Frankfurter Fanausschluss in Neapel Jurist sieht Verstoß gegen EU-Recht, Ceferin will Regeln ändern
Dass Fans aus Frankfurt keine Tickets für das Champions-League-Spiel am vergangenen Mittwochabend (15.03.2023) in Neapel kaufen durften, hält ein Fachjurist für einen Verstoß gegen EU-Recht. Kritik üben auch der UEFA-Boss und die deutsche Sportministerin, Fan-Vertreter fordern Neapels Ausschluss.
Sechs Charterflieger hatten die Frankfurter gecancelt: Vor dem vom beispiellosen Ticket-Streit überlagerten Champions-League-Achtelfinale ist in Neapel von Europacup-Atmosphäre nichts zu spüren. Ein Einzelfall oder ist das die Zukunft von Champions League, Europa League und Co.? Nicht nur Eintracht-Fans sorgen sich um europäische Fußball-Festtage.
Sportministerin Faeser hat "wenig Verständnis"
Die Präfektur Neapel hat den Verkauf von Tickets an Frankfurter verboten. Grund dafür seien Sicherheitsbedenken. "Bei Hochrisikospielen sollte jede mögliche Sicherheitsmaßnahme sehr genau geprüft werden, bevor man als allerletzte Option alle Fans einer Mannschaft ausschließt", sagte Sportministerin Nancy Faeser (SPD). "Denn eine so einschneidende Maßnahme trägt womöglich nicht zur Deeskalation bei. Daher habe ich wenig Verständnis für diese Entscheidung." Die Maßnahmen alarmieren auch den DFB-Präsidenten. Er finde es "problematisch, wenn solche Geschichten einreißen", sagte Bernd Neuendorf zuletzt.
Längst hat sich aus der Ticket-Posse eine facettenreiche Debatte entwickelt. Sie berührt unter anderem die Chancengleichheit im sportlichen Wettbewerb, den fragwürdigen Ausschluss von Menschen mit einer bestimmten Postleitzahl und führt auch zu der Frage: Wird das eigentliche Ziel, die Sicherheit zu erhöhen, durch die Maßnahmen überhaupt erreicht?
Polizeigewerkschafter befürchtet "Drittort-Auseinandersetzungen"
"Unter Sicherheitsaspekten, also vor allem mit Blick auf den polizeilichen Auftrag der Gefahrenabwehr, kann eine solche Maßnahme zielführend sein", sagte der Bundesvorsitzende der Gewerkschaft der Polizei (GdP), Jochen Kopelke.
Es sei jedoch auch nicht auszuschließen, "dass angesichts nicht seltener, oft höchst brutaler sogenannter Drittort-Auseinandersetzungen eine noch höhere Eskalationsstufe gezündet" würde. Solche Auseinandersetzungen abseits des Stadions werden auch in Neapel befürchtet.
"Faktisch ein Einreisehemmnis nach Italien"
Der renommierte Sportanwalt Thomas Summerer hält die Schritte der Behörden in Italien aber für rechtswidrig. "Das Ticketverbot für Fans, die in Frankfurt wohnen, ist ein Verstoß gegen europäisches Recht", sagte der 62-Jährige.
"Faktisch bedeutet es eine Einreisehemmnis nach Italien, da der Besuch des Spiels ja gerade der Grund der Reise ist. Verletzt ist die sogenannte passive Dienstleistungsfreiheit. Danach dürfen auch die Empfänger von Dienstleistungen, also die Zuschauer einer Sportveranstaltung, durch einen Mitgliedstaat grundsätzlich nicht an der Einreise gehindert werden", erklärte Summerer.
Neue Situation für Auswärts-Fans
Auch für die Fan-Vertretungen tritt eine völlig neue Situation ein. Wegen des Ticket-Verkaufsverbotes an Menschen aus der Stadt Frankfurt und des Eintracht-Verzichts auf das komplette Gästekontingent wird es dort keinen offiziellen Fantreffpunkt und auch keine Begleitung von Gäste-Anhängern durch die Stadt zum Stadion geben, wie es sonst bei Europapokalspielen üblich ist.
"Das gefährdet die ganze europäische Auswärtsfahrt-Kultur, wenn es so einfach möglich ist, Gästefans auszuschließen", sagte Dario Minden von der Frankfurter Fanabteilung, der sich auch in der Interessenvertretung "Unsere Kurve" engagiert. "Letztlich geht damit die ganze Magie des Europapokals vor die Hunde."
"Standort hat im europäischen Wettbewerb nichts verloren"
Minden forderte von der Europäischen Fußball-Union Konsequenzen für Neapel. "Es ist eine klare UEFA-Regel, dass fünf Prozent der Stadionkapazität sicher abgetrennt an den Gastverein gehen müssen. Ein Standort, der das nicht gewährleisten kann, der hat im europäischen Wettbewerb nichts verloren", sagte er. Die UEFA selbst teilte auf Anfrage lediglich mit, dass sie die Entscheidung der lokalen Behörden zur Kenntnis genommen habe, mit den beiden Klubs in Kontakt stehe und die Entwicklung der laufenden Gespräche verfolge.
"Die Gefahrenlage ist durch die vermeintlichen Sicherheitsmaßnahmen größer geworden", meinte Minden aus dem Vorstand der Eintracht-Fanabteilung auch deshalb. "Das Sicherste ist immer, die Leute in einem Gästeblock zu haben. Ob man das jetzt gut oder schlecht findet: realistischerweise wird Neapel trotz aller Bemühungen keine Frankfurt-freie Zone sein."
2007 flog Feyenoord aus dem UEFA-Cup
Ob das Beispiel Neapel auch für weitere internationale Spiele Schule macht, ist nicht abzusehen. Stadt-Betretungsverbote für als gewaltbereit bekannte Fans für bestimmte Spiele mit besonders hohem Gefahrenpotenzial gibt es bereits. 2007 hatten Hooligans von Feyenoord Rotterdam sogar einmal dafür gesorgt, dass ihr ganzer Verein aus dem Uefa-Cup eliminiert wurde. Zuvor war es beim Auswärtsspiel der berüchtigten und immer wieder auffälligen Gewalttäter zu schweren Verwüstungen rund um das Gruppenspiel bei AS Nancy gekommen.
Der damalige UEFA-Boss Michel Platini begrüßte den Feyenorrd-Ausschluss damals: "Ich bin darüber sehr glücklich. Dieses Urteil ist ein deutliches Zeichen, dass Gewalt von den Fans hart bestraft wird. Die jüngsten tragischen Vorfälle haben gezeigt, dass wir alle zusammenarbeiten müssen, um sämtliche Formen von Hooliganismus und Gewalt rund um unser Spiel auszulöschen." Gelungen ist das bis heute nicht.
Ausschlüsse in mehreren Ländern und Eklat in Istanbul
Fan-Ausschlüsse auf nationaler Ebene wegen angeblicher Sicherheitsbedenken gab es bereits in der italienischen Serie A, in den Niederlanden und in Frankreich. Auf internationaler Ebene sorgte 2015 ein Ausschluss der kroatischen Anhänger in der Qualifikation zur Europameisterschaft 2016 für Aufsehen. Nach mehreren Eklats mit nationalsozialistischen und rassistischen Ausfällen musste das kroatische Nationalteam zwei Spiele ohne Anhänger bestreiten.
Einen spontanen Fan-Ausschluss der sehr speziellen Art gab es 2019 beim Europa-League-Spiel von Borussia Mönchengladbach beim Erdogan-Klub Istanbul Basaksehir. Die türkische Polizei ließ Gladbacher Anhänger nicht ins Stadion, die auf Fahnen oder Bannern das Symbol ihrer eigegen Stadt trugen - weil der Schutzpatron St. Vitus ein Kreuz in der Hand hält. Dies wurde als christliches Symbol betrachtet, das im Stadion von Basaksehir nicht geduldet wurde.
UEFA-Präsident Ceferin will die "Regeln ändern"
Im Fan-Streit um Eintracht Frankfurt hat sich nun der aktuelle UEFA-Präsident Aleksander Ceferin ausdrücklich auf die Frankfurter Seite gestellt und angekündigt, das Vorgehen nach dem Beispiel der Präfektir Neapels nicht mehr dulden zu wollen. "Wir müssen sagen, wenn so etwas passiert, wird dort nicht gespielt. Ganz einfach: Wir werden die Regeln ändern", sagte Ceferin dem ZDF und betonte: "Wir müssen dringend etwas dagegen tun, denn die Entscheidung der Behörden ist absolut nicht korrekt."