Langlauf Victoria Carl – Mittendrin statt nur dabei
Mit ihrem ersten Weltcupsieg ist Langläuferin Victoria Carl pünktlich vor der Tour de Ski in den erweiterten Favoritenkreis gelaufen. Die Leistungsexplosion hatte sich angedeutet.
Eigentlich wurde ihr der erste Weltcuperfolg bereits in die Wiege gelegt. Das Prädikat Siegerin trägt Victoria Carl schließlich in ihrem Vornamen. Und doch sorgte die Thüringerin am vergangenen Wochenende in Trondheim für eine faustdicke Überraschung, als sie die komplette Weltspitze im Klassik-Rennen über 10 Kilometer recht deutlich hinter sich ließ und für staunende Gesichter sorgte.
Carl: "Mittlerweile kann ich es realisieren"
Das Staunen ist auch bei der Siegerin selbst ein paar Tage später noch nicht verschwunden. "Mittlerweile kann ich es realisieren, auch wenn ich immer noch nicht alle Nachrichten und Glückwunsche beantworten konnte", erzählt Victoria Carl im Gespräch mit der Sportschau.
Während des Rennens habe sie noch nicht geahnt, welch famose Leistung ihr da glücken würde. Die Trainer hatten ihr zunächst bewusst keine Zwischenzeiten durchgefunkt, damit sie sich einzig und allein auf ihr Rennen konzentrieren kann. Erst bei der letzten Zwischenzeit sickerte die Erkenntnis durch, dass hier und heute etwas Großes passieren kann. Nachdem schließlich auch die US-Amerikanerin Rosie Brennan Carls Traumlauf vom Start bis ins Ziel nicht toppen konnte, war der Coup perfekt.
Aufstieg in die Weltspitze kein Zufall
Für Carl ist es der zweite Meilenstein ihrer Karriere. 2022 hatte sie gemeinsam mit Katharina Hennig im Teamsprint sensationell olympisches Gold in Peking gewonnen. Nun also ihr erster Weltcupsieg in einem Einzelrennen, mit dem sie nicht nur persönlich für einen historischen Moment sorgte, sondern gleichzeitig eine fast 20 Jahre andauernde Durststrecke beendete: Zuletzt hatte Claudia Nystad im Januar 2004 in Otepää einen deutschen Einzelsieg außerhalb von Etappenrennen geholt.
Und ja, der Erfolg in Trondheim kam überraschend. Auf der anderen Seite hatte er sich bereits leise angedeutet. Denn Carl hat sich in diesem Winter in der Weltspitze etabliert. Eine Woche zuvor hatte sie in Östersund ihren ersten Podestplatz gefeiert. Dass dieser Erfolg alles andere als eine Eintagsfliege ist, bewies sich nun in Trondheim mit den Rängen sechs, fünf und eins.
Mit verändertem "Mindset" zum Erfolg
Ihr erfolgreicher Start in die neue Saison hängt nicht zuletzt mit der guten Vorbereitung im Sommer zusammen. "Ich bin verletzungsfrei geblieben und konnte mein Training fokussiert angehen", erklärt Carl. Zudem hat sich ihre mentale Herangehensweise geändert. "In den Wettkämpfen bin ich viel ruhiger geworden und kann dementsprechend auch meine Konzentration auf andere Dinge richten."
Carl weiß nach mittlerweile elf Jahren im Weltcup, wo ihre Stärken und Schwächen liegen. Dass sie nach wie vor keine Über-Läuferin ist, das ist ihr bewusst. Dafür weiß sie, wie sie sich ihr Rennen am besten einteilen sollte, was auch in Trondheim letztlich der Schlüssel zum Erfolg war: "Ich kann zwar nicht die Bestzeiten an den Anstiegen setzen, aber in den flachen, vermeintlich leichteren Passagen kann ich meine Zeit gutmachen. Mein Mindset ist viel klarer geworden, da rutscht es auch einfach besser."
Tour de Ski - "Etappensieg wäre gefühlt drin"
Spätestens Carls Premierensieg zeigt auf, dass das deutsche Langlaufen nach Jahren der Ernüchterung wieder auf dem Weg nach oben ist. Teamkollegin Hennig hatte bereits in der vergangenen Saison mit konstant starken Leistungen überzeugt und zudem ihren ersten Weltcupsieg bei der Tour de Ski geholt. Soweit will Carl aber noch nicht denken.
Zunächst überwiegt die Vorfreude auf das Saisonhighlight, das am 30. Dezember mit den Sprints in Toblach startet. "Eine Strecke, auf der ich mich sehr wohl fühle", blickt Carl voraus. "Was am Ende dabei rauskommt, muss man sehen. Ein Etappensieg wäre gefühlt drin, aber da werden viele etwas dagegen haben." In erster Linie wohl die US-Amerikanerin Jessie Diggins, die laut Carl "immer am Maximimum läuft".
Bis dahin gilt der volle Fokus sowieso erst einmal der Erholung. Die Akkus müssen nach einem kräftezehrenden ersten Saisondrittel aufgeladen werden. Trainiert werde zwar auch an den Feiertagen, allerdings in abgespeckter Form. Unterm Weihnachtsbaum sollte dann auch genügend Zeit bleiben, um den jüngsten Erfolg in Gänze zu realisieren.
Denn auf dem Boden der Tatsachen bleibt Victoria Carl sowieso. "Für mich ist klar, dass ein Podestplatz oder gar ein Weltcupsieg verdammt schwer zu wiederholen ist. Mein Fokus sind weiter die Top-Ten-Platzierungen. Und ich will weiter ein gutes Gefühl für meine Laufleistung haben."