Comeback gegen Österreich Lewandowski muss im "wichtigsten Spiel" liefern
Sein Oberschenkel ließ Polens Fans bangen. Nun steht Robert Lewandowski gegen Österreich vor seinem verspäteten EM-Start. Sein Einsatz könnte gerade noch rechtzeitig kommen - aber die Aufgabe für den Rekordspieler ist kompliziert.
Ein kleines Fragezeichen ließ Polens Trainer Michal Probierz noch. Ob Robert Lewandowski nach seiner Verletzung spielen könne? "Wir werden das nach dem Abschlusstraining entscheiden", sagte er. Der Grund für die verbale Zurückhaltung ließ sich nicht mit Sicherheit ausmachen. Vielleicht war es einfach Vorsicht.
Oder aber Probierz taktierte ein wenig mit seinem Star-Stürmer. Vor dem wichtigen Duell gegen Österreich (21.06.24, 18.00 Uhr, Livestream, Radioreportage und Ticker) weiß der Gegner schließlich am besten so wenig wie möglich. Ungewissheit kann Trumpf sein.
Sollte das wirklich das Ziel gewesen sein, so hatte sich sein Nebenmann jedoch bereits als lausiger Geheimnisträger entlarvt. Torhüter Wojciech Szczesny saß mit seinem Coach auf dem Podium in den Katakomben des Berliner Olympiastadions und hatte sich Minuten zuvor weitaus weniger bedeckt gegeben.
"Roberts Leistung macht einen großen Unterschied aus", sagte der Keeper von Juventus Turin da nämlich - und schickte eine klare Ansage hinterher: "Das österreichische Team wird nicht glücklich sein, dass er fit ist."
Jedes Spiel, jede Minute: 18 EM- und WM-Spiele in Folge
Wieder fit also, nachdem er erst am 10. Juni im letzten Test vor dem EM-Start gegen die Türkei verletzt vom Platz musste. Die Diagnose: Muskelfaserriss im Oberschenkel. Szczesny mag gemerkt haben, wie offen er mit dieser Nachricht umging und so das kleine Pokerspiel seines Trainers torpedierte.
Jedenfalls schob der Torhüter noch unmittelbar nach: "Ich weiß nicht, ob er für 90 Minuten bereit ist. Es liegt auch nicht an mir, das zu beurteilen. Aber es ist für unsere Mannschaft sehr viel wert, dass er auf dem Feld stehen wird."
Eigentlich kennt das Team es auch gar nicht anders. Gerade in den großen Duellen. So bedeutete das erste Gruppenspiel gegen die Niederlande mindestens für eine polnische Fußball-Generation eine gänzlich neue Situation. Denn zuvor galt seit der Europameisterschaft 2012: Bei einem großen Turnier ist Lewandowski dabei - und zwar in jedem Spiel, jede Minute. 18 EM- und WM-Partien in Folge war das so.
Szczesny: "Bester polnischer Spieler aller Zeiten"
"Er ist unser bester Spieler und das ist er schon seit vielen Jahren. Meiner Meinung nach ist er der beste polnische Spieler aller Zeiten", sagte Szczesny, der Ende 2009 - nur ein Jahr nach Lewandowski - in der Nationalmannschaft debütierte und damit Teil der Ära ist. Dass Lewandowski spielen werde, "wird unseren ganzen Ansatz und auch den des Gegners verändern. Es ist klar, dass seine Präsenz auf dem Feld uns nur helfen kann".
Diese Hilfe wird es brauchen. Und auch deshalb schufteten Polens Physios dem Vernehmen nach bis 2.00 Uhr nachts mit dem Superstar. Im Duell der Verlierer des ersten Spieltags Polen (1:2 gegen die Niederlande) und Österreich (0:1 gegen Frankreich) stehen beide Teams im Berliner Olympiastadion unter Druck. Oder wie es Szczesny formuliert: "Das ist unser kleines Finale und das wichtigste Spiel im Turnier."
Lewandowski muss in diesem entscheidenden Spiel direkt liefern. Ob ihm das gelingt? So optimistisch Szczesny klingt, so sehr sind doch auch Zweifel erlaubt. Die Saison bei Barcelona gab dem inzwischen 35-Jährigen wenig Rückenwind und die Verletzung bremste kurzfristig weiter aus. Doch Szczesny ist sicher: Polen braucht Lewandowski, "egal, wie gut andere spielen". Andere, damit meinte er zum Beispiel Adam Buksa.
Ersatz Buksa ackerte einsam
Und tatsächlich hatte der seinen Job zum Auftakt gegen die Niederlande nicht schlecht gemacht. Das ist der Fairness halber festzuhalten. Buksa - eigentlich Stürmer Nummer drei hinter Lewandowski und dem ebenfalls angeschlagenen Karol Świderski - ackerte an vorderster Linie.
Und der 27-Jährige rieb sich allein auf, weil Trainer Michal Probierz auf die Ausfälle reagierte: Er setzte entgegen seiner taktischen Gewohnheiten auf eine One-Man-Show statt Doppelspitze.
Buksa führte in dieser undankbaren Rolle mehr Zweikämpfe als jeder andere Spieler an diesem Abend in Hamburg - auch wenn er die Mehrzahl verlor. Aus der blassen Mittelfeldzentrale bekam er kaum bis keine Unterstützung.
Seine Ausbeute war unter diesen Umständen durchaus beachtlich: Er erzielte in seinem 16. Länderspiel nach Ecke die frühe Führung für Polen, gab zwei weitere Torschüsse ab und legte einen auf.
Siegquote mit Lewandowski deutlich höher
So war wohl der einzige Vorwurf, den man Buksa machen konnte, dass er nicht Lewandowski ist. Was wiederum unfair ist. Doch es führt direkt zum Kern des polnischen Problems. Dem allenfalls durchschnittlichen EM-Team reicht kein Stürmer, der es nicht schlecht macht. Es braucht einen Weltklasse-Angreifer, der auch als Solo-Unterhalter seine Qualitäten ausspielt. Der - auch ohne großen Support - aus sehr wenig viel zaubern kann.
So wie es Robert Lewandowski immer wieder vermochte. Seine Bedeutung für die Nationalmannschaft in der jüngeren Vergangenheit ist nicht gefühlt, sondern lässt sich vielfach statistisch untermauern.
Ein Beispiel? Fast zehn Jahre ist der Ex-Bayern-Star nun Polens Kapitän. Mit ihm gewann das Team seitdem 55 Prozent seiner Partien. Fehlte der Rekordspieler und -torschütze, rauschte die Siegquote auf nur noch 29 Prozent hinunter.
Rangnick: "Der Spieler schlechthin in Polen"
Und so rechnete auch Österreichs Coach Ralf Rangnick schon fest mit einem Einsatz des Stürmers, bevor Probierz und Szczesny das Podium überhaupt betreten hatten. Zwei Stunden vor der polnischen hatte die österreichische Pressekonferenz stattgefunden. Auch auf der ging es - natürlich - gleich in den ersten beiden Fragen um Robert Lewandowski.
Rangnick saß an Probierz‘ Stelle und sagte: "Lewandowski ist natürlich der Spieler schlechthin in Polen. Er wird auch immer wieder gesucht, speziell fürs Umschaltspiel." Der 35-Jährige sei "vor allem im Sechzehner gefährlich". Seine Österreicher müssten also versuchen, "das Spiel in jeder Phase zu kontrollieren. Und wenn das gelingt, kommt er hoffentlich gar nicht so oft in Situationen, in denen er seine Qualitäten ausspielen kann."
15 Minuten Leichtigkeit
Am Donnerstagabend, als beide Pressekonferenzen Geschichte waren, konnten sich die Journalisten übrigens selbst noch ein Bild von Lewandowskis Fitness machen. Zumindest für genau gestoppte 15 Minuten. So lange sind die Abschlusseinheiten der EM-Teams medienöffentlich. Viel zeigen müssen sie in dieser Zeit nicht. Das Interessante passiert oft, wenn die Ordner die neugierigen Zuschauer wieder von der Tribüne geschickt haben.
Lewandowski aber versteckte sich in der Viertelstunde auf dem Rasen des Olympiastadions keinesfalls. Im Gegenteil, fast wirkte es so, als wolle er sich präsentieren. Im blauen Leibchen lief er etwas abseits des Gedränges der Gruppe bester Laune über den Platz, spielte Pässe, schoss aufs Tor, jonglierte den Ball. Es waren Bilder, die aus dem letzten kleinen Fragezeichen des Trainers ein Ausrufezeichen des Stürmers machten.