Jahresrückblick 2022 Das lange Warten der Daniela Maier

Stand: 31.12.2022 10:25 Uhr

Bei den Olympischen Winterspielen in Peking gewinnt Skicrosserin Daniela Maier Bronze nach der Disqualifikation ihrer Konkurrentin. Doch die Entscheidung wird angefochten. Mit dem Ende des Rennens beginnt ein monatelanges Geduldsspiel. Der Sportschau-Jahresrückblick 2022.

Von Frank Meyer

Als Daniela Maier in Zhangjiakou an den Startblock geht, weiß sie nicht, dass in wenigen Sekunden eine monatelange Reise beginnen wird. Eine Reise, die sie durch die Tiefen und Wirrungen und Regularien, der Machtkämpfe zwischen den Sportverbänden spülen würde. Eine Reise, von der sie einmal sagen würde: "Ich will einfach nur damit abschließen."

Daniela Maier überraschend im Olympia-Finale

Bevor Maier diese Reise beginnt, schließt sie noch einmal die Augen - voller Fokus. Für die damals 25-Jährige ist es der Höhepunkt ihrer bisherigen Karriere. Die Olympischen Winterspiele in Peking, Februar 2022.

Maier steht überraschend im Finale der besten vier. Direkt neben ihr Fanny Smith, eine erfahrene Skicrosserin aus der Schweiz. Für sie sind es die vierten Olympischen Spiele.

Als die Bahn freigegeben wird, startet Maier stark. Vor dem letzten Sprung hat sie gute Chancen auf Rang drei. Dann berührt Smith ihren Ski. Maier rutscht weg, rudert mit den Armen und verliert auf den letzten Metern an Tempo, bevor sie als Vierte über die Ziellinie fährt. Hinter Sandra Näslund aus Schweden und Marielle Thompson aus Kanada - und eben Smith.

Im Ziel umarmen sich die Athletinnen. Ein hartes Rennen, aber so ist Skicross eben. Auch ein Grund, warum Maier diesen Sport liebt. "Die Abwechslung, das direkte Gegeneinander, es kann so viel passieren im Skicross. Die Entscheidung fällt erst auf der Ziellinie", sagte Maier Anfang Dezember gegenüber der Sportschau, zu einem Zeitpunkt, an dem sie immer noch auf den Ausgang dieses Rennens wartet.

Sportschau-Wintersport-Podcast, 17.02.2022 17:28 Uhr

Jury disqualifiziert Kontrahentin Smith, Bronze für Maier

Dieses Warten beginnt im Zielbereich in Peking. Dort diskutieren die Rennrichter über diese Szene vor dem Ziel. Smith ist genervt, Maier verwirrt. "Das war in Ordnung", sagt sie erst zu Smith und später, als die Schweizerin disqualifiziert und Maier die Bronzemedaille zugesprochen wird, auch zur Jury.

Doch so funktioniert der große Sport nicht. Die Entscheidung steht - zumindest vorläufig. Maier wirkt geschockt. Immer wieder schüttelt sie den Kopf. Ist verärgert, dass sie es ist, die Bronze gewinnt, und nicht ihre Kontrahentin Smith.

Aber als Maier schließlich einen Tag später die bronzene Medaille bekommt, hat sie doch Tränen der Freude in den Augen. Es ist der größte Erfolg ihrer Karriere. Lachend zeigt sie die bronzene Medaille, die ihr nun niemand mehr nehmen kann. Das dachte man in diesem Moment zumindest.

Einspruch vom Schweizer Skiverband

Smith schreibt fast zeitgleich auf Instagram: "Das ist der schlimmste Tag meiner Karriere." Und so legen Smith und der Schweizer Skiverband doch Einspruch ein. Es ist der zweite Startschuss. Für ein bürokratisches Kopf-an-Kopf-Rennen.

Zunächst scheint Maier im Vorteil. Doch nach einer Woche die Kehrtwende. Die FIS revidiert die Entscheidung und führt fortan Smith als Drittplatzierte. Maier ist nur noch Vierte. Nun ist der DSV es, der "alle juristischen Mittel prüfen" will. So landet der Fall beim Internationalen Sportgerichtshof CAS.

Dort liegt er monatelang. Die Olympischen Spiele sind lange vergangen. Schließlich steht die neue Weltcup-Saison vor der Tür, und weder Smith noch Maier wissen, ob sie nun offiziell Bronze haben oder nicht. "Ich persönlich habe damit abgeschlossen, um mich fokussiert auf die anstehende Saison vorzubereiten", sagt Maier im Dezember.

Von bösem Blut zwischen Maier und Smith ist nichts zu sehen. "Mit Fanny pflege ich einen ganz normalen Kontakt. Wir quatschen zusammen, fahren zusammen Ski und trainieren auch manchmal zusammen", sagt Maier gegenüber der Sportschau.

Smith und Maier auf dem dritten Platz

Dann - endlich - veröffentlicht der CAS die Entscheidung. Es gibt einen Vergleich. Es ist ein salomonisches Urteil in diesem Konflikt, in dem es ohnehin schon lange keine Gewinner mehr geben konnte: Beiden Athletinnen wird der dritte Platz zuerkannt.

So endet fast zehn Monate nach dem Start in Zhangjiakou das Rennen endgültig. Verbittert blickt Maier dennoch nicht auf die Olympischen Spiele zurück. "Ich bin sehr stolz auf das, was ich in Peking an diesem Tag abrufen konnte. Es war eine meiner besten Leistungen. Ich habe in den Heats nie aufgebeben, mich bis ins Finale vorgekämpft und dann alles gegeben - darüber bin ich sehr glücklich."

Die Medaille hat sie trotz der unsicheren Situation nie zurückgeben müssen. "Die liegt bei mir zu Hause wohl behütet und hat ein warmes Plätzchen gefunden", so Maier. Dort kann sie nun auch sicher bleiben.