Deutschlands Nelvie Tiafack (rot) reagiert nach dem Kampf gegen Bakhodir Jalolov
Reportage

Olympische Spiele in Paris Bronze-Boxer Tiafack - Roland Garros war nur der Anfang

Stand: 08.08.2024 13:22 Uhr

Die Erfolgsstory von Boxer Nelvie Tiafack bei den Olympischen Spielen in Paris hat in der spektakulären Kulisse von Roland Garros ein Ende gefunden. Nun will der Kölner Bronze als Profi versilbern. Und Mutter Josephine platzt ohnehin vor Stolz.

Von Bettina Lenner, Paris

"Der Sieg gehört den Hartnäckigsten" prangt in großen Lettern über dem Court Philippe-Chatrier. Der nimmermüde Rafael Nadal hat sich diese Worte anscheinend besonders zu Herzen genommen, ganze 14 Mal triumphierte der spanische Rekordsieger im Finale der French Open auf dem größten Tennisplatz von Roland Garros - ein Kämpfer durch und durch.

Nun aber ist dort, wo sein serbischer Dauerkonkurrent Novak Djokovic noch vor wenigen Tagen nach seinem ersehnten Olympiasieg Tränen des Glücks vergoss, der Court abgedeckt, und aus seiner Mitte steigt ein leuchtend blauer Boxring. Irgendwo darunter muss sie sein, die berühmte rote Asche eines der wichtigsten Tennisturniere dieses Planeten.

"Quiet please" war gestern

Bei den Olympischen Spielen in der französischen Metropole ist der Tenniszirkus längst weitergezogen, stattdessen haben die Boxer Einzug gehalten und dem traditionsreichen Ambiente ein Facelift verpasst. Kein "Quiet please" nach einem epischen Ballwechsel, sondern lautstarke Anfeuerungen während der Fights unter geschlossenem Dach und vor ausverkauften Rängen - was für eine Kulisse.

Das Roland-Garros Stadion von innen

Für Nelvie Tiafack ist es an diesem Abend eine Premiere, seine bisherigen Kämpfe fanden in der Arena Paris Nord statt. Immerhin 6000 Zuschauern, immer ausverkauft, das ist beileibe nicht schlecht, doch nun sind 15000 gekommen.

Cool, cooler, Tiafack

Beeindruckt wirkt der Kölner nicht. Fast schon lässig schlendert er zum Ring und lächelt leicht in die Menge, was für eine coole Socke in dieser aufgeheizten Atmosphäre! Es ist ja nicht so, dass es um nichts ginge, ganz im Gegenteil, es ist das Halbfinale in der Klasse über 92 kg, der größte Kampf im jungen Leben des 25-Jährigen.

Geil. Ich liebe so etwas. Ich glaube, ich bin genau dafür gemacht. Ich bin reingegangen mit Freude.
Nelvie Tiafack über die Kulisse in Roland Garros

An der Seine ist er schon verflixt weit gekommen, Bronze hat er sicher - die erste deutsche Olympia-Medaille überhaupt im Superschwergewicht und das erste Edelmetall seit 2016, als Artem Harutyunyan im Halbweltergewicht in Rio de Janeiro Bronze gewann.

"Nelvie! Nelvie!" rufen die deutschen Fans und Mutter Josephine schwenkt wie wild die Deutschland-Fahne, doch das ganz große Spektakel bleibt aus. Zu stark ist Tokio-Olympiasieger Bachodir Jalolow. Auch, weil der Usbeke zwölf Zentimeter größer ist und überdies erfahren.

"Habe keinen Respekt gezeigt"

"Ich habe drei Runde versucht, ihn zu stellen. Das hat zu selten geklappt. Aber ich habe bis zum Ende 100 Prozent gegeben, bin nach vorne marschiert und habe keinen Respekt gezeigt. Mehr kann ich von mir nicht verlangen", analysiert Tiafack und ist trotz der klaren Niederlage ganz mit sich im Reinen. Wie auch seine Freunde und seine Familie, die ihn draußen vor der Mixed Zone feiern, während ihr Held Interviews gibt.

"Nelvie, du bist ein Champion! Du hast Bronze gewonnen", ruft seine Mutter Josephine, zweimal, dreimal und platzt fast vor Stolz: "Nelvie hat alles gegeben. Der Gegner war sehr stark, irgendwann wird er wieder auf ihn treffen und dann gewinnen."

Boxer Nelvie Tiafack - "Bin einfach überwältigt"

Sportschau Olympia 2024

Mit acht Jahren aus Kamerun nach Deutschland

Pure Mutterliebe, natürlich, aber zwischen diesen Sohn und diese Mutter passt erst recht kein Blatt Papier. Mit ihrem Filius war Josephine aus Kamerun eingewandert, da war er gerade acht Jahre alt, der Vater früh gestorben. "Da hatte ich gar keine andere Möglichkeit, als stark zu sein", berichtet Tiafack.

Mit 15 Jahren begann er mit dem Boxen, um Gewicht zu verlieren, es folgte ein rasanter Aufstieg: Bronze bei der Jugend-WM, erster nationaler Titel bei den Erwachsenen schließlich sein bislang größter Erfolg - Gold bei den Europameisterschaften 2022.

"Ich bin so unglaublich dankbar für das, was meine Mama gemacht hat. Als Frau alleine und ohne Sprachkenntnisse in ein komplett neues Land, das hat sie alles gestemmt", sagt er in der Sportschau bewundernd. Sie ist sein Vorbild und er will was aus den Chancen machen, die sie ihm mit ihrem mutigen Schritt eröffnet hat "in einem Land voller Möglichkeiten wie in Deutschland".

Wenn sie das geschafft hat, wer bin dann ich, wenn ich nichts daraus mache, in diesem Land voller Möglichkeiten.
Nelvie Tiafack

Wechsel ins Profilager

Die Sehnsüchte der Mutter nach einer besseren Zukunft haben sich erfüllt, denn auch wenn Top-Favorit Jalolow noch eine Nummer zu groß war, so hat der Kölner mit überzeugenden Auftritten und Bronze jede Menge Eigenwerbung betrieben.

Die Promoter werden genau hingeschaut haben, der Fight im Hexenkessel Philippe-Chatrier war Tiafacks letzter als Amateur, nun steht ein langer Urlaub an und danach der Wechsel ins Profilager.

"Das Kapitel ist abgeschlossen. Ich fokussiere mich jetzt auf die Profikarriere." Die werde "zu 100 Prozent" im Ausland sein, bestätigt er, "der deutsche Profi-Boxsport steht aktuell leider nicht so gut da. Da ist einfach nichts, da ist kein Geld, keine guten Kämpfe, keine guten Veranstaltungen".

Er träumt von England und den USA, es gebe schon einige Gespräche. Natürlich geht er nicht ohne seine Mama, "die möchte ich immer bei mir haben", vielleicht pendelt er auch, er hängt an seiner Heimat.

Tiafack kämpft zum letzten Mal als Amateur - "100 Prozent"

Sportschau Olympia 2024, 07.08.2024 22:58 Uhr

Den Hype, den er mit seiner Pariser Erfolgsstory in Deutschland ausgelöst hat, hat er sehr wohl mitbekommen und freut sich darüber: "Ich finde, ich habe mein Land Deutschland sehr gut repräsentiert. Ich bin auch sehr stolz auf Deutschland, weil es mir diese Möglichkeit gegeben hat. Den Respekt, den Stolz und die Dankbarkeit zahle ich gerne zurück."

"Mein Sohn ist ein Champion!"

Nun will er den Erfolg als Profi versilbern - und noch viel häufiger eine Atmosphäre wie in Roland Garros erleben. "Es war unglaublich, in dem Tennis-Tempel zu boxen. Grandios. Ich liebe so etwas. Ich glaube, ich bin genau dafür gemacht", sagt der 25-Jährige, während draußen seine Freunde singen.

Die Mutter ruft: "Das da drin ist mein Sohn, er ist ein Champion!" Und Tiafack lächelt über ihre Aufregung: "An so etwas können die sich schon einmal gewöhnen. Ich hoffe, das war ein Vorgeschmack auf das, was mich in Zukunft erwartet und dass ich genau vor so einem Publikum und in so einem großen Stadion dann auch als Profi boxen kann."

Für Mama Josephine besteht ohnehin kein Zweifel, dass sich seine Hartnäckigkeit auszahlen und der Weg weiter nach oben führen wird: "Ich bin sehr stolz auf ihn. Er ist ein Kämpfer."

Dieses Thema im Programm: Das Erste | Sportschau Olympia 2024 | 26.07.2024 | 18:00 Uhr