Amateurtrainer Marschall coacht

Hohe Kosten, Bevorzugung von Ex-Profis Kritik an DFB-Trainerausbildung - "Wir wollen euch nicht!"

Stand: 06.04.2023 13:31 Uhr

Teuer, hoher Aufwand, Bevorzugung von Ex-Profis: Mit seiner neuen Struktur in der Trainerausbildung hat der DFB viel Kritik ausgelöst. Am 3. April beginnt das Bewerbungsverfahren für die nächsten Ausbildungskurse. Vor allem an der Basis des Fußballs aber rumort es.

Von Olaf Jansen, Olaf Jansen

Torsten Reisewitz hat eigentlich allen Grund zur Freude dieser Tage. Sein Team - Sechstligist SSV Homburg-Nümbrecht - liegt in der Landesliga Mittelrhein einigermaßen überraschend auf Rang zwei. Das könnte dazu führen, dass der kleine Dorfverein aus dem Oberbergischen in Nordrhein-Westfalen am Ende der Spielzeit in die Mittelrheinliga aufsteigt.

"Dieser Erfolg käme total unerwartet für uns. Ehrlich gesagt, wäre so etwas mit einem anderen Trainer wohl auch kaum möglich", sagt Marco Ripplinger, sportlicher Leiter beim SSV. Er findet: "Torsten Reisewitz ist ein außerordentliches Trainertalent. Er hätte mit seiner fachlichen Kompetenz, seinem Feuer für die Sache und seinem menschlichen Einfühlungsvermögen ganz klar das Zeug, auch höherklassig zu trainieren."

"Pläne nach der Reform unmöglich zu realisieren"

Reisewitz selbst findet das auch, würde das auch gern tun. "Mein Plan war eigentlich, jetzt zeitnah die A-Trainerlizenz des DFB zu machen, um mich anschließend eventuell bei einem höherklassigen Verein zu beweisen. Alternativ hätte ich mich auch als Coach in einem Nachwuchsleistungszentrum eines ambitionierten Vereins beworben."

Torsten Reisewitz

Torsten Reisewitz

Aus diesen Plänen wird nun nichts. Der 49-Jährige wird nicht am Bewerbungsverfahren für den nächsten Kurs teilnehmen, das am 3. April beginnt. Was mit dem neuen Pyramidensystem der DFB-Trainerausbildung zu tun hat. Es wurde ein Qualifikationssystem eingeführt, das darüber entscheidet, wer beim Rennen um einen der wenigen Ausbildungsplätze vorn liegt.

Das Punktesystem, das der DFB hier zugrunde legt, bevorzugt ehemalige Profifußballer und angehende Trainer, die in ihrem Beruf sportwissenschaftlich tätig sind. Reisewitz, der selbst einst bis zur 5. Liga gespielt hat und beruflich als Datenanalyst im IT-Bereich arbeitet, bringt entsprechend kaum Punkte mit - und fällt damit in der DFB-Rangordnung hinten über. "Meine Pläne sind nach der Reform der DFB-Trainerausbildung unmöglich zu realisieren. Mir fehlen die nötigen Punkte, um Zugang zu einem entsprechenden Ausbildungskurs zu erhalten", stellt er fest.

Erfahrungspunkte ersetzen Prüfungsergebnisse

Der DFB hat 2022 seine Trainerausbildung neu strukturiert und überarbeitet. Früher gab es die C-, B-, A-Lizenz und den Fußball-Lehrer, später wurde die B-Elite-Lizenz mit Schwerpunkt Juniorenausbildung zwischen B- und A-Lizenz hinzugefügt. Es gab Eignungstests und höher ambitionierte Trainer mussten die Prüfungen mit einem vorgegebenen Numerus clausus bestehen, um überhaupt bis zur angestrebten A-Lizenz zu kommen. Es war ein System, bei dem man mit entsprechenden Ergebnissen bei Prüfungen die Qualifikationsleiter für Trainer hinaufsteigen konnte.

Neue Struktur der DFB-Trainerausbildung
Lizenz Liga-Berechtigung Dauer Kosten
C-Lizenz Alle Mannschaften auf Kreis- und Bezirksebene 120 Lerneinheiten differiert; ab etwa 150 Euro
B-Lizenz Männer bis 5. Spielklasse
Frauen bis 3. Spielklasse
Junioren bis 2. Spielklasse
120 Lerneinheiten differiert, ab etwa 200 Euro
B+-Lizenz Junioren bis 2. Spielklasse
Trainer Eliteschule
160 Lerneinheiten 1.900 plus 2.000 Übernachtung/Verpflegung
A-Lizenz A-/B-Jugend Bundesliga
Männer bis Regionalliga
Frauen-Bundesliga
360 Lerneinheiten 6.000 plus 4.000 Übernachtung/Verpflegung
A+-Lizenz A-/B-Jugend Bundesliga
Männer bis Regionalliga
Frauen-Bundesliga
Verbands-Sportlehrer
540 Lerneinheiten 12.000 plus 8.500 Übernachtung/Verpflegung
Pro-Lizenz Männer bis Bundesliga
Frauen-Bundesliga
Junioren alle Klassen
DFB-Trainer
700 Lerneinheiten 19.000 plus Unterkunft/Verpflegung

Jetzt gibt es eine Entwicklungstreppe für Trainer. Diese beginnt mit dem Kindertrainer-Zertifikat und geht über den Junior- und Basis-Coach hin zur C-Lizenz. Diese werden vor Ort, in den einzelnen kleinen Fußballkreisen absolviert. Nach der C-Lizenz können sich die Trainer bei den Landesverbänden für die B-Lizenz anmelden. Bis hierhin ist auch für Kandidaten wie Torsten Reisewitz der Weg problemlos.

DFB schließt das System

Dann aber folgt der Schnitt. Die folgenden B+-, A- und A+-Lizenzen (Junioren-Bereich), die bis zur Pro-Lizenz führen könnten und deren Plätze ebenso knapp wie höchst begehrt sind, können nur noch an der DFB-Akademie erworben werden.

Die Plätze werden über das bereits erwähnte Punktesystem nach grob drei Kategorien vergeben: Trainererfahrungen, Spielererfahrungen und eine relevante Bildung werden bewertet. Je höher ein Bewerber als Spieler aktiv war und/oder als Trainer gearbeitet hat, wird pro Jahr mit entsprechend mehr Punkten ausgestattet.

Beispiele für die B+-Lizenz: Ein Cheftrainer in der Regionalliga oder von der U15- bis U19-Bundesliga bekommt pro Saison die höchstmöglichen 7,5 Punkte. Ein Oberligatrainer nur noch 1 Punkt, darunter gibt es 0,5 Punkte. Ein Erstligaspieler erhält 5 Punkte/Saison, ein Oberligaspieler 1 Punkt. Die relevante Bildung in diesem System bezieht sich auf Sport und Pädagogik. Wer beispielsweise ein Diplom in Sportwissenschaft hat, bekommt 15 Punkte, ein Erzieher oder Physiotherapeut 5 Punkte.

Maaßen wäre durchs Raster gerutscht

Interessant: Keineswegs alle aktuellen deutschen Profitrainer hätten über den neuen Weg die Chance auf ihre jetzige Position bekommen. Enrico Maaßen etwa, Trainer des FC Augsburg, sammelte als ehemaliger Viertligaspieler kaum Punkte und ging anschließend als Trainer den Weg über kleinere Vereine. Er hätte damit kaum ausreichend Punkte bekommen, um eine Zulassung zum A-Trainerlehrgang bekommen zu können.

Der gerade beim FC Bayern vor die Tür gesetzte Julian Nagelsmann, dem ebenfalls die "Spieler-Punkte" fehlen, hätte es eventuell nur durch seine frühe Tätigkeit in den Nachwuchsabteilungen des FC Augsburg und der TSG Hoffenheim geschafft.

Der DFB verteidigt gegenüber der Sportschau dennoch sein neues Punktesystem "Im bisherigen System der Pyramide gab es nur wenig Möglichkeiten der Individualisierung und Differenzierung zwischen Jugend- und Erwachsenenfußball. Ab sofort steht das Trainer*innen-Ich verstärkt im Mittelpunkt. Zielgruppenspezifischere Angebote sollen für höhere Qualität der Trainer*innen sorgen", teilte der Verband mit.

Die Trainer*innen sollen im Alters- und Leistungsbereich ihrer Mannschaft die passenden Kompetenzen erwerbe: "Nur im regelmäßigen Spiel- und Trainingsbetrieb können die Trainer*innen die Lehrinhalte authentisch anwenden und somit Kompetenzen aufbauen. Inhalte, Methoden und Formate der Ausbildung wurden konsequent nach diesen Zielen ausgerichtet".

Kosten explosionsartig gestiegen

Torsten Reisewitz - als ein Trainer, der bisher bis zur 5. Liga gearbeitet hat und Juniorenmannschaften nur bis zur Mittelrheinliga (eine Liga unter Jugend-Bundesliga) betreute - hat nur ein Mindestmaß an Punkten vorzuweisen. Für ihn ist es deshalb nahezu ausgeschlossen, zu einer der DFB-Ausbildungen zugelassen zu werden.

Hinzu kommen enorm gestiegene Kosten. War für eine A-Lizenz früher beispielsweise eine Gebühr von etwa 1.650 Euro fällig, belaufen sich die Kosten für die gleiche Qualifikation seit der Reform auf etwa 10.000 Euro (6.000 Euro Grundgebühr, 4.000 Euro Unterkunft/Verpflegung).

"Es gibt eine Steigerung in der Ausbildungsqualität, indem individueller auf die einzelnen Trainer*innen eingegangen wird und über einen längeren Zeitraum Einfluss auf ihre Entwicklung genommen werden kann. Das bedeutet eine intensivere Betreuung durch mehr Ausbilder*innen auf weniger Trainer*innen, woraus sich der höhere Preis errechnet", so der DFB.

"Trainertalente gehen verloren"

Harald Lange, Sportwissenschaftler an der Universität, übt scharfe Kritik an der neuen Struktur der Trainerausbildung. "Es gehen mit diesem neuen System genau jene Trainertalente verloren, die sich sozusagen an der Basis bewiesen haben, extrem engagiert sind und mit viel Leidenschaft den Weg nach oben suchen", sagt er. Der DFB verzichte "aus ideologischen Gründen" auf die Expertise von Menschen, die nicht aus dem Profigeschäft stammen und keine sportwissenschaftliche Ausbildung genossen hätten.

Lange beschäftigt sich seit vielen Jahren mit den Themen Trainerausbildung und Trends im Spitzensport. Er glaubt, dass sich der DFB einiges bei anderen Sportarten, etwa dem Fitnessbereich, abschauen könnte, um die Qualität seiner Ausbildung zu verbessern: "Dort gibt es seit vielen Jahren zahlreiche Ausbildungswege für Trainer - viele entstehen an Universitäten, es gibt aber auch viele private Dienstleister. Alle gemeinsam haben auch aufgrund der Konkurrenz untereinander das Bestreben, auf höchstem Niveau zu arbeiten und sehr schnell auf aktuelle Trends und Entwicklungen zu reagieren und ihre Ausbildungen entsprechend anzupassen."

Kritik am DFB-"Monopol"

Gerade im Fußball, findet Lange, habe man in den vergangenen Jahren auch in Deutschland feststellen müssen, dass andere Länder in der Ausbildung ihrer Spieler vorbeigezogen sind. Das liege auch daran, dass der DFB den gesamten Prozess kontrolliere.

Sportwissenschaftler Harald Lange

"Monopole sind lukrativ" - Harald Lange

"Der DFB legt autonom fest, welche Trainerlizenzen für welche Trainerämter verpflichtend sind. Gleichzeitig ist die DFB-Akademie der einzige Anbieter solcher Ausbildungen. Im Kartellrecht spricht man bei solchen Beispielen von einem Monopol", sagt Lange. "Wir sollten fragen, weshalb der DFB das Monopol in der Trainerausbildung für den Fußball hat. Weshalb gibt es keine Alternativen? Weshalb dürfen die Vereine nicht selbst entscheiden, wer ihr Trainer sein soll, was ihn oder sie auszeichnet und qualifiziert?"

Der DFB antwortet auf Anfrage, ob dieses Monopol in Zukunft aufgeweicht werden könne, etwas schwammig: "Der DFB hatte bereits vor der Ausbildungsreform Vereinbarungen zur Anerkennung mit Universitäten und der Bundeswehr. Diese werden auf Basis der veränderten Qualitätsstandards der Ausbildungsreform überarbeitet."

Ohne Monopol größere Chancen auf Innovationen

Sportwissenschaftler Lange aber ist sich sicher: "Die Abschaffung des DFB-Monopols in diesem Bereich wäre ein großer Schritt. Die Palette der Qualifikationen wäre variantenreicher, es würden sich regelmäßig neue Innovationen etablieren können und das Angebot an Trainerausbildungen würde größer und wahrscheinlich auch kostengünstiger werden."

Bis dahin bleiben Trainer wie Torsten Reisewitz außen vor. Aus seiner Sicht ein fatales Signal des DFB: "Ex-Profis werden enorm bevorzugt. Ich habe das zunehmende Gefühl, der DFB errichtet eine Art Wagenburg um sich und seine Freunde. Es ist das Signal an die Leute von der Basis: Wir wollen euch nicht. Wir wollen hier als alteingesessene Profi-Szene unter uns bleiben."