Nach den Länderspielen im Juni Deutschlands biedere Nationalmannschaft
Ein Jahr vor der EM kommt Sportdirektor Rudi Völler die Erkenntnis, dass einige Nationalspieler überschätzt werden. Den Bundestrainer schätzt er aber weiterhin, obwohl der seinen Ruf mit den Länderspielen im Juni schädigte.
Der Sportausschuss des Deutschen Bundestages kommt am Mittwoch (21.06.2023) wieder zusammen. Eine Woche vorher war der Deutsche Fußball-Bund (DFB) bei der Politik vorstellig geworden, um über die Vorbereitungen der Europameisterschaft 2024 zu sprechen. Soziale und ökologische Nachhaltigkeit seien große Themen, sagte Bernd Neuendorf laut Protokoll vor dem Ausschuss.
Im Mittelpunkt aber stehe der Sport, so der Präsident des DFB. Nach drei misslungenen Turnieren wolle die deutsche Nationalmannschaft wieder erfolgreich sein, versicherte Neuendorf: "Mit dem eigenen Publikum im Rücken sollte das auch möglich sein."
Wenig Anlass zu Optimismus
Zwei Tage vor der Sitzung hatte die Eliteauswahl des DFB 3:3 gegen die Ukraine gespielt. Es war kein Auftritt, mit dem der Präsident Begeisterung unter den Parlamentariern geweckt haben dürfte. Aber immerhin schoss die Mannschaft Tore und vermied eine Niederlage. Eine Woche und zwei Spiele später stehen ein 0:1 in Polen und ein 0:2 gegen Kolumbien zu Buche.
Zu den Ergebnissen kommen die Leistungen, die es schwierig machen, Optimismus zu verbreiten. Im Gegenteil: Die Frage, die sich vermutlich auch die Mitglieder des Sportausschusses stellen, lautet: Ist eine erfolgreiche EM mit Hansi Flick möglich? Oder gibt es außer einem Bären als Maskottchen auch einen Problembären als Bundestrainer?
Völler kritisiert Spieler
Für den Sportdirektor Rudi Völler ist Flick eine Sau, und zwar die ärmste. Das sagte er am Dienstagabend in Gelsenkirchen und bekräftigte damit seine Treue zum Trainer. Völler sprach hingegen einigen Spielern, ohne Namen zu nennen, die "Top-Qualität" ab. Auch er habe das "am Anfang vielleicht ein bisschen zu positiv gesehen".
Völlers Anfang, das war nach der WM in Katar, die Deutschland mal wieder nach der Vorrunde verließ. Der neue Sportdirektor sah trotzdem eine Mannschaft, die kaum schwächer als Argentinien sei, also jene Mannschaft, die Katar mit dem Weltpokal verließ.
Deutschland, so die Überzeugung von Völler und auch dem Bundestrainer, könne daher durchaus den Anspruch erheben, 2024 die Europameisterschaft zu gewinnen. Fünf Spiele und nur einen Sieg (gegen Peru) weiter sind auch die Zweifel bei ihnen gewachsen. Völler zählte einige Spieler an, deren Namen spätestens im September bekannt sein werden, denn der Sportdirektor kündigte an, dass sie nicht mehr eingeladen würden, weil sie zu schwach für die Nationalmannschaft seien.
Flick setzt auf den September
Flick verweigerte schon vor dem Spiel gegen Kolumbien die Aussage, dass er den Titel holen wolle, indem er eine Nachfrage elegant umschiffte. Den Plan, weiter Bundestrainer sein zu wollen, bekräftigte er jedoch.
Sein Fazit und Ausblick in Kurzform: Die Tests im Juni sind in die Hose gegangen, im September wird alles besser. Dann stehen die Partien gegen Japan und Frankreich an. Flick will dann auf einen Stamm von "zehn, zwölf, 14 Spielern setzen", denen auch ihre Position und Rolle eindeutig zugewiesen werden soll.
Die Zeit des Sichtens und Testens, mit der er sich in die missliche Lage brachte, soll dann vorbei sein.
Das große Ausprobieren
Schon vor der WM, in der ganz kurzen Vorbereitungszeit, fiel Flick mit einer Entscheidung gegen einstudierte Abläufe und Routinen auf. Im einzigen Test gegen den Oman spielte eine Elf, von der klar war, dass von ihr im ersten WM-Spiel kaum etwas übrig bleiben würde.
In den drei Testspielen im Juni trieb es Flick auf die Spitze, wie ein trotziges Kind, das immer das Gegenteil von dem macht, zu dem ihm geraten wird. Joshua Kimmich spielte gegen die Ukraine als "Achter" im offensiven Mittelfeld, in Polen dann im defensiven, gegen Kolumbien zunächst gar nicht. Malick Thiaw, der in Warschau als zentraler Innenverteidiger einer Dreierkette überzeugte, wurde in Gelsenkirchen auf die rechte Seite geschoben. In der Zentrale hingegen spielte Emre Can, der bei Borussia Dortmund eine starke Rückrunde spielte, allerdings nicht in der Abwehr, sondern im defensiven Mittelfeld.
Jamal Musiala spielte gegen Kolumbien defensiver als Ilkay Gündogan im Mittelfeld, dabei hätten die meisten es wohl andersherum erwartet. Im Angriff setzte Flick mal auf Kai Havertz als falsche Neun, dann auf Niclas Füllkrug als echte.
Flicks Ansehen hat gelitten
Letztlich war spätestens gegen ein starkes Kolumbien keine Idee mehr zu erkennen, wie Deutschland gefährlich vor das Tor des Gegners kommen wollte. Das Tempo, das Jamal Musiala unter dem Raunen und Juchzen der Zuschauer ab und an ins Spiel brachte, nahmen seine Kollegen mit erstaunlicher Zuverlässigkeit wieder heraus.
Deutschland hat im Sommer 2023 eine biedere Nationalmannschaft mit sehr guten, guten, aber eben auch vielen mittelmäßigen Fußballern im Vergleich mit dem gehobenen europäischen Segment. Das Ansehen des Bundestrainers hat stark gelitten, seine Qualität wird infrage gestellt. Die Erkenntnis von Gelsenkirchen, dass auch Rudi Völler mal seine Meinung ändert, sollte Hansi aber zu denken geben.