Skispringen - Bilanz Kaum Licht, viel Schatten und jede Menge Stellschrauben
Die Saison der DSV-Skispringer war über weite Strecken eine einzige Krise - zumindest bei den Männern. Nur wenige Momente konnten den Frust zumindest kurz vergessen machen.
Dass Freud und Leid im Sport häufig eng beisammen liegen, bewahrheitete sich in diesem Winter im Lager der deutschen Skispringer. Während die Frauen, beflügelt von einer überragenden Katharina Althaus, mit einem breiten Grinsen durch die Saison gingen, sah man bei den Männern meist zussamengekniffene Lippen.
DSV-Männer: Schlechteste Bilanz seit elf Jahren
Es war die schlechteste Weltcupsaison der vergangenen elf Jahre. Nur zwei Siege und acht Podestplätze lautete am Ende die Bilanz. Weniger Siege hatte das deutsche Team zuletzt 2011/12 (1) geholt, weniger Podestplätze sogar 2010/11 (6). Rang fünf in der Nationenwertung bedeutet zudem die schlechteste Platzierung seit 15 Jahren.
Stars in der Krise: Geiger und Eisenbichler im Tief
Das lag vor allen daran, dass die beiden Leistungsträger nicht an die starken leistungen der vergangenen Jahre anknüpfen konnten und sich fast zeitgleich in ein Loch verabschiedeten. Tiefe und Länge dieses Lochs variierten zwar, doch weder Karl Geiger noch Markus Eisenbichler fanden in diesem Winter dort wieder heraus und schafften es nicht, ihre Stammplätze in den Top Ten des Gesamtweltcups wieder einzuspringen.
"Es ist so, wie es ist", sagte Geiger im Sportschau-Interview nach dem Saisonfinale in Planica: "Die Konstanz und das Grundlevel haben nicht gepasst." Dennoch wollte er nicht, dass die Saison "schlechtgemacht" wird: "Es war eine ordentliche Saison, es war nicht so, wie ich es mir vorgestellt habe, aber es waren einige gute Momente dabei", sagte der 30-Jährige, der den Weltcup als Elfter der Gesamtwertung beendete.
Tiefpunkt Vierschanzentournee
Geiger dachte bei seiner Aussage sicher an die vier Podestplätze im Weltcup (viermal Dritter) und an die Bronzemedaille im Einzel bei der Nordischen Ski-WM. An die Vierschanzentournee dachte er sicher nicht. Die war der Tiefpunkt des Winters. "Gefühlt ist es von Schanze zu Schanze schlechter geworden", resümierte damals Andreas Wellinger, als Elfter bester Deutscher der abschließenden Tourneewertung, das DSV-Debakel.
Kein Deutscher unter den besten zehn der Gesamtwertung der Vierschanzentournee, so etwas hat es zuletzt vor zwölf Jahren gegeben. Besonders Geiger enttäuschte mit Platz 23 und einem Ausscheiden in der Qualifikation von Innsbruck. Der einzige Lichtblick hieß Philipp Raimund. Der 22-Jährige landete überraschend in jedem der Springen unter den besten 15. Und auch anschließend im Weltcup zeigte er, dass er eine Zukunft im DSV-Team hat.
Wellinger und das Comeback des Jahres
Die schönste Geschichte in diesem Winter jedoch war das überraschende Comeback von Andreas Wellinger. Nach vielen Verletzung hatte der Olympiasieger von 2018 seinen Anschluss an die Weltspitze verloren. 1.539 Tage hatte er nicht mehr auf einem Podest gestanden - dann kam der Weltcup in Lake Placid und Wellinger segelte ganz nach vorne.
"Es ist unglaublich, was heute passiert ist", sagte Wellinger damals: "Ich kann es noch gar nicht in Worte fassen, weil ich überglücklich bin. Ich habe brutal gekämpft die letzten Wochen, Monate und Jahre. Ich hab schon länger gewusst, dass ich gut drauf bin. Dass ich heute gewonnen habe, ist einfach so geilo."
Goldregen bei Katharina Althaus
Und es wurde noch besser: Bei der Nordischen Ski-WM in Planica holte Wellinger Silber im Einzel und Gold im Mixed-Team-Wettbewerb. Gemeinsam mit Karl Geiger, Selina Freitag und einer überragenden Katharina Althaus.
Die 26 Jahre alte Oberstdorferin hatte die vieleicht beste Saison ihrer hervorragenden Karriere. Die Nordische Ski-WM war dabei sicherlich der Höhepunkt. Drei Goldmedaillen hingen am Ende der Weltmeisterschaft um ihren Hals (Normalschanze, Mixed, Team), dazu gesellte sich eine bronzene (Großschanze).
Historische Skiflug-Premiere
Doch auch im Weltcup-Alltag lief es hervorragend: sieben Einzelsiege, so viele wie noch nie zuvor, Platz zwei im Gesamtweltcup und bei der Raw-Air-Tour. Dort feierte sie gemeinsam mit ihren Kolleginnen den krönenden Abschluss eines jahrelangen Kampfes: Zum ersten Mal fand ein offizieller Frauen-Skiflug-Wettbewerb statt.
"Wir haben gezeigt, dass Mädels fliegen können und dass die Kritiker im Unrecht waren", sagte Selina Freitag, die neben Althaus und Anna Rupprecht eine von drei der historischen DSV-Skifliegerinnen war. Auch Freitag hatte eine starke Saison. Dreimal landete sie im Weltcup auf dem Podest, wo sie zuvor noch nie gestanden hatte. Auch wegen ihr holte sich Deutschland den zweiten Platz in der Nationenwertung - nur knapp hinter Österreich.
Horngacher in der Kritik
Das gute Abschneiden der Frauen ließ allerdings nicht die schlechte Saison der Männer in Vergessenheit geraten. Schon während der Saison gab es immer wieder Spekulationen, dass dies die letzte Saison von Männer-Bundestrainer Stefan Horngacher sein könnte. Auch weil in einem langen Winter mit wenigen Höhepunkten die Rückendeckung von der DSV-Spitze bald wie eine Durchhalteparole wirkte und schließlich erste Risse bekam.
Das gute Abschneiden bei der Nordischen Ski-WM lieferte für Horngacher dann allerdings genug Argumente, um die ohnehin wohlgesinnte Chefriege auf seiner Seite zu behalten. Dennoch wird es in der kommenden Saison drastische Änderungen geben, kündigte Horngacher an: "Wir werden an verschiedenen Schrauben drehen und versuchen, wieder in die richtige Spur zu finden."
Horngacher: "Sind froh, wenn die Saison zu Ende ist"
Horngacher definierte die Schrauben: mehr Durchlässigkeit für junge Talente wie Raimund, Überprüfen des Materials und: "Trainingsprozesse ändern. Wir machen jetzt drei Jahre das Gleiche." Auch deshalb sagte der Österreicher: "Es gibt immer Dinge, die man sich auf die Kappe schreiben kann."
So wird er hoffen, dass dort nächste Saison genug Platz ist, um auch wieder einige Erfolge zu vermerken. Es wird ein schwerer Prozess, der dem deutschen Skisprung bevorsteht. Doch nun geht es erstmal darum, die alte Saison und vor allen Dingen die Tiefpunkte zu verarbeiten. Und wahrscheinlich spricht der Bundestrainer nicht nur seinen Athleten aus der Seele, wenn er sagt: "Wir sind alle froh, wenn die Saison jetzt zu Ende ist."