Pepe auf einer EM-Pressekonferenz Portugals

EM-Oldie vor Duell mit Slowenien Pepe überzeugt als zahmes Monster

Stand: 30.06.2024 21:48 Uhr

Früher ein "Kannibale", heute einer der besten Verteidiger der EM: Der inzwischen 41 Jahre alte Pepe hat sich verändert und wohl auch deshalb großen Anteil an Portugals Achtelfinal-Einzug. Eine besondere Rolle spielt zudem ein Sandwich.

Von Mark Weidenfeller, Frankfurt

Die Erfolgsgeschichte von Pepe begann mit einem knurrenden Magen und Heimweh. Wie der inzwischen 41-Jährige vor rund drei Jahren der portugiesischen Wochenzeitung "Expresso" erzählte, landete er als 18-Jähriger mit umgerechnet fünf Euro in der Tasche in Portugal und musste am Flughafen zwischen zwei Optionen wählen: Essen kaufen oder Mama anrufen.

Mama wichtiger als der Hunger

Der gebürtige Brasilianer, der angeblich bis zu seinem 17. Lebensjahr im elterlichen Bett schlief, entschied sich für den Erwerb einer Telefonkarte und einen Anruf in der Heimat: "Ich wollte nicht, dass meine Mutter sich Sorgen macht."

Da der Weiterflug allerdings erst Stunden später abhob, blieb das Problem mit dem Hunger. Pepe, damals noch völlig unbekannt und kurz vor seinem ersten Profi-Engagement in Europa, blieb also nichts anderes übrig, als den Mitarbeiter einer Fastfood-Kette um kostenloses Essen zu bitten.

"Er kam dann tatsächlich und gab mir ein Sandwich", so Pepe: "Das war ein prägendes Ereignis für mich. Von diesem Moment an habe ich immer versucht, anderen zu helfen."

Eine Weltkarriere startet in Funchal

Vor dem Achtelfinale der Portugiesen am Montag gegen Slowenien (01.07.2024, 21 Uhr, Livestream, Radioreportage und Liveticker) stellt sich die Frage, wie sich dieser Pepe wohl entwickelt hätte, wenn er an einen weniger großherzigen Verkäufer geraten wäre.

Dass er in den Folgejahren als fußballerischer Wohltäter von sich reden machte, lässt sich nämlich eher nicht behaupten. Der Innenverteidiger, der schnell in Portugal Fuß fasste und bei Maritimo Funchal eine Welt-Karriere startete, erarbeitete sich über all die Jahre den Ruf eines gefürchteten und bisweilen unfairen Raubeins.

Rüdiger über Pepe: "Auf dem Platz ein Monster"

Wer bei Youtube nach Pepe sucht, sieht millionenfach aufgerufene Zusammenschnitte seiner übelsten Fouls. Ein katalanischer TV-Sender verglich Pepes Attacken gegen Lionel Messi in einem Skandalvideo einst mit der Jagd von Hyänen auf schutzlose Antilopen. Gegen eine Fotomontage am Ende des Clips, die ihn als Menschenfresser Hannibal Lector zeigt, gingen Real Madrid und Pepe sogar gerichtlich vor. "Auf dem Platz ist er ein Monster", fasste Antonio Rüdiger einmal zusammen.

Der deutsche Innenverteidiger, der inzwischen bei Real den Job von Pepe übernommen hat, meinte das zwar durchaus anerkennend und fügte sogar an, dass Pepe im wahren Leben ein echt netter Zeitgenosse sei. Seine Beschreibung des Fußballers Pepe passte aber haargenau.

Der 41-Jährige, der vor wenigen Tagen den ungarischen Torhüter Gabor Kiraly als ältesten EM-Spieler aller Zeiten abgelöst hat, verbreitete auf dem Rasen regelmäßig Angst und Schrecken. Kiraly trug bei seinen Spielen immer eine graue Jogginghose, Pepe stets ein Messer zwischen den Zähnen. Bis zu diesem Sommer.

Pepe überzeugt bei der EM

Denn im Herbst seiner Karriere scheint sich Portugals Oldie tatsächlich doch noch an sein am Sandwich-Stand abgegebenes Versprechen zu erinnern. Pepe stellt sich bei der Europameisterschaft bislang komplett in den Dienst der Mannschaft und verzichtet auf seine üblichen Sperenzchen. In den ersten beiden Gruppenspielen, die Portugal beide verdient und souverän gewann, leistete sich Pepe nicht ein einziges Foul.

Dass er dennoch ein Zweikampf-Gigant ist, sah man vor allem gegen die Türkei, als er gleich reihenweise Flanken abfing und die Bälle wieder aus dem Strafraum beförderte. Pepes Bilanz bei Kopfballduellen: 100 Prozent gewonnen.

Im Achtelfinale gegen die Slowakei

"Ich bin da, um zu helfen", umriss er passend dazu vor dem Achtelfinale gegen Slowenien seine Aufgaben. Während in der Offensive Cristiano Ronaldo die Blicke (und die Selfie-Jäger) auf sich zieht und daneben Bruno Fernandes, Rafael Leao oder Bernardo Silva wirbeln, ist Pepe für die Aufräumarbeiten dahinter verantwortlich.

Der Routinier, der sich früher über seine Zweikampfhärte definierte, ist deutlich zahmer geworden und agiert eher vorausschauend. "Die Art, wie er das Spiel liest, die Art, wie er dann antritt, ist ein wunderbares, wunderbares Beispiel für den portugiesischen Fußball", lobte Nationaltrainer Roberto Martinez.

Duell der Generationen gegen Sesko

Pepe, der wie die meisten anderen Stammspieler im abschließenden und unbedeutenden Gruppenspiel gegen Georgien (0:2) geschont wurde, wird genau das auch am Montagabend in Frankfurt wieder versuchen. Gegen seinen direkten Gegenspieler Benjamin Sesko von RB Leipzig geht es dabei nicht nur um den Einzug ins Viertelfinale, sondern auch um den Gewinner im Duell der Generationen. Als Pepe vor knapp 23 Jahren hungrig und ohne Geld am Flughafen um ein Sandwich bat, war Sesko noch nicht einmal geboren.