Jahresrückblick 2022 Lea Meyer und der Lauf des Lebens
Lea Meyer ist gestürzt - auf der Laufbahn und im Leben. Aber die Hindernisläuferin ist immer wieder aufgestanden und hat mit EM-Silber für einen der bewegendsten Sportmomente des Jahres gesorgt. Der Sportschau-Jahresrückblick.
An der Startlinie im Münchner Olympiastadion schoss Lea Meyer nur ein Gedanke durch den Kopf: "Henning, das Rennen ist für dich. Du hast die Basis dafür gelegt, dass ich überhaupt hier stehe."
Mit dem Gedenken an ihren im Frühjahr 2022 überraschend verstorbenen Trainer Henning von Papen im Kopf und einer Topform im Rücken ging die 25-Jährige das 3.000-Meter-Hindernisfinale an und überraschte alle.
"Ab 2.000 Meter habe ich gedacht: 'Lea, das ist dein Rennen'", sagte sie hinterher in einem emotionalen ARD-Interview. "Die Massen haben mich getragen. Gefühlt hatte ich die ganze Zeit ein Lächeln auf den Lippen."
Spektakulärer Sturz bei der WM in den Wassergraben
EM-Silber in 9:15,35 Minuten – zehn Sekunden schneller als ihre bisherige Bestzeit. Meyers Auftritt im Olympiastadion war atemberaubend und zauberte nicht nur der Leichtathletin aus Löningen in Niedersachsen ein Lächeln auf die Lippen.
Fünf Wochen zuvor stand allen Beobachtern eher der Schrecken ins Gesicht geschrieben, als die deutsche Meisterin bei der WM in Eugene (USA) im Vorlauf am Wassergraben ins Straucheln geriet und kopfüber hineinstürzte.
Doch Meyer hatte anscheinend einen Schutzengel im Gepäck, blieb unverletzt, rappelte sich auf, lief weiter und nahm den Wassergraben noch einmal - auch wenn das Rennen und die WM praktisch gelaufen waren. "Das habe ich gemacht, damit kein Trauma daraus entsteht. Hätte ich es nicht getan, dann wäre es wohl schwierig geworden."
Corona-Infektion vor der Heim-EM in München
Hat sie aber, und das sagt viel über die Hindernisläuferin des ASV Köln aus, die ab dem neuen Jahr für Bayer Leverkusen an den Start geht. "Wenn ich dreimal gefallen bin, stehe ich das vierte Mal wieder auf und komme stärker zurück. Das ist, glaube ich, meine Stärke."
Auch eine Corona-Infektion vor der EM in München hatte Meyer nicht stoppen können, die ihrem Jahr selbst die Überschrift "Emotionale Achterbahnfahrt" geben würde.
Höhen und vor allem Tiefen hat die Lehramtsstudentin in ihrer bisherigen Karriere schon einige erlebt - und gemeistert. 2019 stand allerdings alles in Frage. Laufen bereitete der Norddeutschen damals keine Freude mehr, das Training nahm sie nur noch als Belastung wahr und verabschiedete sich innerlich schon vom Leistungssport.
Henning von Papen "unglaublich viel zu verdanken"
"Der Sport muss mir mehr geben, als er mir nimmt", lautet das Credo der Hindernisläuferin. Eine Gleichung, die zu dieser Zeit für sie nicht mehr aufging. Ins Gleichgewicht zurück brachte sie Henning von Papen in seiner Kölner Trainingsgruppe. "Er hat mich immer als kompletten Menschen gesehen und nicht nur als Sportlerin. Ich habe ihm unglaublich viel zu verdanken."
Ebenso wie Tobias Kofferschläger. Der Leverkusener Cheftrainer hatte die Betreuung Meyers nach dem Tod von Henning von Papen übernommen. "Tobi hat mich super aufgenommen, zusammen mit Familie und Freunden mental sehr aufgebaut. Das war viel schwieriger als das Körperliche. Beiden verdanke ich es, dass ich das Ding heute so auf die Bahn gelegt habe", sagte Meyer mit Tränen in den Augen nach ihrem fulminanten EM-Silberlauf von München.
Lea Meyer blickt nach vorn: Richtung WM und Olympia
Es schien wie das passende Happyend für Meyers "emotionale Achterbahnfahrt 2022". Aber die Saison war noch nicht vorbei und in gewisser, schmerzhafter Weise blieb sich die 25-Jährige treu: Beim letzten Meeting in Brüssel stürzte die Vize-Europameisterin erneut und zog sich einen Bänderriss sowie eine Fraktur im Knöchelgelenk zu.
Fast müßig zu erwähnen, dass Meyer auch nach diesem Rückschlag wieder aufgestanden ist und stärker zurückkommen will als zuvor. Aktuell feilt die Norddeutsche im Höhentrainingslager in Südafrika an ihrer Form fürs neue Jahr, während sie gleichzeitig versucht, das turbulente Jahr 2022 zu verarbeiten.
Ihr Blick geht trotzdem nach vorne. "Wir haben nächstes Jahr eine WM. Und Olympia ist auch nicht mehr weit. Ich fühle mich nicht so, als wenn das das Ende dessen war, was ich kann."