Gehirnerschütterungen im Fußball Gewerkschaft und Ligen fordern vorübergehende Wechsel
Die Regelhüter des Fußballs erlauben bei Gehirnerschütterungen derzeit zusätzliche dauerhafte Auswechslungen. Die internationale Spielergewerkschaft und einige Ligen fordern aber vorübergehende Wechsel - die nun kommen könnten.
Wie die britische Nachrichtenagentur PA Media berichtet, will der englische Verband kommende Woche in einem Treffen mit den drei anderen britischen Verbänden aus Schottland, Wales und Nordirland ein gemeinsames Konzept für ein Testverfahren abstimmen. Zuvor hatte FIFPRO, die internationale Gewerkschaft für Spielerinnen und Spieler, gemeinsam mit dem Weltverband der Ligen World Leagues Forum (WLF) bei den Regelhütern des International Football Association Boards (IFAB) eine Testphase für vorübergehende Wechsel gefordert.
Das IFAB, das am 18. Januar 2023 zu einer Sitzung zusammenkommt, berät und beschließt die generellen Fußballregeln für alle Spielklassen. Bei Abstimmungen über Regeländerungen hält die FIFA grundsätzlich vier der acht Stimmen, die vier britischen Verbände haben die vier anderen Stimmen. Da es hier aber um einen Test geht, entscheidet der Vorstand des IFAB - und dort haben die britischen Verbände vier Stimmen, die FIFA nur eine. Die FIFA und auch die UEFA vertraten nach Informationen der Sportschau bislang eine klare Position gegen vorübergehende Auswechslungen.
Forderung nach mehr Zeit für eine Untersuchung
Die Gewerkschaft FIFPRO und der Ligenverband WLF erklärten gemeinsam ihren Wunsch nach einem Test von vorübergehenden Wechseln in einem Brief an das IFAB, der der Sportschau vorliegt. Eine Einschätzung zu einer möglichen Kopfverletzung benötige mehr Zeit, als derzeit möglich ist, heißt es darin. Dauerhafte Wechsel würden den Druck auf alle Beteiligten erhöhen, so die beiden Organisationen. "Medizinische Experten sind sich einig, dass die Bewertung unter ruhigen Bedingungen durchgeführt werden sollte." Auch der DFB sprach sich 2021 für vorübergehende Wechsel aus.
Die Ideen von dauerhaften und vorübergehenden Auswechslungen eint das Ziel, die Gesundheit der Spielerinnen und Spieler zu schützen. Zusätzliche dauerhafte Wechsel sollen die Teams davon abhalten, Auswechslungen im Zweifel "sparen" zu wollen. Vorübergehende Wechsel sollen mit der Aussicht auf eine Rückkehr ins Spiel eine ausgeruhte Untersuchung ermöglichen, ohne dass ein Team in Unterzahl gerät.
IFAB sagte bisher: Nur dauerhafte Wechsel sind wirklich sicher
Bislang vertrat man im IFAB die Auffassung, dass nur dauerhafte Wechsel die Sicherheit der Spielerinnen und Spieler wirklich gewährleisten. Bei Gehirnerschütterungen treten einige Symptome erst nach bis zu 72 Stunden auf, eine Wiedereinwechslung sei deshalb zu riskant, so das IFAB. Gehirnerschütterungen sind bei einem zweiten Schlag gegen den Kopf möglicherweise lebensgefährlich. Deshalb ließ das IFAB zuletzt ausschließlich dauerhafte Wechsel in einem Testverfahren zu, das zwei Varianten hat:
- Variante A: Gibt es bei einem Team einen Verdacht auf eine Gehirnerschütterung, darf es über das Kontingent hinaus einmal zusätzlich auswechseln. Diese Variante galt beispielsweise bei der WM 2022 in Katar.
- Variante B: Ein Team kann bis zu zwei zusätzliche Wechsel vornehmen, wenn jeweils ein Verdacht auf eine Gehirnerschütterung vorliegt. Um sportliche Nachteile auszuschließen, erhält das gegnerische Team entsprechend mehr Möglichkeiten zum Wechseln.
Nach der Generalversammlung am 13. Juni 2022 in Doha teilte das IFAB mit, dass temporäre Wechsel zwar erneut in Betracht gezogen worden seien, "aber die Mitglieder waren sich einig, dass sich die Prozesse weiterhin darauf konzentrieren sollten, jeden Spieler mit tatsächlicher oder möglicher Gehirnerschütterung dauerhaft aus dem Spiel zu nehmen. Damit soll sichergestellt werden, dass dieser Spieler nicht weiter an dem betreffenden Spiel teilnimmt."
Auch angesichts des neuen Vorstoßes für vorübergehende Wechsel hat sich an dieser Position zunächst nichts geändert. "Wir sind skeptisch und glauben, dass man nicht das Testverfahren, sondern dessen Nutzung kritisieren sollte", sagt IFAB-Geschäftsführer Lukas Brud im Gespräch mit der Sportschau. "Aber wir werden uns dem nicht verschließen. Wir diskutieren das am 18. Januar und dann werden wir sehen, ob es dafür ausreichend Unterstützung gibt".
FIFPRO und WLF: Dauerhafte Wechsel funktionieren nicht
FIFPRO und das WLF haben eine andere Auffassung. Dauerhafte Wechsel würden Teams vor die sportliche Entscheidung stellen, entweder einen Spieler komplett aus dem Spiel zu nehmen oder bei einer angemessenen Untersuchung lange in Unterzahl zu spielen. Hinzu komme: "Die Beobachtung der aktuellen Tests zeigt verschiedene Fälle von Fehlentscheidungen." Ein Beispiel dafür war der iranische Torhüter Alireza Beiranvand beim WM-Spiel gegen England, der nach einem Schlag gegen den Kopf offensichtlich benommen war und zunächst weiterspielen sollte. Auch Robin Koch blieb im Februar 2022 bei Leeds United mit Kopfverletzung noch lange auf dem Platz.
"Wir erwarten nicht, dass alle mit uns übereinstimmen", sagt FIFPRO-Generalsekretär Jonas Baer-Hoffmann im Gespräch mit der Sportschau. "Wir bitten nur um einen Test und wollen, dass dieser Test nicht weiter blockiert wird." Es müssten die besten Rahmenbedingungen ermöglicht werden. "Es geht nicht um einen Bänderriss, sondern um etwas, was das Leben verändern kann."
England, Frankreich und USA zu Tests bereit
In dem Brief von FIFPRO und WLF an das IFAB heißt es weiter, dass die englische Premier League und die französische Ligue 1 ab der Saison 2023/24 wie auch die im Februar startende Major League Soccer aus den USA zu Tests für vorübergehende Wechsel bereit seien.
Bundesliga nicht an Tests beteiligt
Die Deutsche Fußball Liga (DFL) führte 2019 für alle Klubs verpflichtend das sogenannte Baseline-Screening ein, das den Umgang mit Kopfverletzungen verbessern soll. Trotzdem kommt es auch in der Bundesliga noch zu problematischen Situationen: In der Saison 2021/22 spielte Bielefelds damaliger Torwart Stefan Ortega mit einer Gehirnerschütterung weiter, wie auch am Saisonende Marcel Lotka.
Die DFL beteiligte sich allerdings nicht an dem Testverfahren zu den dauerhaften Wechseln. Ein Grund dafür war auch die Einführung von fünf Auswechslungen, die zeitweise etwas Druck aus dem Thema nahmen, weil bis Spielende meist genügend Möglichkeiten für Wechsel vorlagen.
"Die DFL befasst sich unter anderem in ihrer neuen medizinischen Arbeitsgruppe regelmäßig und intensiv mit dem Thema Kopfverletzungen", teilte der Ligaverband auf Anfrage der Sportschau mit. Man habe mehrere Maßnahmen zum Schutz der Spieler ergriffen. Im Juni gründete die DFL ein dauerhaftes medizinisches Expertengremium, das sich mit dem Thema beschäftigt. "Die Tests und Diskussionen in Bezug auf neue Wechsel-Möglichkeiten beobachten wir selbstverständlich."