Starke Newcomerin Wird Lauren James Englands "X-Faktor" im Achtelfinale?
Erst vor gut neun Monaten trug Lauren James erstmals der Trikot der "Lionesses". Doch schon jetzt ist sie die große Angriffshoffnung der Engländerinnen. Vor dem Achtelfinale am Montag (07.08.2023, 9.30 Uhr MESZ, Livestream auf sportschau.de) gegen Nigeria wird die 21-Jährige mit Lob und Erwartungen überhäuft. Wird sie der neue Superstar im Frauen-Fußball?
Brasiliens Ikone Marta – ausgeschieden. Deutschlands Top-Spielerin Alexandra Popp – ausgeschieden. US-Superstar Megan Rapinoe – ausgeschieden und weit von der früheren Form entfernt. Andere Spielerinnen rücken bei der WM in Australien und Neuseeland in den Fokus: Lauren James beispielsweise. Die 21-Jährige könnte im Achtelfinale zwischen England und Nigeria am Montag erneut zur entscheidenden Kraft werden. Zum X-Faktor. Zur Matchwinnerin.
Wie bereits in der Gruppenphase, als sie mit ihrem Tor zum 1:0 das Spiel gegen Dänemark entschied. Oder wie gegen China, als sie beim 6:1-Sieg an fünf Toren beteiligt war. Zwei davon machte sie selbst, drei bereitete sie vor.
James schon besser als Shearer, Rooney und Beckham
Im Spiel gegen China schoss sich die Angreiferin in die Geschichtsbücher: Noch keinem englischen Fußballer und keiner Fußballerin waren zuvor fünf Scorer-Punkte in einem WM-Spiel gelungen. Nicht Alan Shearer, nicht Wayne Rooney, und auch nicht David Beckham, um einmal ein paar männliche Topstars zu nennen. Beeindruckt von James‘ WM-Auftritt war Beckham aber allemal: "Großartiges Tor" ließ der mittlerweile 48-Jährige in einer Instagram-Story nach dem Siegtor von James gegen Dänemark seine knapp 82 Millionen Follower wissen.
"Sie wird auf großer Bühne glänzen"
"Ist das wirklich echt?", wunderte sich James, als sie den Beckham-Post sah. Doch nicht nur der frühere Mittelfeldspieler, mit dem James zwar nicht die Position aber die populäre Rückennummer 7 gemeinsam hat, lobt die kraftvolle Angreiferin in höchsten Tönen. "Sie hat die Welt erleuchtet, das ist fantastisch zu sehen. Diese Spielerin wird eine große Karriere haben", weiß die 90-fache frühere Nationalspielerin Faye White. "Sie wird ihren Weg gehen und auf ganz großer Bühne glänzen", erklärte Emma Hayes, Klubtrainerin von James beim FC Chelsea, im britischen Radiosender "talkSPORT".
"Unser Cheat-Code in jedem Spiel"
Für Englands Europameisterin von 2022, die verletzte "Lionesses"-Kapitänin Leah Williamson, ist James bei der WM "unser Cheat-Code in jedem Spiel" – ein Werkzeug also, das üblicherweise in Computerspielen die eigenen Fähigkeiten auf ein neues Level bringt. Das britische Fußball-Fachmagazin "FourFourTwo" betont sogar: "Lauren James wird den Frauen-Fußball für immer verändern", denn: "Es sieht auf dem Platz aus, als würde sie mit einem Controller spielen, der mehr Knöpfe hat als die anderen." Und auch der angesehene "The Athletic" titelte: "Das ist Lauren James – die zukünftig beste Spielerin der Welt."
Was macht James so stark?
Hat James all die Lorbeeren verdient? Was macht die 14-fache englische Nationalspielerin so außergewöhnlich? Englands Nationaltrainerin Sarina Wiegman lobte nach dem China-Spiel: "Sie hat besondere Sachen gemacht. Sie flog regelrecht über den Platz." Bereits nach dem Dänemark-Spiel hob die Teamchefin hervor, James könne vor allem gegen dichte Abwehrreihen kreative Lösungen finden.
"Sie hat großartige technische Fähigkeiten", beschreibt Teamkollegin Rachel Daly. "Im Training glänzt sie ständig mit diesen wundervollen Toren." Die frühere England-Kapitänin White lobt die Coolness der WM-Debütantin: "Es ist großartig zu sehen, welche Übersicht sie hat und wie sie das Spiel beruhigen kann." Chelsea-Trainerin Hayes weiß: "Sie muss noch vieles lernen, und sie lernt sehr schnell. Sie ist eine Person, die auf dem Platz wirklich entspannt ist."
Statistik: Das Gesamtpaket stimmt
Was ihre statistischen Werte betrifft, ist James keine Überfliegerin. In der vergangenen Saison kam sie wettbewerbsübergreifend für den FC Chelsea in der Womens Super League, dem FA Cup und der Champions League in 33 Spielen zu acht Toren und sieben Assists. Insgesamt verbuchte James im Erwachsenenbereich bereits 106 Einsätze in Liga oder Nationalmannschaft, dabei traf sie 38 Mal.
Herausragend immerhin ihre Passwerte, im Vergleich zu anderen Stürmerinnen zählt sie laut Statistik-Website fbref.com zu den besten ein Prozent aller Spielerinnen weltweit. Stark auch ihre Abwehrwerte, mit denen sie gegnerische Angriffe frühzeitig unterbindet. Das Gesamtpaket aus Schnelligkeit, Passsicherheit, Übersicht und Ruhe macht also das große Talent der Offensivkraft aus.
Aus dem Frauen-Team geworfen - mit Jungs trainiert
Dieses große Talent wurde bereits früh erkannt - ganz ohne Komplikationen lief die Karriere aber nicht. James‘ Vater Nigel erzählte erst kürzlich, dass seine Tochter bereits als 14-Jährige im Frauen-Team von Arsenal London zum Einsatz kam. Als sie in einem Freundschaftsspiel dann sogar einen Elfmeter treten durfte, hätten die anderen Spielerinnen opponiert, berichtete Vater James im Fußball-Podcast "The Beautiful Game". "Sie war zu gut, um mit den anderen Mädchen zu trainieren".
Also wurde sie aus dem ersten Frauen-Team zurück in die Ausbildungsakademie geschickt. Und dort trainierte sie nicht mit gleichaltrigen Mädchen, sondern mit dem Jungs-Team. "Das ist vorher noch nie passiert. Einige der Eltern der Jungs haben das nicht gemocht", so Nigel James, der selbst eine UEFA-Lizenz als Trainer besitzt.
Als 16-Jährige kam sie schließlich zu ihrem ersten Einsatz in der Super League für Arsenal, ihren Durchbruch schaffte sie aber in der zweiten Liga für Manchester United, wo sie 2018/19 mit ihren 14 Toren in 18 Spielen entscheidenden Anteil am Erstliga-Aufstieg von United hatte.
Abseits des Platzes: Scheu und introvertiert
Abseits des Platzes wirkt Lauren James zurückhaltend, ihre Trainerinnen Hayes und Wiegman beschreiben sie als scheu und introvertiert. Das zeigt sich auch in einer rund halbstündigen Talk-Sendung des englischen Fußballverbandes nach dem 1:0-Sieg gegen Dänemark. James antwortet meist kurz. Die Mittel- und Außenstürmerin drängt sich nicht gern in die Öffentlichkeit. Aus eigenem Antrieb meldet sich die Schwester von Männer-Nationalspieler Reece James nur zu besonderen Anlässen zu Wort.
James macht rassistische Anfeindungen öffentlich
Wie im Februar 2021, als sie rassistische Anfeindungen auf Social-Media-Kanälen öffentlich machte und damit in eine Debatte um Diskriminierung im englischen Fußball eingriff. Hatespeech ist auch in England ein großes Thema, immer wieder erschüttern Skandale die Premier League, betroffen waren und zahlreiche weitere schwarze Profis oder Trainer in der Premier League wie James-Bruder Reece oder Marcus Rashford, Axel Tuanzebe, Bukayo Sako und Patrick Vieira. Verbände und Politik versprechen regelmäßig, härter gegen entsprechende Äußerungen vorzugehen.
Am Montag im WM-Achtelfinale im australischen Brisbane wird Rassismus hoffentlich kein Thema sein. Und James wird sich wohl so zu Wort melden, wie sie es am liebsten mag: Mit Toren und Assists auf dem Platz.
- FIFA-Ranking: England Platz 4 / Nigeria Platz 40
- Beste WM-Platzierung: England - Dritter Platz 2015 / Nigeria Achtelfinale 2019
- Fun Fact: Zuletzt spielten England und Nigeria vor 19 Jahren gegeneinander. Das Testspiel im April 2004 gewann Nigeria 3:0
- Fun Fact 2: England ist seit 20 Pflichtspielen ungeschlagen
- Fun Fact 3: Nigeria ist erstmals ungeschlagen durch die WM-Gruppenphase gekommen