Wimbledon Carlos Alcaraz und der Beginn einer neuen Ära
Carlos Alcaraz gewinnt zum zweiten Mal in Folge in Wimbledon. Damit läutet er wohl endgültig eine neue Ära im Herren-Tennis ein.
Es gab diesen einen Moment, in dem man dachte, Novak Djokovic könne das Finale des Wimbledon-Turniers 2024 doch noch drehen. Das Match befand sich bereits im dritten Satz, die ersten beiden hatte Carlos Alcaraz, 16 Jahre jünger als Djokovic, mit müheloser Leichtigkeit gewonnen.
Auch im dritten Durchgang hatte Alcaraz das Break geholt, er führte mit 5:4 und musste nur noch ein einziges Mal seinen Aufschlag durchbringen.
Der Aufschlag war weg
Nichts leichter als das, könnte man aufgrund des bisherigen Matchverlaufs meinen - und in der Tat, schnell führte Alcaraz mit 40:0. Drei Matchbälle. Die Zuschauerinnen und Zuschauer zückten schon vorsorglich ihre Smartphones, um den Augenblick des Sieges festzuhalten. Doch Alcaraz wackelte.
Der Aufschlag, er war urplötzlich weg. Doppelfehler, ein guter Return von Djokovic. Leichtes Raunen im Publikum. Auch der dritte Matchball ging, wie er kam. Es wurde lauter. Djokovic glich zum 5:5 aus und der Centre Court erbebte vor erleichterter Freude.
Alcaraz zeigt viele Varianten
Vielleicht würde dieses Match doch noch verlängert werden? Dieses Match, das bis hierher eher einer Vorführung als einem Kampf auf Augenhöhe gleichgekommen war. Doch wer mit einem wahren Wechsel des Momentums gerechnet hatte, der guckte sich nur wenige Minuten später um. Denn da dominierte Carlos Alcaraz den Tiebreak auf so souveräne Art und Weise wie schon den Rest des Matches zuvor.
Dabei zeigte der 21-Jährige nochmal alles, was ihn schon jetzt heraushebt aus der Fülle von Mitbewerbern um die Nachfolge der großen drei, also Roger Federer, Rafael Nadal und Djokovic: Explosivität in den Grundschlägen, eine Leichtfüßigkeit, wie man sie seit den besten Tagen von Federer nicht mehr gesehen hat. Dazu Kreativität, die im modernen Herren-Tennis ihresgleichen sucht - mit Stopps, Netzangriffen, zauberhaften Winkeln.
Carlos Alcaraz in Aktion
Neue Rekorde
So war der Sonntag (14.07.2024) nicht nur ein Sieg für Alcaraz, es war die wohl endgültige Sicherheit, dass das Tennis in neue Hände übergeben wird. In die von Carlos Alcaraz und Jannik Sinner, der hier im Viertelfinale ausschied, aber Anfang des Jahres die Australian Open gewann.
Alcaraz selbst, der einen für seine Verhältnisse durchschnittlichen Start in die Saison hingelegt hatte, bricht mittlerweile wieder Rekorde nach Belieben. Mit den French Open gewann er als jüngster Spieler der Geschichte Grand Slams auf allen drei Belägen Sand, Hartplatz und Rasen.
Nun, nach dem Triumph in Wimbledon, gehört er mit Björn Borg, Boris Becker und Mats Wilander zu einem exklusiven Klub von Spielern, die mit 21 Jahren alle schon vier Grand-Slam-Titel gewinnen konnten. Selbst Rafael Nadal war 22, als er zum vierten Mal die French Open gewann.
Mit den großen Jungs am Tisch
Mit dem Sieg in diesem Jahr an der Church Road ist Alcaraz zudem erst der sechste Herrenspieler, der es geschafft hat, die French Open und Wimbledon im selben Jahr zu gewinnen. Nur Rod Laver, Björn Borg, Rafael Nadal, Roger Federer und Novak Djokovic war dies vor ihm gelungen.
Alcaraz ist sich all dieser Rekordwerte bewusst, und auch er weiß, dass nun wohl eine neue Zeitrechnung im Herrentennis begonnen hat. Angesprochen darauf, welche Ziele er sich setzt, gab sich Alcaraz in der Pressekonferenz selbstbewusst: "Am Ende meiner Karriere möchte ich mit den großen Jungs an einem Tisch sitzen! Dass ich jetzt vier Grand Slams gewonnen habe mit 21 Jahren ist schön, aber wenn das nur vier bleiben, reicht es auch nicht. Aber ich werde für diese Erfolge weiterhin hart arbeiten.“
Plötzliche Übernahme
Immer wieder Wimbledon. An diesem auch für die Spieler so magischen Ort haben sich in der Tennisgeschichte schon öfter Generationenwechsel oder Übergaben von Staffelstäben vollzogen. Manchmal mit einem Knall, wie an diesem Sonntag, oder im Jahr 1981, als John McEnroe gegen Björn Borg gewann und fortan seinen Teil der Tennisgeschichte schrieb.
Manchmal kamen die Wechsel auch nur mit einer leisen Vorahnung daher, wie im Jahr 2001, als der damals noch bezopfte Roger Federer, in einem als Klassiker in die Tennisgeschichte eingegangenen Match gegen den damaligen Wimbledon-Regenten Pete Sampras gewann.
Pure Dominanz
Wie schnell Alcaraz sich an der Spitze festgesetzt hat, ist erstaunlich. Noch vor knapp 14 Monaten konnte er das French-Open-Halbfinale gegen Djokovic nur mit Krämpfen im ganzen Körper beenden. Zu angespannt war er, zu viel hatte Alcaraz in den Beginn des Matches investiert und bekam dann eine Abreibung von Djokovic verpasst.
Carlos Alcaraz jubelt über seinen Sieg im Wimbledon-Finale
Nur fünf Wochen später gewann er zum ersten Mal Wimbledon, in einem Fünf-Satz-Krimi gegen Djokovic. Der später davon sprach, dass er nicht geglaubt habe, Alcaraz würde die Nerven haben, das letzte Spiel auszuservieren. Zwölf Monate später nun die pure Dominanz.
Etwas ist anders in diesem Jahr
Die erkannte auch Djokovic an, der sich erst vor 39 Tagen einer Knie-Operation hatte unterziehen müssen. Damals hatte er nicht zu seinem Viertelfinale bei den French Open gegen Casper Ruud antreten können. Als Ausrede wollte Djokovic all das aber nicht gelten lassen: "Hätte man mir nach der Operation gesagt, dass ich im Finale stehen würde, hätte ich das sofort genommen. Aber ich war heute immer einen halben Schritt hinter Carlos. Ich war der unterlegene Spieler."
Generell scheint in diesem Jahr etwas anders zu sein. Zum Start der Sandplatzsaison gab Djokovic selbst freimütig zu, dass es für ihn ungewohnt sei, in diesem Jahr noch keinen Titel gewonnen zu haben. Das bleibt auch weiterhin so. Aber er will weitermachen. Die Olympischen Spiele in Paris und die US Open hat er als große Ziele ausgemacht.
Noch ein Generationenduell?
Ob er nach Wimbledon zurückkehrt, ließ Djokovic zwar offen, bekräftigte aber, keinerlei Rücktrittspläne zu haben. Die stehen bei Carlos Alcaraz natürlich sowieso nicht ins Haus. Er und Jannik Sinner haben die bisherigen drei Grand Slams gewonnen. Sind sie jetzt die neuen Regenten des Tennis?
Bei dieser Frage kratzte sich der sonst schon sehr wortgewandte Alcaraz verlegen am Kopf: "Es ist doch gut für das Tennis, wenn neue Gesichter dazukommen. Jannik und ich sind 22 und 21 Jahre alt, wir haben eine großartige Rivalität. Da kommen aber noch mehr junge Spieler nach und das ist gut für den Sport."
Vielleicht kommt es in der Zukunft ja sogar noch zu einer weiteren Auflage des Generationenduells in Wimbledon mit Djokovic – schließlich sind ja bekanntlich aller guten Dinge drei.