FIFA WM 2022 Ein marokkanischer WM-Held made in Frankfurt
Er wuchs in Frankfurt auf und lässt nun Marokko bei der WM in Katar vom Achtelfinale träumen. Auf seinem Weg vom hessischen Bordstein zur Skyline von Doha machte sich Abdelhamid Sabiri aber nicht nur Freunde.
Der Frankfurter Stadtteil Frankfurter Berg klingt zwar nach schöner Aussicht und guter Luft. Genau das gibt es dort, im Nordwesten der Stadt, jedoch eher selten. Die Straßen sind gesäumt von Hochhäusern und den für Frankfurt typischen Trinkhallen und Kiosken. Dass "Spiegel TV" dem Viertel eine eigene Reportage mit dem Titel "Unterwegs mit Dealern und Crack-Köchen. Sozialer Brennpunkt Frankfurter Berg" widmete, spricht für sich.
Die Realität wurde von den Fernsehmachern zwar etwas zu düster dargestellt und von vielen Bewohnern und Bewohnerinnen kritisiert. Klar ist aber: Es gibt Orte, an denen man unbeschwerter aufwachsen kann. Der Frankfurter Berg härtet ab.
Sabiri führt Marokko zum Sieg gegen Belgien
Seit der Weltmeisterschaft in Katar steht zudem fest: Der Frankfurter Berg hat einen WM-Helden hervorgebracht. Sein Name: Abdelhamid Sabiri, Matchwinner und Torschütze bei Marokkos 2:0-Sieg gegen Belgien.
Sabiri spielte für deutsche U21
"Er ist einer vom Bersch", sagte Daniel Meisinger, Sabiris früherer Jugendtrainer, am Tag nach dem WM-Coup im schönsten hessischen Dialekt. Sabiri, der in Marokko geboren wurde, kam mit seiner Familie im Alter von drei Jahren nach Frankfurt, das Fußballspielen lernte er bei der TSG 1957 Frankfurter Berg. "Man hat schon früh gesehen, was er für ein großes Talent war", so Meisinger.
In Frankfurt einfach "Hamid"
Über die Jugendabteilungen von Rot-Weiss Frankfurt, dem FV Bad Vilbel, der TuS Koblenz und Darmstadt 98 schaffte es Hamid, wie er auf dem "Bersch" genannt wird, zum Profi. "Er hat mit seinen sehr guten Standards und seiner starken Schusstechnik schon damals für viel Torgefahr gesorgt", blickte Björn Kopper, der Leiter des Darmstädter Nachwuchsleistungszentrums, im Gespräch mit der Sportschau zurück.
Nach fünf Einsätzen für die deutsche U21-Nationalmannschaft entschied sich Sabiri in diesem Jahr dann für die Nationalelf seines Heimatlandes Marokko und wurde prompt für die WM nominiert. In seinem zweiten Joker-Einsatz erzielte er seinen ersten Treffer. Was für eine Entwicklung, was für eine Geschichte.
Abdelhamid Sabiri im Trikot der TSG Frankfurter Berg
Sabiri streikt sich in die Premier League
Ganz reibungslos lief Sabiris Aufstieg aus dem Schatten des Problem-Bezirks ins Scheinwerferlicht der Problem-WM aber nicht. Nachdem der offensive Mittelfeldspieler Darmstadt 98 in der Saison 2014/15 mit insgesamt 22 Saisontoren, davon zwei in der Aufstiegs-Relegation gegen Pirmasens, in die U19-Bundesliga geschossen hatte, folgten gleich mehrere unglückliche Stationen. Mal stimmte es sportlich nicht, mal eckte Sabiri an.
Vom 1. FC Nürnberg streikte sich Sabiri weg
Beim 1. FC Nürnberg beispielsweise, wo er im Januar 2017 seine Profi-Premiere in der 2. Liga feierte und in seinem zweiten Spiel direkt einen Doppelpack schnürte, verweigerte er nach gerade einmal neun Partien die Teilnahme am Training und erzwang mit diesem Streik seinen Wechsel zu Premier-League-Aufsteiger Huddersfield. Da aus dem erhofften Durchbruch in England jedoch eher eine Bruchlandung mit sieben Einsätzen in zwei Jahren wurde, versuchte Sabiri im Anschluss sein Glück in Paderborn.
Abstieg mit Paderborn - Baumgart rüffelt Sabiri
In Ostwestfalen spielte er in der Spielzeit 2019/20 dann zwar erstmals und regelmäßig in der Bundesliga, seinen damaligen Trainer Steffen Baumgart trieb Sabiri mit zahlreichen Ego-Trips dennoch auf die Palme: "Ich hatte nie das Gefühl, dass Abdelhamid unserer Mannschaft in irgendeiner Form geholfen hat", polterte Baumgart nach dem Abstieg: "Er arbeitet für keine Mannschaft, er arbeitet nur für sich." Rumms.
Marokko kann gegen Kanada das Achtelfinale klarmachen
Etwas mehr als zwei Jahre später dürfte Baumgart seinen Frieden mit seinem Ex-Spieler gemacht und Sabiri endlich sein sportliches Glück gefunden haben. Der eine trägt inzwischen Schiebermütze und trainiert den 1. FC Köln, der andere ist Stammspieler bei Sampdoria Genua in der Serie A und hat mit Marokko die große Chance auf den Einzug ins Achtelfinale.
Mit einem Sieg im letzten Gruppenspiel gegen die bereits ausgeschiedenen Kanadier (Donnerstag, 01.12.2022, Radio-Livereportage und Ticker bei sportschau.de) wäre die erste K.o.-Runden-Teilnahme seit 36 Jahren perfekt. Sollte Marokko Gruppensieger werden, könnte der nächste Gegner dann Deutschland heißen. Es wäre die passende Pointe.
So oder so: In Frankfurt, wo Sabiris Eltern noch heute leben, wird man in den kommenden Tagen trotz aller Vorbehalte zu Katar genau hinsehen. "Wir sind stolz, dass wir so einen wie Hamid mal bei uns in der Mannschaft hatten", fasste Sabiris Entdecker Meisinger zusammen: "Er hat seinen Weg gemacht." Vom Frankfurter Bordstein zur Skyline von Doha.