Basketballklub in der Krise Alba Berlin vor dem BBL-Duell gegen Bayern München - Planet im Sinkflug
Das Aufeinandertreffen zwischen Alba Berlin und Bayern München ist die Wiederauflage des Vorjahres-Finales. Mittlerweile befindet sich der stolze Hauptstadtklub im steilen Sinkflug. Wie konnte es so weit kommen? Von Shea Westhoff
Gute Nachrichten für alle Hobby-Astronomen! Über der Uber-Arena gibt es am Sonntag eine seltene Planetenkonstellation zu bestaunen (ab 15 Uhr, für viermal zehn Minuten). Der ehemals hellste Stern im deutschen Basketball-System, Alba Berlin, trifft auf seiner Reise ins sportliche Nirgendwo auf den dominierenden Riesenplaneten FC Bayern München. Eine ungewöhnliche Konstellation – manche Experten meinen sogar: Es könnte vorerst das letzte Mal sein, dass beide Planeten auf einer Linie zu sehen sind.
Alba-Spieler Jonas Mattisseck sagte in Erwartung des Aufeinandertreffens: "Es liegen auf jeden Fall gerade Welten zwischen uns." Interstellare Vergleiche scheinen vor dem Kräftemessen der Intimfeinde Alba Berlin und dem Bayern München also durchaus angemessen.
Es fehlen Anführer
Das Team von Israel Gonzalez bleibt als Drittletzter der Basketball-Bundesliga weit hinter den Erwartungen. Wettbewerbsübergreifend holte Alba aus den vergangenen zehn Partien nur einen Sieg – gegen Tabellenschlusslicht BG Göttingen. In der Euroleague – also der wichtigsten astronomischen Maßeinheit des europäischen Basketball-Systems – sind die Albatrosse abgeschlagen Letzter.
"Jeder weiß: Erwartungen nicht zu erfüllen, ist sehr schmerzhaft. Man kommt schnell in eine Negativspirale und redet alles negativ", sagte ein niedergeschlagener Mattisseck nach der jüngsten Pleite in der Euroleague gegen AS Monaco.
Immerhin: Es braucht keine Sterndeuter, um die Hauptgründe für Albas Misere ausfindig zu machen. So musste die Mannschaft personell Federn lassen. Führungsspieler wie der im Sommer nach Japan abgewanderte Weltmeister Johannes Thiemann (Gunma Crane Thunders) oder der bereits im Jahr zuvor abgezogene Luke Sikma (Olympiakos Piräus) hatten den Berlinern Stabilität verliehen und die Jüngeren mitgezogen. Sie konnten bislang nicht ersetzt werden. Mit dem ehemaligen NBA-Spieler und Topscorer Sterling Brown verließ im Sommer ein weiterer Eckpfeiler die Mannschaft (Partizan Belgrad).
Viele Verletzungen, keine griffige Spielidee
Beim vorhandenen Spielerpersonal erschwerte im Herbst eine Flut von Verletzungen den Start in die Basketball-Spielzeit und war mitentscheidend für den schlechtesten Saisonbeginn seit Jahrzehnten. Auch im weiteren Saisonverlauf kam es immer wieder zu schmerzhaften Ausfällen. Die Suspendierung des Centers Khalifa Koumadje nach dem Vorwurf von Handgreiflichkeiten gegen einen Dopingkontrolleur und offenbar auch nach Vorwürfen der häuslichen Gewalt brachten eine zusätzliche Veränderung in der Team-Statik mit sich.
Auf dem Parkett scheint Israel Gonzalez in dieser Saison noch keine erfolgsversprechende Spielidee gefunden zu haben. Während Alba seinen Wirkungsbereich zunehmend unter die Bretter verlagert hat, tun sich aus der Distanz Abgründe auf. Eine Dreierquote von 28,5 Prozent bedeutet den zweitschlechtesten Wert der Liga. Das letzte Spiel des Kalenderjahres gegen Rostock mussten die Berliner nach Halbzeitführung auch aufgrund ihrer lausigen Dreipunkte-Ausbeute verloren geben (null von acht im 3. Viertel).
Kann zufrieden sein mit der bisherigen Saison: Bayern-Trainer Gordon Herbert. (Imago)
Bayern hat, was Alba fehlt
Und nun reist mit dem FC Bayern München ein Spitzenteam an, das in dieser Saison endlich zu den Größenverhältnissen gefunden hat, die es als sein eigentliches Format erachtet. Während der BBL-Titelverteidiger die Tabelle aktuell wieder anführt, mischt das Team in der Euroleague ebenfalls oben mit. Nach zweimaligem Verpassen der Playoffs sind die Bayern voll auf Kurs Endrunde – auch wenn der aktuell siebte Platz fürs Erreichen des angestrebten Viertelfinals noch den Umweg über die Play-Ins bedeuten würde.
Dabei verfügt Bayern München über vieles, das Alba derzeit fehlt. Die ohnehin hochkarätig besetzte Mannschaft wurde im Sommer nochmals namhaft verstärkt, unter anderem mit einem Weltmeister von 2023, dem Big Man Johannes Voigtmann. Dessen damaliger DBB-Trainer, Gordon Herbert, ist seit Sommer ebenfalls bei den Bayern an Bord und hat es geschafft, ein defensiv ausgerichtetes, stabiles Gebilde zu formieren, das gleichzeitig offensiv extrem variabel ist.
Unter dem kanadischen Teamchef ist insbesondere Carsen Edwards gerade dabei, sein atemberaubendes Potenzial auszuloten. Der einstige NBA-Guard war mit 20,7 Punkten Topscorer der Euroleague-Hinrunde. Doch Verantwortung übernehmen kann in der Münchner Offensive eigentlich jeder: Devin Booker unter dem Korb, dazu der – aktuell verletzte – Vladimir Lucic sowie Andreas Obst aus der Distanz. Die ehemaligen Albatrosse Niels Giffey und Oscar da Silva sind wichtige offensive Alternativen.
Und so verfügt Herbert über eine vielseitige Mannschaft, die es ihm erlaubt, inmitten der kräfteraubenden Spielpläne zweier Ligen durch Rotation Ressourcen zu schonen.
"Es geht darum, etwas zu verändern"
Tatsächlich hat auch der Berliner Kader immer noch eine Tiefe, mit der das Erreichen der BBL-Playoffs Pflicht ist. "Ich bin 100 Prozent davon überzeugt, dass die Jungs, die wir haben, die ganze Organisation, die wir haben, dass wir alle zusammen da raus kommen", sagt Jonas Mattisseck. "Es geht aber nicht darum, nur darüber zu reden. Sondern es geht darum, etwas zu verändern und zu machen."
Vielleicht ist die erwartete Ankunft des Riesenplaneten am Sonntag dafür genau der richtige Zeitpunkt. Eine besondere Konstellation ist es allemal.