Testspiel DFB-Elf immer schlimmer - Pleite auch gegen Kolumbien
Hinten chaotisch, vorne planlos - Deutschland verabschiedet sich mit einer schlimmen Vorstellung gegen Kolumbien in die Sommerpause. Die Fans pfiffen das DFB-Team nach der erneuten Pleite am Dienstagabend (20.06.2023) gnadenlos aus.
Und das war auch vollkommen verdient, denn das Ergebnis hätte noch höher als 2:0 (1:0) für die Südamerikaner ausfallen können. Für den sichtlich angeschlagenen Bundestrainer Hansi Flick könnte es nun eng werden - auch wenn ihm DFB-Sportdirektor Rudi Völler vor dem Spiel noch eindeutig das Vertrauen ausgesprochen hatte.
Nur noch ein Jahr bis zur EURO
Doch es gibt zurzeit wenig, was ein Jahr vor der Europameisterschaft im eigenen Land Hoffnung auf Besserung macht. Im Gegenteil: Es scheint von Spiel zu Spiel schlechter zu werden.
Ilkay Gündogan, der die Mannschaft an diesem Abend als Kapitän aufs Feld führte, fand anschließend am Sportschau-Mikrofon klare Worte: "Es kommen viele Dinge zusammen, aber wenn es man es zusammenfassen will, dann ist es fehlender Mut. Man merkt eine Verunsicherung in der Mannschaft. Aber wenn man es nicht schafft, über einen längeren Zeitraum das vermeintliche Potenzial abzurufen, dann stellt sich am Ende auch die Qualitätsfrage."
Goretzka - "Pfiffe tun extrem weh"
Leon Goretzka gab zu: "Es hat an vielen Ecken und Enden gefehlt, wir hatten keine Präsenz in der Box. Als wir auf Viererkette umgestellt hatten, kam noch etwas Dynamik rein, aber wenn du die Spiele nicht gewinnst, dann nützt es nichts, noch Positives rauszusuchen. Es tut aber extrem weh, hier ausgepfiffen zu werden. Wir müssen mal aufhören davon zu reden, dass wir Euphorie entfachen wollen - sondern es einfach mal machen."
Robin Gosens sagte, ebenfalls zur Sportschau: "Im Moment läuft gefühlt alles gegen uns. Es fehlt dann aber auch die letzte Gier, mal einen dreckigen Sieg zu erzwingen, stattdessen wird dann lieber der Sicherheitspass gespielt. Ich - und wir als Mannschaft - sind aber auf jeden Fall noch voll von Hansi Flick, seiner Idee und seinem Weg überzeugt."
Völler sieht einige Spieler überfordert
DFB-Sportdirektor Rudi Völler wollte nicht über Flick diskutieren, fand aber deutliche Worte zum Kader:"Es ist eine Qualitätsfrage aktuell in Deutschland, ich habe das zu Beginn auch zu positiv gesehen. Wir haben einige Spieler, die hängen ein bisschen hinten dran und werden es auch nicht schaffen im Hinblick auf die Europameisterschaft. Jetzt müssen wir im September die richtigen Spieler einladen und wieder aufstehen."
Flick räumte ein: "Bei mir ist großer Frust da, wenn die Ergebnisse fehlen, hast du auch keine Argumente. Wir müssen das jetzt alles analysieren, die richtigen Schlüsse daraus ziehen und weiter arbeiten."
Die extremen Probleme sowohl im Defensiv- als auch im Offensivbereich, die zuletzt auch schon beim 3:3 gegen die Ukraine und beim 0:1 gegen Polen sichtbar waren, setzten sich gegen die Kolumbianer nahtlos fort.
In der von Flick erneut favorisierten Dreierkette brach phasenweise regelrecht das Chaos aus. Und nach vorne ging praktisch überhaupt nichts: Bis kurz vor dem Pausenpfiff gab die DFB-Elf nicht einen einzigen Torschuss ab.
DFB-Abwehr - Can und Thiaw schlecht postiert
In der 14. Minute hatte Yerry Mina das 1:0 für die Gäste auf dem Kopf, weil sich neben ihm Malick Thiaw und Emre Can gegenseitig behinderten - der Ball flog aber knapp vorbei. Nach einer knappen halben Stunde rettete Thiaw dann aber brillant, grätschte mit hohem Risiko dem völlig frei durchgebrochenen Luis Diaz in höchster Not den Ball weg. Kolumbien reklamierte vehement einen Elfmeter, Thiaw hatte aber tatsächlich minimal die Kugel berührt.
Der Druck der Kolumbianer nahm permanent zu, in der 30. Minute fischte Marc-André ter Stegen einen Distanzsschuss des immer wieder mit aufrückenden Innenverteidigers Mina so gerade noch aus dem Winkel.
Peinlich: Erster Abschluss in der 45. Minute
Aus dem deutschen Mittelfeld - ohne Joshua Kimmich, Florian Wirtz und Julian Brandt - kam offensiv nichts. Die einzige halbwegs vielversprechende Aktion leitete Marius Wolf mit einem langen Flügelwechsel auf Robin Gosens ein, dem versprang aber bei der Annahme frei vor Kolumbiens Keeper Camilo Vargas der Ball.
Peinlich: Erst in der 45. Minute hatte Deutschland die erste Abschlussaktion. Kai Havertz, der als zentrale Spitze den Strafraum meistens als Tabuzone betrachtete, hatte Jamal Musiala in Szene gesetzt, dessen Volleyschuss in Bedrängnis aber kein Problem für Vargas darstellte. Die Reaktion des in der abgelaufenen Saison auch nicht gerade verwöhnten Gelsenkirchener Publikums zur Halbzeit: laute Pfiffe.
Cans Ballverlust gegen Kolumbiens Borré
Und es wurde noch schlimmer. Flick hielt auch im zweiten Durchgang an seiner Taktik mit Dreierabwehr und ohne echten Stürmer fest, was fast schon stur wirkte - und bestraft wurde. Nach einem Ballverlust von Can an Raphael Borré im Aufbau agierte Deutschland lethargisch und passiv, ließ Juan Cuadrado völlig unbedrängt flanken und Diaz ebenso frei einköpfen - vor allem der gegen Polen noch gelobte Thiaw stand komplett im luftleeren Raum.
Der Rückstand nach 55 Minuten war hochverdient, die Pfiffe wurden lauter und Kolumbien hätte beinahe direkt nachgelegt: Diaz legte an der Strafraumgrenze für Jhon Arias ab, der - auch wieder mal völlig unbedrängt - knapp über das deutsche Tor zielte.
Luis Diaz und seine Mitspieler feiern ihren Führungstreffer
Deutsches Team: ein Wechsel, zwei Korrekturen
Nach 65 Minuten korrigierte Flick dann mit einem Wechsel gleich zwei Aufstellungs-Pannen: Niclas Füllkrug kam für Emre Can, damit war die völlig indisponierte Dreierkette aufgelöst und endlich ein strafraumpräsenter Angreifer auf dem Platz.
Spielerisch wurde es allerdings auch in der Folgezeit nicht besser, allein in die Zweikämpfe kehrte Intensität ein: Füllkrug und der ebenfalls eingewechselte Benjamin Henrichs holten sich Gelb ab für zwei harte Grätschen, bei denen die Kolumbianer erstmals auch so etwas wie körperliche Gegenwehr der DFB-Elf verspürten.
Kimmich kommt und verursacht einen Elfmeter
Die Hoffnung, dass dieses Spiel noch zu retten ist, zerschlug sich dann Sekunden nach der Einwechslung von Kimmich. Nicht mal eine Minute stand er auf dem Platz, als ihm im Strafraum der Ball an die rechte Hand flog - Cuadrado nahm das Elfmeter-Geschenk an und sorgte mit dem 2:0 in der 82. Minute für die Entscheidung.
Die geplante Werbung für die EURO mit Botschafter Philipp Lahm, sehr vielen Kindern im Stadion und der Vorstellung des EM-Maskottchens in Form eines Bären kehrte sich durch die alles andere als bärenstarke Vorstellung praktisch ins Gegenteil um: Die Stimmung im eigenen Land ist mit Blick auf das bevorstehende Turnier auf dem Tiefpunkt angekommen.