Karl Lauterbach, Philipp Lahm, Nancy Faeser, Kerstin Holze und Ekin Deligöz (v.l.n.r.) beim Bewegungsgipfel 2022

Landessportbünde bleiben fern Die Symbolkraft des Bewegungsgipfels ist ruiniert

Stand: 11.03.2024 20:00 Uhr

Der Bewegungsgipfel der Bundesregierung, Ende 2022 erstmals veranstaltet, sollte ein Signal sein: Bund, Länder, Kommunen, Sportverbände und Wissenschaft versammeln sich geschlossen hinter dem Ziel, die Rahmenbedingungen für Bewegung und Sport in Deutschland zu verbessern. Doch schon bei der zweiten Ausgabe am Dienstag (12.03.2024) ist die Geschlossenheit dahin: Alle 16 Landessportbünde bleiben dem Bewegungsgipfel aus Protest gegen den von der Politik vorgelegten Entwurf des Entwicklungsplans Sport fern.

"Wir werden dort nicht hingehen", sagte Jörg Ammon, Sprecher der Landesverbände und Präsident des Bayerischen Landes-Sportverbandes, der Sportschau. Die Entscheidung sei auf einer Konferenz dazu einstimmig gefallen, "das ist bei 16 Landessportbünden nicht so einfach. Aber wir sind zu der Auffassung gelangt, dass es überhaupt keinen Sinn hat, einen Bewegungsgipfel abzuhalten mit nichts in der Hand".

Jörg Ammon: "Wir werden dort nicht hingehen"

Sportschau

BMI-Entwurf des Entwicklungsplans abgelehnt

In der Hand liegen sollte eigentlich der Entwicklungsplan Sport, ein gemeinsames Strategiepapier, das Resultat des Expertenaustauschs in mehreren Arbeitsgruppen. Der Plan war, dass alle Beteiligten den Entwicklungsplan beim Bewegungsgipfel absegnen. Doch der Referenten-Entwurf, den das Bundesministerium des Innern und für Heimat (BMI) im Februar vorgelegt hatte, stieß auf heftige Ablehnung. Kritik kam unter anderem vom Deutschen Olympischen Sportbund (DOSB), von den Landessportbünden und vom Deutschen Städtetag.

Ein oft bemängelter Punkt: Der Entwurf sei eine Auflistung von Ideen, ohne festzulegen, wie und durch wen diese umgesetzt werden sollen - und ohne finanzielle Zusagen seitens des Bundes. Ammon drückt es so aus: "Wenn wir mit so vielen Menschen, so viel Idealismus und auch so viel Wissen losstarten, ein gutes Jahr daran arbeiten, dass wir den Sport vorwärts bringen, und dann hinterher keinerlei Verbindlichkeit haben, keinerlei Mittel eingestellt bekommen ins Jahr 2024, dann ist es wie mit einem ICE bei voller Geschwindigkeit gegen einen Bremsbock zu fahren. Das hat bei den Beteiligten zu großer Ernüchterung geführt."

Faeser, Lauterbach und Özdemir bei Bewegungsgipfel

Obwohl nun ohne Entwicklungsplan ein zentraler Anlass fehlt und trotz des Fernbleibens der Landessportbünde hält die Bundesregierung am Bewegungsgipfel fest. Auf Sportschau-Anfrage schrieb das BMI, ihm lägen keine Absagen vor. So werden Innenministerin Nancy Faeser (SPD), Gesundheitsminister Karl Lauterbach (SPD) und Landwirtschaftsminister Cem Özdemir (Die Grünen) im Berliner Olympiapark öffentlichkeitswirksam davon sprechen, wie wichtig Sport für Gesellschaft und Gesundheit ist - im Fall von Lauterbach vielleicht wieder in Trainingsjacke wie bei der Erstausgabe.

Ebenfalls anwesend sein wird DOSB-Präsident Thomas Weikert - und das ist bemerkenswert. Denn der DOSB hat nicht nur den Entwicklungsplan abgelehnt, sondern auch einen weiteren Entwurf aus dem BMI: den zum Sportfördergesetz, das die finanzielle Unterstützung im Spitzensport neu regeln soll. Den Entwurf dazu bezeichnete Weikert in einer DOSB-Mitteilung als "herbe Enttäuschung" und "nicht akzeptabel".

Dahinter steckt auch, dass der DOSB um seinen Einfluss bei der Verteilung der Spitzensport-Fördergelder fürchtet - während das BMI, wie vom Bundesrechnungshof verlangt, mehr Kontrolle über die Verwendung der Steuergelder reklamiert.

DOSB-Vorstand Röhrbein beschwört Dialog

Mit Blick auf den Bewegungsgipfel klingen die Töne aus dem DOSB versöhnlicher. Die erste Ausgabe 2022 habe "wirklich ein großes Bild gemalt von einem Paradigmenwechsel, davon, dass wir Sport und Bewegung als Querschnitt verankern auf der Bundesressortebene und durch alle Ebenen hinweg: Bund, Länder, Kommunen", sagte Michaela Röhrbein, Vorstand Sportentwicklung im DOSB, der Sportschau. "Dafür müssen wir einstehen, nach wie vor. Da dürfen wir den Dialog nicht abreißen lassen."

Gleichzeitig habe sie "größtes Verständnis dafür, dass viele, die den Prozess begleitet haben, sehr enttäuscht sind" und nicht zum Bewegungsgipfel gingen.

Thieme hat Verständnis für Kritik

Auch Lutz Thieme, Sportwissenschaftler an der Hochschule Koblenz, kann die Kritik am Entwicklungsplan nachvollziehen. Er verweist im Sportschau-Interview auf die Zuständigkeiten: Der Bund fördert zwar den Spitzensport finanziell, nicht aber die Arbeit an der Basis. Dort sind die Kommunen und die Länder verantwortlich.

"Das heißt also: Ein Entwicklungsplan Sport, der in die Richtung geht, dass wir eine bewegungsfreundlichere Gesellschaft werden, würde ganz viele Bausteine enthalten, für die dann die Kommunen, der Bund und die Länder in unterschiedlicher Weise zuarbeiten müssten", sagt Thieme. "Dann ist es eine Philosophiefrage, wieso der Bund keine eigenen Finanzierungsperspektiven eröffnet, den Ländern und den Kommunen und auch dem organisierten Sport aber Dinge ins Stammbuch schreibt."

BMI will Entwicklungsplan Sport weiter vorantreiben

Was alle Beteiligten eint, ist der ungebrochene Wunsch, ein gemeinsames System zu entwickeln, in dem die unterschiedlichen Verantwortungsträger miteinander kommunizieren und im besten Fall koordiniert arbeiten.

Die Bundespolitik hat den Entwicklungsplan Sport zwar zurückgezogen, aber noch nicht beerdigt. "Wir wollen nichts Geringeres, als eine umfassende Verständigung zur Machbarkeit, Umsetzbarkeit und Finanzierung der Maßnahmen und letztlich einen politischen Konsens über alle Ebenen und Sektoren erreichen", schreibt das BMI auf Sportschau-Anfrage.

Doch zunächst geht die Diskussion im kleineren Kreis weiter. Das BMI "strebt an, zunächst mit den Beteiligten im Bund die Abstimmung zu suchen, bevor wir dann wieder auf unsere Partnerinnen und Partner in den Ländern, auf der kommunalen Ebene und im organisierten Sport zugehen". Allerdings erscheint ein großer Wurf mit klaren finanziellen Zusagen unwahrscheinlich angesichts des Sparzwangs in der Bundesregierung und der vielen anderen großen Politik-Baustellen jenseits des Sports.