung "Geschichte schreiben" könnte.

Mehr Druck konnte man dem 16-jährigen Hannoveraner in diesem Moment ja gar nicht aufsatteln unmittelbar vor der entscheidenden Runde im Springreiten. Chipmunk und Jung, sie waren das letzte Paar an diesem Montagnachmittag bei der Einzel-Entscheidung im Vielseitigkeitsreiten.

Die beiden führten das Olympia-Feld an nach Dressur, Gelände und Springreit-Durchgang Nummer eins. Sie mussten sich also nur noch dieses eine Mal konzentrieren - und vor allem: fehlerfrei und in der Zeit durchkommen. Nur dann gab's Gold. Als Chipmunk, auf Deutsch das Streifenhörnchen, beschleunigte, wurde es mucksmäuschenstill in den Gärten von Versailles. Und nur der Vollständigkeit halber: Niemand ließ eine Stecknadel fallen.

Jung und Chipmunk schreiben in Versailles Geschichte

Dann legte Chipmunk souverän los, selbst von der dreifachen Kombination bald nach den ersten Sprüngen ließ er sich nicht beirren. Er schnaubte und schnaufte nach den drei anstrengenden Tagen, das ja, aber er schnaubte und schnaufte viel weniger als seine Gegner, er wusste vermutlich, dass er diese neun Hindernisse in petto hat. Chipmunk ist schließlich eines der vielseitigsten Pferde dieser Welt. Und auf ihm thronte einer der vielseitigsten Reiter der Welt.

In 57,58 Sekunden haben die beiden den Parcours inmitten des wunderschönen Nadelwaldes von Versailles letztlich absolviert, Jung fiel ihm augenblicklich um den Hals und knuddelte ihn noch im Galopp. "Gold für Michael Jung und Chipmunk", schrie der Sportschau-Kommentator Carsten Sostmeier enthusiastisch ins Mikrofon, seine Stimme brach. Michael Jung hat, wie es der Stadionsprecher ahnte, "Geschichte geschrieben".

Drei Mal Einzelgold - keiner siegte öfter

Er ist nun der erfolgreichste Vielseitigkeits-Reiter bei Olympia überhaupt. Wie der Niederländer Charles Pahud de Mortanges hat Jung nun vier Goldmedaillen und eine Silbermedaille gesammelt - Rekord. Voraus ist er dem Niederländer, der sein Edelmetall von 1924 bis 1932 sammelte, aber beim Einzelgold: Drei Mal siegte Jung, nach 2012 und 2016. Das hat kein Reiter bislang erreicht. "Es klingt gut, der Beste der Geschichte zu sein, das macht mich sehr stolz", sagte er. So richtig realisieren könne er das aber noch nicht.

"Sie nannten ihn früher schon den Terminator", sagte der Bundestrainer Peter Thomsen. "Ich kann es nur bestätigen. Er ist absolute Weltklasse. Und natürlich ist man nur erfolgreich mit einem Top-Pferd. Und das hat Chipmunk heute geliefert." Thomsen selbst hatte einst als Reiter 2008 und 2012 Mannschaftsgold bei Olympia gewonnen.

Jung dankt seinem "Retter" Chipmunk

Beim 2012er-Titel in London war der 41-Jährige Jung mit dabei. "Ich habe wackelige Knie und bin meinem Pferd so dankbar", sagte Jung nun am Montag der Sportschau - und dankte Chipmunk, mit dem er zum ersten Mal triumphierte (zuvor mit SAM FBW). "Ich habe wieder nicht alles richtig erwischt und er hat mich noch einmal gerettet in der letzten Linie. Beim letzten Sprung war ich auch wieder ein bisschen dicht."

Chipmunk aber kümmerte das kaum, er löste seine Aufgabe souverän. "Es hat spitze geklappt, auch wie Chippi sich konzentriert", sagte Jung. "Ich bin ein bisschen geflasht, ich bin überglücklich." Bundestrainer Peter Thomsen fügte hinzu: "Chipmunk ist sehr gesund, sehr robust, war hervorragend trainiert und super-fit."

Bundestrainer Thomsen zieht den Hut vor Jungs Leistung

Nach dem Ritt aus dem Viereck heraus brach Jung dann alle olympischen Protokolle. Nachdem er Chipmunk übergeben hatte, lief er zu seiner Familie, umarmte sie - und wirkte einfach nur stolz und glücklich.

Unweit davon stand später Thomsen vor den Reportern und hielt seine ganz eigene Lobrede für seinen früheren Mannschaftskollegen, den nun auch offiziell bestätigten vielseitigsten Reiter der Welt. "Er ist sehr komplett, er kann alles", sagte Thomsen. "Er kann hervorragend Dressurreiten, er ist Weltklasse im Gelände, hat sehr viel Erfahrung, ist ein Pferdemensch durch und durch. Er ist geduldig und hat Verständnis fürs Pferd. Hut ab."

Der deutsche Vielseitigkeitsreiter Michael Jung mit seinem Pferd Chipmunk - eine Einheit

Jungs Kollegin Krajewski bildete Chipmunk aus

Dabei ritt vor ein paar Jahren noch eine andere deutsche Olympia-Starterin Chipmunk. Julia Krajewski bildete den Hannoveraner aus. 2019 wurde das Pferd vom damaligen Besitzer verkauft - und dann durfte es Jung übernehmen. 2022 errang er schon die Mannschafts-WM mit Chipmunk, nun also der erste große Einzeltitel.

Krajewski, die Olympiasiegerin 2021 von Tokio, schaffte es am Montag übrigens ebenfalls ins Einzelfinale und wurde am Ende Elfte. In der Mannschaftswertung belegte nur Deutschland Rang 14, da Christoph Wahler im Gelände stürzte. Ohne diesen Sturz wären das Team auch hier Goldkandidat gewesen.

Auch Jungs Vorbereitung steht für seine Vielseitigkeit

Ein Geheimnis für den Erfolg sah Jung letztlich auch in seiner Herangehensweise in den vergangenen drei Tagen - und ja, ein wenig steht auch das für seine Vielseitigkeit. "Ich habe immer versucht, mir und dem Pferd zu sagen, dass es eine normale Veranstaltung ist - auch um das Pferd nicht zu verunsichern. Das ist nicht immer leicht bei Olympia", sagte er - wohlwissend, dass nun mehr auf den Rängen los war, es auch schon beim Warmmachen lauter wurde, wie er registrierte und als Reiter genoss.

Vielleicht also hörte Chipmunk in diesem Moment, kurz vor derm Start, ja doch gar nicht auf den Stadionsprecher, der von der Geschichtsschreibung unkte, sondern auf seinen Weltklasse-Reiter. Wir werden es vermutlich nicht mehr erfahren. Was wir aber nach diesem Montagabend wissen: Gemeinsam haben die beiden Reitsport-Geschichte geschrieben.

Dieses Thema im Programm: Das Erste | Sportschau Olympia 2024 | 26.07.2024 | 18:00 Uhr