Hansi Flick (l.) und Jamal Musiala
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Zustand des DFB-Teams Schluss mit der deutschen Hybris

Stand: 22.06.2023 07:59 Uhr

Die deutsche Fußballnationalmannschaft gehört seit Jahren nicht mehr zur fußballerischen Elite. Aber statt dies anzuerkennen und Schlüsse daraus zu ziehen, wird auf den Bundestrainer eingedroschen. Das ist zu einfach - findet Sportschau-Reporter Jo Herold.

"Flick raus", war auf einem Plakat zu lesen, das ein Zuschauer bei der Niederlage der deutschen Nationalmannschaft gegen Kolumbien am Dienstag (18.06.2023) in Gelsenkirchen hochgehalten hatte, was bereitwillig vom übertragenden Sender eingefangen und in die Wohnzimmer transportiert wurde. In den Jahren davor hatte es wahlweise geheißen "Bierhoff raus" und natürlich "Löw raus".

Was sich durch die Entlassung von Oliver Bierhoff und zuvor Joachim Löw geändert hat? Nicht viel mehr oder weniger als nichts. Flick startete mit einer Gewinnsträhne, und Fußball-Deutschland war begeistert. Doch nach diesen ersten acht Erfolgen ging es bergab.

Hansi Flick kam mit der Empfehlung eines Sextuple-Siegers zum DFB zurück

2020 hatte der Ex-Bayernspieler Flick mit den Münchnern eine sagenhafte Saison hingelegt: Meisterschaft, Pokal, Champions League. Am Ende waren es sechs Titel, die der Coach eingesammelt hatte. Mit seinem Team um Joshua Kimmich, Manuel Neuer und vor allem um Robert Lewandowski - sie alle waren in Topform.

Mit einem David Alaba in der Verteidigung, der danach eine Etage höher zu Real Madrid wechselte. Mit Thomas Müller oder Serge Gnabry, die ebenfalls ihren besten Fußball spielten. Auch Thiago war noch dabei.

Die Frage nach der Qualität

Die Deutschen unter diesen Spielern konnten ihre Qualität seitdem nicht halten. Alle nicht. Aus den verschiedensten Gründen. Das Alter spielt sicherlich ein wichtige Rolle, und auch beispielsweise die teils chaotischen Umstände um das Team bei der WM in Katar. Oder bei Bayern München. Aber offensichtlich ist auch, dass von Sportdirektor Rudi Völler, von Champions-League-Sieger Ilkay Gündogan und von Altverdienten wie Ex-Bundestrainer Berti Vogts sowie Ex-Nationalspieler Paul Breitner die "Qualitäts-Frage" gestellt wurde.

Einhellige Meinung: Es fehlt an guten Spielern - und zwar in allen Mannschaftsteilen. Derzeit kann sich - bis auf einen oder zwei - kein einziger der deutschen Nationalspieler das Attribut "Weltklasse" verdienen. Nicht einmal europäische Spitzenklasse. Einzig Gündogan spielte im Verein eine grandiose Saison, der aktuell sich in der Reha befindende Manuel Neuer war als einziger deutscher Spieler in den vergangenen Jahren im Dunstkreis der "Weltfußballer". Bislang letzter deutscher Titelträger war Lothar Matthäus (1991), Matthias Sammer wurde 1996 in Europa zum besten Spieler gewählt.

"Der Hunger nach Erfolg scheint zu fehlen"

Julia Büchler, Tagesthemen, 21.06.2023 22:15 Uhr

Flick verdient Vertrauen - und Unterstützung

Und nun ist es also der Trainer. Ein Trainer, der sicher auch Fehler macht. Der nach dem Motto "Hätte, hätte ..." vielleicht ein paar Mal eine andere Mannschaft hätte formieren können (z.B. gegen Japan bei der WM '22). Der aber eben auch Glück beim Coaching braucht, wenn es sowieso schon nicht rund läuft. Hätte sich bei den verlorenen Länderspielen eine verlässliche Formation und eine bombensichere Taktik für sein Team aufgedrängt, hätte der Coach - so viel Vertrauen muss in einen Bundestrainer gesetzt werden - in Zusammenarbeit mit seinem Team das Richtige getan.

Der deutsche Nationalmannschafts-Fan täte gut daran, nicht schon wieder das "Raus"-Prinzip zu fordern, das selten gerecht ist und grundsätzliche Besserung bringt. Sondern wir sollten uns angesichts der Performance der DFB-Auswahl der vergangenen Jahre seit 2014 (WM-Titel gegen Argentinien durch das Tor des eingewechselten Mario Götze) bewusst sein, dass Deutschland seither nicht mehr vorne mitspielt im Konzert der Besten - was nicht am derzeitigen Trainer liegt. Sondern wofür die Gründe im "Fußball-Gebäude" Deutschland zwei oder drei Etagen darunter zu suchen sind.