Konnte zufrieden sein mit der Leistung seiner Mannschaft gegen Belgien: Slowakei-Trainer Francesco Calzona

EM-Überraschung Slowakei Kaffeeverkäufer Calzona coacht mit viel Demut

Stand: 20.06.2024 23:59 Uhr

Mit einem Sieg über die Ukraine in Düsseldorf wäre der krasse Außenseiter Slowakei bei der Fußball-EM 2024 vorzeitig in der K.o.-Runde. Der Coach war früher Kaffeeverkäufer - und nennt Demut als größte Stärke.

Von Christian Hornung, Düsseldorf

Der 1:0-Sieg gegen Mitfavorit Belgien im ersten Spiel der Gruppe E war vielleicht die bislang größte Überraschung dieser spektakulären Europameisterschaft. Plötzlich hat die Slowakei nun einen Matchball zum Erreichen des Achtelfinales.

Aber als die Sportschau den Trainer und seinen Spielmacher nach den größten Fähigkeiten dieser Mannschaft fragt, sind beide ganz weit entfernt davon, aus dem Coup gegen den Weltranglisten-Dritten nun plötzlich eine Favoritenrolle gegen die von Rumänien mit 3:0 geschlagenen Ukrainer abzuleiten.

Duda: "Wir leben nicht von Einzelkönnern"

Ondrej Duda, der vor seiner Zeit bei Hellas Verona in Deutschland für den 1. FC Köln und Hertha BSC gespielt hat, führt nicht etwa die allseits gelobte Defensive ins Feld, sondern antwortet: "Unsere allergrößte Fähigkeit ist, dass wir wissen, dass wir nicht von Einzelkönnern leben, sondern nur als Mannschaft etwas erreichen können. Wir gehen das Duell mit der Ukraine wie ein Endspiel an, und jeder bei uns weiß, dass wir nur über das ganze Kollektiv etwas Großes erreichen können."

Die Schaltzentrale der Slowakei: Ondrej Duda

Francesco Calzona sitzt bei dieser Antwort am Tag vor dem Match direkt neben Duda und nickt zufrieden: Der Spielmacher hat verstanden, was sich der Coach wünscht.

Calzona gibt anschließend eine ganz ähnliche Antwort. "Unsere größte Stärke? Das ist unsere Bescheidenheit, unsere Demut. Wir sind ein sehr kleines Land und wissen deshalb ganz genau, dass wir immer 110 Prozent geben müssen, um bei so einem Turnier überhaupt ein Spiel zu gewinnen."

Kaffeeverkäufer statt Fußballprofi

Dass Calzona es auf die höchste Bühne des internationalen Fußballs geschafft hat - er coachte im Saisonfinale der Serie A "nebenbei" auch noch die SSC Neapel - war sehr lange überhaupt nicht abzusehen gewesen. Eigentlich hatte er mit einer beruflichen Laufbahn in diesem Metier bereits abgeschlossen.

Im Toscana-Dorf Civitella in Val di Chiana spielte er als 30-Jähriger für den Sechstliga-Klub U.S.D. Tegoleto. Dass es für eine Profikarriere nicht reichen würde, war ihm damals schon längst klar geworden.

Über einen Mannschaftskameraden bekam er dann einen Job in einer Kaffeerösterei und half mit, die Produkte des kleinen Familienunternehmens "Moka Più" zunächst an Freunde, dann in größerem Stil zu veräußern. "Es war eine tolle Erfahrung, an die ich immer noch gern zurückdenke", erzählt Calzona heute: "Mich rufen manchmal jetzt noch Kunden an und fragen nach Kaffee."

Calzona holte Sarri ins Trainergeschäft

Dass er aber auch im Fußball über große strategische Fähigkeiten verfügt, bemerkte damals sein kleiner Klub sofort und bot ihm an, als Spielertrainer zu arbeiten. Calzona lehnte ab, weil er lieber weiter Kaffee verkaufen wollte und empfahl stattdessen seinen Freund Maurizio Sarri. Es war der Beginn einer Weltkarriere: Sarri wurde später Italiens Trainer des Jahres, gewann 2019 mit Chelsea die Europa League und wurde ein Jahr später mit Juventus Turin italienischer Meister.

Sarri vergaß Calzona die Hilfe beim Einstieg in diese Karriere nie und überredete ihn später, sein Co-Trainer zu werden. In dieser Funktion arbeitete Calzona viele Jahre, ehe der slowakische Ex-Superstar Marek Hamsik den Kontakt zur Verbandspitze herstellte.

Man wurde sich einig - und Calzona nahm im August 2022 erstmals überhaupt einen Cheftrainerposten an. Dazu sagt er rückblickend: "Ich hatte in Neapel meine Komfortzone, aber ich wollte auch mal das Adrenalin spüren. Es hat sich gelohnt."

Noch zwei Trümpfe für das Achtelfinale

Calzonas verlängerter Arm auf dem Feld ist Taktgeber Stanislav Lobotka, den er auch bei Napoli coachte: Der Sechser gewann gegen die Belgier herausragende 70 Prozent seiner Zweikämpfe. Im slowakischen Team bestimmt er das Tempo, zieht die Fäden, ist das Bindeglied zwischen Defensive und Offensive.

Lobotka hat Calzona sehr dabei geholfen, diese Einheit zu formen, an der Belgien scheiterte und die nun gegen die Ukraine zur größten Turnierüberraschung werden kann.

"Das Schwierigste an meinem Job war, 25 oder 30 Spieler aus mindestens elf oder zwölf verschiedenen Ligen mit unterschiedlichen Rollen und Mentalitäten zusammenzubringen. Es war eine echte Herausforderung, alle schnell zu synchronisieren", sagt Calzona. Dass er dabei jahrelang Erfahrungen auch außerhalb des Fußballs gesammelt hat, hat ihm sicher nicht geschadet.