Fußball-Nationalspielerin Alexandra Popp

Jahresrückblick 2022 Alexandra Popp - raus aus dem Schatten der Männer

Stand: 31.12.2022 10:25 Uhr

Hoffnungen, Rückschläge und Erfolge: Fußballerin Alexandra Popp vom VfL Wolfsburg blickt auf ein bewegtes Jahr zurück. Die bittere Niederlage im EM-Finale mit der Frauen-Nationalmannschaft fühlt sich am Ende fast wie ein Sieg an. Der Sportschau-Jahresrückblick.

Von Florian Neuhauss

Wie sich die Zeiten innerhalb nur eines Jahres geändert haben. Alexandra Popps Terminkalender zeigt das überdeutlich. Hier eine Einladung zu einer Talkshow oder einer Preisverleihung, dort ein großer Auftritt in einer TV-Show. Und das mitten im laufenden Spielbetrieb mit den VfL-Frauen in der Bundesliga und der Champions League.

Weil sich zum Jahresende die Interview-Anfragen so sehr häuften, sah sich Pressesprecher Dirk Zilles genötigt, alles weitere abzublocken. Jahrelang kickten die Frauen in Deutschland fast unter Ausschluss der Öffentlichkeit. Nun muss Popp sogar abgeschirmt werden, um sich auf das konzentrieren zu können, was sie am besten kann: Fußball spielen.

2022 hätte auch anders verlaufen können

Dass das alles andere als selbstverständlich ist, hat die 31-Jährige spätestens in diesem Jahr gelernt. "Ich habe den Fußball in der Verletzungszeit unglaublich schätzen gelernt und gemerkt, was er mir bedeutet. Das war mir so vorher gar nicht bewusst - wie schön es ist, Fußball zu spielen", erklärte Popp, die nebenbei zum Gesicht und zur Stimme der deutschen Fußballerinnen geworden ist. In einem Jahr, das auch ganz anders hätte verlaufen können.

Rückblick: Im April 2021 zieht sich Popp einen Knorpelabriss im Knie zu. Es ist die bisher schwerste Verletzung in ihrer Laufbahn. Die 1,74-Meter-Frau hadert, denkt über das Karriere-Ende nach - doch Freunde und Familie stärken ihr den Rücken. Ohnehin gibt sie nie auf. Es liegt einfach nicht in ihrer Natur.

Corona-Pandemie kommt Popp zugute

"Grundsätzlich wäre es nicht ich, wenn ich mit dieser Diagnose sagen würde: Dann war's das jetzt", sagte sie und fügte hinzu: "Ich nehme den Kampf erst mal an. Wenn ich ihn am Ende verliere, dann ist das so. Dann kann ich es nicht mehr ändern. Aber dann habe ich es wenigstens versucht."

Ihr großes Ziel: die Europameisterschaft in England. Es spielt Popp in die Karten, dass das Turnier coronabedingt von 2020 aufs folgende Jahr verlegt werden musste.

Aber auch so wird es eng. Zehn Monate dauert die Reha. Es gibt einige Rückschläge, viele Extra-Schichten sind nötig - und sogar eine weitere Operation. Das Comeback muss mehrfach verschoben werden. Die erstmalige Teilnahme an einer EM, die sie sich so sehr wünscht, hängt am seidenen Faden. Schon 2013 und 2017 hatte sie verletzt passen müssen.

Popps Anker ist Bundestrainerin Martina Voss-Tecklenburg, die fest mit ihr plant. Erst zwei Wochen vor Turnierbeginn geben die Ärzte grünes Licht. Auch, dass sich Popp Mitte Juni noch mit Corona infiziert, ändert an Voss-Tecklenburgs Grundvertrauen nichts.

Popp: "Die ganze Scheiße hat sich echt gelohnt"

Aber: Popp ist in England zunächst nur Einwechselspielerin. Der Stammplatz gehört Lea Schüller, die fit und gerade Torschützenkönigin in der Bundesliga geworden ist. Die Bayern-Spielerin trifft zum Auftakt beim 4:0 gegen Dänemark. Popp allerdings auch. Sie sticht in ihrem ersten EM-Einsatz als Joker.

Nach dem Tor sinkt sie auf die Knie und dann nach vorn auf den Rasen, bevor ihre Mitspielerinnen sie jubelnd unter sich begraben: "Ich lag auf dem Boden und konnte es nicht glauben: Die ganze Scheiße hat sich echt gelohnt."

Wer weiß, wie sich die Dinge entwickelt hätten, wäre Schüller fit geblieben. Doch ein positiver Corona-Test der Bayern-Angreiferin bringt Popp beim zweiten Vorrundenspiel gegen Spanien in die Startformation. Und weil die Wolfsburgerin fortan in jedem weiteren Spiel trifft, hat "MVT" keinen Grund mehr, an der Rangfolge der Stürmerinnen etwas zu ändern.

Im Rampenlicht - DFB-Frauen begeistern bei EM

Sportschau

"Alexander Bopp" macht Popp weltberühmt

Zumal Popp nicht nur auf dem Platz ihre Bedeutung unterstreicht, sondern auch daneben. Als Anführerin und starke Schulter, aber auch als Mensch mit feinem Gespür dafür, wann mal ein bisschen Lockerheit nötig ist. Bei einer Pressekonferenz vor dem Finale gegen England liefert sie den besten Beweis, er sorgt für weltweite Beachtung.

Sechs Tore in fünf Spielen - darunter ein Doppelpack im Halbfinale gegen Frankreich - hat Popp bis dato erzielt. In Deutschland blüht längst der Flachs, die Angreiferin könne doch auch die Lücke im Sturmzentrum der Männer-Nationalmannschaft schließen.

Das Satiremagazin "Fums" veröffentlicht im Internet die Meldung "Wird von Hansi Flick für Katar nominiert: Alexander Bopp" - garniert mit einem Foto von Popp mit Schirmmütze und Schnauzer.

Popp nimmt die Vorlage dankend auf. Erscheint mit Käppi auf dem Kopf zur Pressekonferenz, nimmt dort - unter dem Gejohle ihrer Mitspielerinnen, die sich hinten in den Konferenzraum geschlichen haben - den Mund-Nasen-Schutz ab und präsentiert einen aufgeklebten Schnurrbart.

Verletzung kurz vor dem EM-Finale

Dass es das Team ins EM-Endspiel geschafft hat, mache aus ihrem eigenen Weg "eine wahnsinnige Geschichte", unterstreicht die Stürmerin. Es ist angerichtet für den ganz großen Moment. Doch wieder kommt es anders - und Popps Achterbahn der Gefühle setzt sich fort.

Wegen einer Oberschenkelverletzung muss die Stürmerin kurzfristig passen. Ein Tiefschlag. Ohne seine Kapitänin schafft es Deutschland gegen die Gastgeberinnen dank des 1:1-Ausgleichs von Lina Magull zwar noch in die Verlängerung, am Ende bleibt aber nur der Vize-Titel. "Es hätte nicht zu mir gepasst, das wäre zu viel Happy End gewesen, wenn wir den Pokal geholt hätten. Das wäre zu viel des Guten gewesen", tröstet sich Popp später.

Doch die EM der Frauen, das sportliche Niveau, die Leistungen und die Moral der DFB-Frauen haben Deutschland begeistert, die Nationalspielerinnen viel für ihren Sport erreicht. "Der Frauenfußball muss den nächsten Schritt machen", hatte Popp schon ein Jahr zuvor gefordert. Nun bilanziert sie: "Was wir gewonnen haben, sind viele Herzen."