Biathlon-WM Das Comeback der Anastasia Kuzmina
Sie war eine der erfolgreichsten Biathletinnen. Vor allem auf der olympischen Bühne hat Anastasia Kuzmina immer wieder überzeugt. Jetzt ist die 39-Jährige zurück, nach vier Jahren.
Es ist diese Zeit im Jahr, im Februar, wenn die Weltmeisterschaften anstehen. Dann sind sie auf einmal wieder da, die ehemaligen Stars der Szene, die Olympiasieger, die Medaillensammler, die großen Namen des Biathlon-Zirkus - zumeist mit neuen Aufgaben.
Während der "Kannibale" Ole Einar Björndalen für das norwegische Fernsehen am Schießstand durch sein Fernglas schaut, schreibt die erfolgreichste finnische Biathletin und Gesamt-Weltcup-Siegerin vergangener Tage, Kaisa Mäkkärainen, Autogramme. Noch gut in Form ist Norwegens Tiril Eckhoff im Trikot in der Loipe unterwegs, genauso wie die Sportschau-Experten Arnd Peiffer und Erik Lesser beim Streckencheck.
Zurück auf der internationalen Bühne - mit 39 Jahren
Doch eine aus diesem besonderen Kreis trägt ein Leibchen mit Startnummer. Sie ist keine Ehemalige mehr, denn Anastasia Kuzmina ist zurück auf der internationalen Bühne - mit 39 Jahren. Die dreimalige Olympiasiegerin greift noch einmal an, nach vier Jahren Abstinenz: "Ich habe Biathlon sehr vermisst und möchte den jungen slowakischen Athletinnen helfen, als Sparringspartner, aber auch mental. Es gibt viele neue Namen, daran muss ich mich gewöhnen", beschreibt sie.
Ihr äußeres Bild hat sich kaum verändert, so wie sie im slowakischen Nationalanzug vor der Kamera steht - schlank, groß gewachsen, athletisch. Kuzmina lächelt, sympathisch war die Biathletin schon immer. Sie wirkt zufrieden und gelassen. Mit ihren Ehemann Daniel Kuzmin hat sie ein eigenes Team aufgebaut, will den Nachwuchs in ihrer Heimat fördern. Zum "Team Kuzmina Project" gehören acht Athletinnen, sieben aus dem Nachwuchs und die Altmeisterin.
Ein kompliziertes Verhältnis zum russischen Bruder
Anastasia Kuzmina hat den Biathlon-Sport geprägt, gewann neun Medaillen bei Weltmeisterschaften und Olympischen Spielen und stand dabei vier Mal ganz oben auf dem Podest. Ihre Wurzeln hat sie in Russland, wurde 1984 in Tjumen, einer Biathlon-Hochburg, geboren. Drei Jahre später kam ihr Bruder zur Welt: Anton Shipulin. Shipulin? Ein Name, der in Biathlon-Kreisen kein unbekannter ist. Auch er war ein erfolgreicher Biathlet, Olympiasieger und Weltmeister.
Doch seit dem Krieg in der Ukraine sind russische und belarusische Athleten vom Weltcup ausgeschlossen, veranstalten eine eigene Rennserie. Der Kontakt zwischen den Geschwistern hat stark abgenommen. Shipulin ist ein bekennender Putin-Anhänger. Anastasia Kuzmina kann sich weniger mit der politischen Lage in ihrer ehemaligen Heimat identifizieren, es ist eine schwierige Situation, auch innerhalb der Familie.
"Warum sollte ich das machen?"
Als sie die internationale Bühne nach 13 Jahren im Weltcup verließ, war sie in Topform, gewann im März 2019 in Oslo den Sprint und die Verfolgung, danach war Schluss. Der Weg zurück ins Wettkampfgeschehen war dagegen kein leichter, erklärt sie gut acht Monate später: "Mein Körper fühlte sich anders an als früher, da habe ich drei bis vier Mal am Tag trainiert, zum Zeitpunkt des Comebacks waren es nur fünf Einheiten pro Woche. Ich musste mich erst wieder an hohe Belastungen gewöhnen, auch mental."
Der Comeback-Gedanke entstand im vergangenen Sommer, als sie aus Spaß mit jungen Athleten in Osrblie trainierte und von ein paar Trainern und Offiziellen der Nationalmannschaft angesprochen wurde: "Erst habe ich gedacht, das ist eine verrückte Idee, warum sollte ich das machen? Aber ein paar Tage später und nach Gesprächen mit meinem Mann habe ich gesagt, warum eigentlich nicht."
Startverbot bei der Sommer-WM
Der Startschuss sollte bei der Sommer-WM in Osrblie fallen, also in ihrer Heimat, doch Kuzmina durfte nicht antreten. Topathleten müssen nach einer Pause mindestens sechs Monate vor ihrem ersten Start bei internationalen Wettkämpfen für Dopingkontrollen bei der WADA (World Anti Doping Agency) gemeldet sein.
Mit ihrem Team bereite sich die dreimalige Olympiasiegerin auf den Winter vor, im Herbst immer auf der Suche nach Schnee. Und sie wurde fündig in der Schweiz, bei einer alten Freundin - gemeinsames Training mit Selina Gasparin. "Nach meinem Karriere-Ende habe ich erst verstanden, wer meine Freunde aus der Biathlon-Familie sind. Wenn du erst einmal weg bist, reißen auch die Kontakte ab. Selina hat uns sofort aufgenommen und uns ihr Haus vermietet", erinnert sich Kuzmina.
"Ich entschuldige mich, ..."
Sechs Monate später waren wieder Meisterschaften in Osrblie, diesmal europäische und im Winter auf Schnee. Es sollte ihr erster Auftritt werden - Platz 59 im Sprint, weit entfernt von den einstigen Top-Ergebnissen. "Mein Ziel ist es nicht mehr um Goldmedaillen zu laufen, das habe ich realisiert. Ich sehe mich viel mehr als Team-Supporterin und gehe kleinere Schritte. Ich freue mich, dass auch die Fans hinter mir stehen und entschuldige mich, dass sie nicht die Anastasia von früher sehen."
Dennoch wurde sie für die Weltmeisterschaften nominiert. Der Verband braucht Anastasia Kuzmina, vor allem für die Staffel, denn ohne sie wären nur drei Slowakinnen am Start. Das Interesse in Nove Mesto ist hoch an der Rückkehrerin, bei Journalisten und Fans: "Die Atmosphäre ist einzigartig, das weiß jeder Athlet", sagt Kuzmina und hält inne, denn die Fantröten von der Tribüne sind so laut, dass es schwierig ist, das eigene Wort zu verstehen, "du fühlst die Kraft der Zuschauer überall auf der Strecke, die pushen dich".
"Meine Beine wollten einfach nicht mehr"
Und doch sollte all die Zuschauer-Magie bei ihrem ersten Einzelstart am Ende nicht reichen, auch wenn es denkbar knapp war: "Es ist unglaublich, wieder hier zu sein und trotzdem bin ich enttäuscht von meinem Sprintergebnis. Eigentlich habe ich mich in den letzten Wochen immer stärker gefühlt, aber die Schlussrunde war einfach furchtbar, da ging nichts mehr, meine Beinen wollten nicht mehr."
Die einstige Medaillengarantin verpasste den Verfolger um einen Platz, als 61., oder umgerechnet um gerade einmal 0,6 Sekunden. Da stellt sich schnell die Frage, warum sich das ein Superstar dieses Sports noch einmal antut? Doch für die Antwort muss die 39-Jährige nicht lang überlegen.
Ein halbes Auge schaut Richtung Olympia 2026
Trotz der Enttäuschung ist ein Brennen in ihren Augen zu erkennen und mit einem Lächeln, als habe sie einen ganz klaren und durchstrukturierten Plan im Kopf, sagt sie: "Wenn die jungen Athletinnen stark genug werden ohne mich, dann kann ich beruhigt wieder gehen. Bis dahin kämpfe ich, vor allem für unsere slowakische Staffel, vielleicht sogar bis zu den Olympischen Winterspielen 2026."
Es wäre vielleicht die Krone einer besondere Athleten-Geschichte, die neben vielen Medaillen auch Größe zeigt und ein Herz für den slowakischen Biathlon-Sport. Etwas ist jetzt schon gewiss, mindestens zweimal wird Anastasia Kuzmina bei diesen Welttitelkämpfen noch starten: im Einzelrennen und mit der Frauen-Staffel, für die sie extra zurück ins Nationalteam kehrte.