Johannes Golla und Julian Köster

WM-Viertelfinale fix Suchspiel beendet - Deutschlands Abwehr steht

Stand: 24.01.2025 00:05 Uhr

Viermal "Trial and Error" bei der Handball-WM - doch jetzt scheinen die Suchspielchen vorbei. Die deutschen Handballer nähern sich rechtzeitig zur K.o.-Runde ihrer Medaillenform.

Von Christian Hornung, Herning (Dänemark)

Die deutsche Nationalmannschaft zeigte bei dieser Handball-WM noch kein perfektes Spiel, auch gegen Italien nicht. Aber das souveräne 34:27 zeigt: Das DHB-Team nähert sich rechtzeitig zur K.o.-Runde seiner Medaillenform an - vor allem dank einer hochklassigen Abwehrleistung.

"Trial and Error" - diese Formulierung hatte Nationalmannschafts-Manager Benjamin Chatton bei der Beschreibung der ersten deutschen Auftritte bei der Handball-WM bemüht. Auch wenn nur ein Versuch (30:40 gegen Dänemark) richtig gescheitert war, suchte Bundestrainer Alfred Gislason vor dem "Endspiel" gegen Italien immer weiter nach der richtigen Formation.

Ob wegen Verletzungen und Krankheiten im Vorfeld des Turniers, fehlender Konstanz im Angriff, Abwehr und Tor oder der erhöhten Erwartungshaltung an die noch junge Mannschaft - dem 65-Jährigen gelang es trotz vieler Experimente in seiner Startaufstellung und auch bei vielen seiner Wechsel nicht, eine vollends überzeugende DHB-Auswahl auf die Platte zu bringen.

Nicht perfekt, aber der beste Versuch

60 Minuten später scheint klar: Die Zeit von "Versuch und Irrtum" ist vorbei. Der fünfte Anlauf war zwar auch wieder nicht perfekt, aber eindeutig der vielversprechendste. "Die Abwehr war sehr stark heute", resümierte Gislason zufrieden. Die Defensive, im Vorjahr Garant für Platz vier bei der Heim-EM und Silber bei Olympia - rief unter Druck gemeinsam mit Torhüter Andreas Wolff ihre beste Leistung ab.

Gislason - "Wolff hat überragendes Spiel gemacht"

Sportschau Handball-WM 2025, 23.01.2025 19:27 Uhr

Die Deckung, vor allem der Innenblock, hatte nach einer schwierigen Anfangsphase das richtige Gefühl für die unorthodoxe Offensive des Gegners, bewegte sich gut, stand kompakt, ließ wenig Lücken. Anders noch als gegen Dänemark, als Deutschlad - wie es Marko Grgić formulierte – den gegnerischen Angreifern "den Roten Teppich ausrollte".

Golla und Köster überzeugen

Hinten dicht machte diesmal von Beginn das Duo, das Deutschland zu den jüngsten Erfolgen geführt hatte: Julian Köster und Johannes Golla. Der "Hannover-Block" der zuvor zweimal große Probleme hatte, blieb draußen: Justus Fischer kam erst spät zu ein paar Einsatzminuten, Lukas Stutzke spielte diesmal gar keine Rolle.

Auch Wolff war diesmal wieder voll da, glänzte mit 18 Paraden. Gegen Dänemark hatte er zunächst überraschend draußen gesessen, wurde dann nach seiner Einwechslung von seinen Vorderleuten völlig im Stich gelassen und war dementsprechend stinksauer. Jetzt sagte er auf Sportschau-Nachfrage, ob sich die Abwehr endlich gefunden und ihn ausreichend unterstützt habe: "Das kann man genau so stehenlassen."

Semper mit drei Toren in 112 Sekunden

Vorne kam ein belebendes Element dazu: Franz Semper durfte nach der Erkrankung von Juri Knorr und Rune Dahmke (beide mit Grippe im Hotel) erstmals mitmischen. Der 27-Jährige war zunächst aufgrund leichter muskulärer Probleme der 17. Mann, der viermal in Folge gestrichen wurde - jetzt ließ ihn Gislason von der Leine: Binnen 112 Sekunden knallte er Domenico Ebner drei Würfe in die Maschen, landete am Ende bei starken fünf Toren bei sechs Versuchen.

"So reinzukommen, damit konnte man jetzt nicht unbedingt rechnen", sagte Semper. "Aber die Jungs haben auch gut für mich gearbeitet, damit ich ein paar freie Bälle bekommen konnte."

Franz Semper - "So kann es weitergehen"

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DHB-Auswahl liefert unter Druck

Eine Befreiung war dieser Abend auf jeden Fall. Auch wenn vorne immer noch nicht alles nach Wunsch lief (Luca Witzke: „Das müssen wir jetzt schnell hinbekommen, mal offensiv und defensiv gleichzeitig einen Top-Tag zu haben“) und Gislason sich über 19 Fehlwürfe ärgerte, hat diese Mannschaft eins bewiesen: Wenn es drauf ankommt, ist sie da.

Zwar brauchte sie auch diesmal wieder etwas Anlauf, lag nach zwölf Minuten 4:7 zurück und tat sich schwer gegen das ungewöhnliche Spiel der Italiener mit ihrer offenen Deckung. Doch dann übernahm "Two-Way-Player" Köster die Regie, glänzte nicht nur defensiv mit zwei Blocks, sondern leitete auch im Angriff die Wende ein - am Ende hatte er bei fünf Versuchen fünfmal getroffen.

Kastening bringt sich in Stellung

Auch Lukas Mertens steuerte wichtige Tore bei, ebenso Timo Kastening – und das nicht nur vom Siebenmeterpunkt. Das in den bisherigen Spielen oft sträflich vernachlässigte Spiel über die Außenpositionen war diesmal durchaus ein Erfolgsfaktor, und im Duell auf der rechten Seite mit Lukas Zerbe hat sich Kastening mit seinem Sechs-Tore-Auftritt (drei Siebenmeter) jetzt einen Vorteil verschafft.

Offensive auch ohne Knorr und Uščins

Weitere wichtige Erkenntnisse: Das Fehlen von Weltklasse-Spielmacher Knorr wurde gut kompensiert. Auch die schwächste Turnierleistung von Angriffs-Fixpunkt Renars Uščins (nur zwei Tore bei fünf Versuchen, zwei Ballverluste) fiel am Ende nicht weiter auf. Klar ist allerdings: Für den Angriff auf eine Medaille dürften die beiden unverzichtbar sein, auch wenn Knorr ebenso wie Dahmke zunächst wohl weiter fehlen werden.

Gislason: "Ich gehe fest davon aus, dass keiner von den beiden das Tunesien-Spiel spielen wird. Danach gibt es sicherlich bessere Chancen, dass Rune wieder reinkommt als Juri."

Tunesien-Spiel bietet noch Chancen

Gesundheitliche Risiken einzugehen, wäre vor dem sportlich nicht mehr relevanten letzten Hauptrunden-Match gegen Tunesien am Samstag (20.30 Uhr, im Audiostream und Live-Ticker bei sportschau.de) natürlich sinnlos, allerdings bietet die Partie trotzdem gleich mehrere Chancen. Gislason kann seine Abwehr weiter einspielen, das Team hat durch den dänischen Sieg gegen die Schweiz endlich mal keinerlei Druck und kann sich einfach nur warmwerfen: für das Viertelfinale am Mittwoch in Oslo gegen mögliche Gegner wie Portugal, Schweden oder Spanien.

Für Johannes Golla war der beschwerliche Weg hin zu dieser Ausgangsposition genau der richtige. Der Kapitän: "Wir müssen nicht darüber reden, dass man am liebsten mit vielen Siegen und perfektem Handball ins Viertelfinale geht. Aber mir ist es lieber, mit harter Arbeit dahinzukommen, als irgendwann mit zu viel Leichtigkeit auf die Schnauze zu fallen." Die deutschen Handballer mögen nicht immer überzeugt haben, aber sie sind nicht gefallen - und dürfen nun wieder von einer Medaille träumen.