Slowake Schranz startet durch Ein Wunderstürmer wie im Disney-Film
Pechvogel, Reservist, EM-Toptorjäger: Der slowakische Stürmer Ivan Schranz schreibt bei der EM seine eigene Cinderella-Story. Gegen Rumänien soll das nächste Kapitel folgen.
Bei großen Turnieren, so ist das inzwischen üblich, bekommen Journalisten zu allen Teams und Spielern regelmäßig jede Menge Statistiken und Details geliefert. In akribisch vorbereiteten Info-Mappen findet man dort allerlei Nützliches und Unnützes.
Vor der Partie zwischen der Slowakei und Rumänien am Mittwoch (26.06.2024, 18 Uhr, Livestream, Radioreportage und Ticker) erfährt man beispielsweise, dass Peter Pekarik bei dieser EM schon mehr Spielzeit gesammelt hat als in der kompletten Zweitliga-Saison bei Hertha BSC. Rumänien hat nur elf Prozent seiner EM-Spiele gewonnen und ist damit rein statistisch der schlechteste Teilnehmer der Geschichte. Und der slowakische Nationaltrainer Francesco Calzona war jahrelang Kaffeeverkäufer. So weit, so unterhaltsam. Richtig interessant wird es aber bei Ivan Schranz.
Schranz - ein Stürmer ohne Stärken
Der Stürmer der Slowakei, der bislang in zwei Auftritten zwei Treffer erzielt hat und damit aktuell einer von vier Spielern an der Spitze der EM-Torschützenliste ist, kommt in seinem Kurz-Porträt nämlich nicht wirklich gut weg.
Unter dem Punkt "Spieler-Typ" wird der 30-Jährige beschrieben wie ein in die Jahre gekommener Kreisliga-Stürmer, der aus unerfindlichen Gründen trotz eines klar erkennbaren körperlichen Verfalls noch immer regelmäßig netzt. Schranz, so steht es dort, sei "nicht wirklich schnell" und "nicht wirklich durchsetzungsstark". Zumindest auf Vereinsebene habe er aber "immer wieder einen guten Torriecher". Gestatten: Ivan Schranz, früher mal höherklassig unterwegs. Doch wer ist dieser plötzliche EM-Wunderstürmer?
Schranz mit durchwachsener Karriere
Eine Frage, die sich gar nicht so leicht beantworten lässt. Wer "Schranz" bei Google eingibt, erfährt viel über elektronische Musik und quasi nichts über den Fußballer. Bei Instagram, wo Schranz für Nationalspieler-Verhältnisse läppische 18.000 Follower hat, sieht man viele Agentur-Fotos, Einblicke hinter die Kulissen gibt es nicht. Logische Schlussfolgerung: Schranz, der aktuell bei Slavia Prag unter Vertrag steht, ist im echten Leben wohl das, was man einen Durchschnittskicker nennt.
Ein Urteil, das auch ein Blick auf die Zahlen bestätigt: In der abgelaufenen Saison erzielte Schranz in der tschechischen Liga genau einen Treffer, in der Startelf stand er ganze acht Mal. Die Champions League kennt der Slowake, der den Großteil seiner Karriere in Tschechien verbracht hat, nur aus dem Fernsehen. In einer der europäischen Top-Ligen spielte er nie, dafür aber auch mal ein halbes Jahr auf Zypern. Klare Sache: Schranz ist auf und neben dem Platz eine eher unauffällige Erscheinung.
Schranz trifft und trifft
Genau das ist bei der EM aber seine große Stärke. Da der Fokus stets auf anderen Spielern und meistens sogar auf dem gegnerischen Team liegt, kann Schranz befreit aufspielen und einfach Taten sprechen lassen. In der ersten Partie erzielte er mit einer technisch anspruchsvollen Volley-Abnahme den 1:0-Siegtreffer gegen Belgien, im zweiten Spiel traf er mit dem Kopf zum zwischenzeitlichen 1:0 gegen die Ukraine. Ein Mittelstürmer tut Mittelstürmer-Dinge. So einfach kann es manchmal sein.
"Wir versuchen Fußball zu spielen, egal wie der Gegner heißt. Darauf bin ich sehr stolz", fasste Nationaltrainer Calzona passend dazu das Erfolgsgeheimnis seines Teams vor dem Duell am Mittwoch in Frankfurt zusammen. Die Slowaken, die genau wie die drei anderen Teams drei Punkte auf dem Konto haben und damit weiter vom Achtelfinale träumen dürfen, stehen auch dank Schranz vor einem der größten Erfolge aller Zeiten.
Bei der EM 2016 zog die Slowakei zwar schon einmal ins Achtelfinale ein (0:3 gegen Deutschland), weiter ging es aber noch nie. "Für uns ist es schon eine Cinderella-Story, dass wir überhaupt hier sind", so Calzona.
Solche Geschichten schreibt nur der Fußball
Dass in dieser Geschichte dann ausgerechnet das fußballerische Aschenputtel Schranz die Hauptrolle spielt, ist die besondere Pointe dieses Drehbuchs. Nachdem Schranz kurz vor der EM 2021 noch wegen einer Sprunggelenksverletzung in letzter Sekunde aus dem Kader geflogen war, zeigt er sich jetzt auf der größtmöglichen Bühne von seiner besten Seite. Früher Pechvogel, meistens ein eher mittelmäßiger Angreifer, jetzt Nationalheld. So klingt Stoff für einen Disney-Film.